Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Mittwoch, 19. März 2025, Nr. 66
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 18.03.2025, Seite 5 / Inland
Geschürte Russophobie

Täglich eine Panikattacke

CSU-Politiker fordert Orientierung der EU auf »Kriegswirtschaft«, Bayerns Gesundheitsministerin Vorbereitung auf medizinischen Notstand
Von Ralf Wurzbacher
5.jpg
Gesundheitssystem für den Krieg: Wiederbelebungsvorführung der Bundeswehr auf der Messe »A\FAIR« in Augsburg (7.3.2025)

Die deutsche Politikerklasse wähnt sich bereits im Luftschutzbunker. Und kramt die alten Feindbilder aus: Wenn sich das Land nicht wappnet, müssten demnächst »alle Russisch lernen«, erklärte CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn in der Vorwoche. Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach und der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (beide CSU), stehen Gewehr bei Fuß, wenngleich vorerst nur verbal. Letzterer verlangt eine Umstellung der EU »auf Kriegswirtschaft«, seine Parteikollegin ein bundesweites Programm zur Vorbereitung der medizinischen Versorgung für den Fall, dass der russische Bär über die Oder kommt. In einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom Montag sagte sie: »Die militärische Bedrohung Europas durch Russland und die mögliche Abkehr des neuen US-Präsidenten Trump von der bisherigen Sicherheitspartnerschaft bedeuten auch massiven Handlungsbedarf für das deutsche Gesundheitssystem und die ganze Zivilgesellschaft.«

Beim Wettbewerb um die martialischsten Sprüche hatte Weber schon tags zuvor in der Welt am Sonntag neue Maßstäbe gesetzt. »Europa steht militärisch allein in einer Welt von Stürmen. Leider Gottes sind wir dabei auch noch ziemlich nackt«, warnte er und forderte die Benennung eines europäischen Generalstabschefs. Dieser müsse künftig »die aufgerüsteten nationalen Armeen befehligen und klare Ansagen bei der Beschaffung machen können«. Nötig seien zum Beispiel beschleunigte Genehmigungsverfahren und mehr Zusammenarbeit zwischen europäischen Waffenschmieden. »Aber das kann auch bedeuten, dass die Rüstungshersteller künftig am Wochenende im Schichtsystem arbeiten und Unternehmen, die bisher Industriegüter für zivile Zwecke hergestellt haben, künftig Waffen produzieren werden«, führte der CSU-Mann aus.

Die Bayerische Staatskanzlei hat die Kliniken im Freistaat um Auskunft über den Stand ihrer Alarm- und Einsatzplanung für den Ernstfall gebeten. »Das Thema Sicherheit ist für die meisten Krankenhäuser sehr präsent«, befand Gerlach, »viele optimieren gerade ihre Planungen.« Die Hilfsorganisationen seien im Begriff, Pflegeunterstützungskräfte auszubilden, die dem Klinikpersonal im Ernstfall zur Hand gehen könnten. »Wir sollten dabei nicht nur über eine mögliche Wehrpflicht reden, sondern auch über einen Zivildienst, der personell angespannte Einrichtungen unterstützt«, so die bayerische Gesundheitsministerin. »Wir müssen vor allem mutige Entscheidungen treffen – auch worauf in Mangellagen verzichtet werden kann: von Berichtspflichten über Standards und Prüfungen bis hin zu Personalvorgaben.« Für das Personal müsse es »einzig und allein um eines gehen: Leben retten«.

Inspirieren ließ sie sich offenbar durch die Fachtagung »Kritis« vor einer Woche in Berlin. Auch deren Teilnehmer ermittelten mangelndes Rüstzeug bei Ärzten, Kliniken und Pflegeeinrichtungen im Falle eines russischen Überfalls. Leif Sander, Mitglied des Expertenrats Gesundheit und Resilienz der Bundesregierung, berichtete dabei vom Besuch israelischer Kollegen an der Charité. Die hätten als erstes gefragt, welches Flugabwehrsystem das Haus habe. Sander plädierte etwa dafür, das medizinische Personal auf die Versorgung Kriegsverletzter vorzubereiten. Dazu brauche es mehr Kooperation vom zivilen und militärischen Sektor, bislang gebe es noch viele Hindernisse. Wichtig sei vor allem die »mentale Vorbereitung der Gesellschaft auf die neue Realität«, gab André Bodemann vom Territorialen Führungskommando der Bundeswehr bei der Konferenz zu bedenken. Zitat: »Wir brauchen Kommunikation, die Menschen keine Angst macht, denn das will Russland.«

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • 09.01.2025

    Bewegungen verbinden

    Der deutsche Aufrüstungs- und Kriegskurs kann nur durch das Zusammengehen von Arbeiter- und Friedensbewegung gestoppt werden
  • »Du bist unser Mann!« Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit de...
    20.08.2021

    Der Protegé in Sofia

    Exklusive Seilschaften. Wie CDU und CSU Bulgariens langjährigen Ministerpräsidenten Bojko Borisow aufbauten und beeinflussten
  • Klettern üben vor Gebirgsidylle: Die CSU will die Welt mit dem E...
    08.01.2015

    Weiß-blaue Aufrüstung

    CSU will Militärhaushalt aufstocken und verstrickt sich mit ihrer Russland-Politik in Widersprüche