Baku setzt sich durch
Von Luca Schäfer
Die Nachricht kam unerwartet: Vergangenen Donnerstag hat Aserbaidschan verkündet, dass ein Friedensabkommen mit dem verfeindeten Armenien unterschriftsreif sei. Beide Länder befinden sich seit Jahrzehnten im Konflikt, die tausend Kilometer lange Grenze ist hochmilitarisiert. Noch im Januar hatte Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew Armenien als »faschistische Gefahr« bezeichnet, immer wieder gibt es Zank um die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan. 1994, 2020 und 2023 kam es zu heftigen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der christlichen Kleinstnation Armenien und dem schiitischen Petrostaat Aserbaidschan unter Erdoğan-Intimus Alijew. 2020 entstand durch Vermittlung Russlands ein brüchiger Waffenstillstand.
Dieser sah vor, dass der armenisch gehaltene Latschin-Korridor, der das armenische Kernland mit der armenisch besiedelten Exklave Bergkarabach verbindet, von der russischen Armee abgesichert wird. Armenien musste gewaltige Gebietsverluste hinnehmen, doch die Bevölkerung blieb – vorerst. Trotz der aserbaidschanischen Übermacht wog der Einfluss Moskaus noch schwer. Russland war nach dem Zerfall der Sowjetunion der wirtschaftliche und energiepolitische Bezugspunkt und auch die Schutzmacht Armeniens. Bis zu seinem Ausstieg im vergangenen Jahr war Jerewan in die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) eingebunden, ein postsowjetisches Militärbündnis.
Die Achse Ankara–Baku schuf im September 2023 dank der überlegenen Drohnentechnologie, eines Ölpreishighs und einer Blitzoperation letztlich militärisch Fakten. Sie vertrieb Hunderttausende und eroberte das über Jahrzehnte umkämpfte Bergkarabach (Republik Arzach). Jeder zehnte emigrierte nach Russland, der Rest floh gen Armenien. Westliche Sanktionen musste der seit 1993 herrschende Alijew-Clan nie fürchten: Das Gastgeberland der Weltklimakonferenz COP 29 liefert seit 2022 verlässlich Erdgas in die EU. Nach einem Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Juli desselben Jahres verpflichtete sich der staatliche Ölkonzern Socar, seine Lieferungen bis 2027 im Rahmen einer Vereinbarung über eine strategische Partnerschaft im Energiebereich zu verdoppeln. Der Direktor der Deutschen Außenhandelskammer in Aserbaidschan, Tobias Baumann, brachte es in einem Beitrag für Das Erste im März vergangenen Jahres auf den Punkt: Die deutschen Monopole bekommen im Reich von Alijew das, was sie »für die Zukunft brauchen«. Denn besonders viele Rohstoffvorkommen wie Kupfer oder Kobalt liegen in der Region Bergkarabach – und werden nun von Aserbaidschan erschlossen.
Die militärische Eskalation 2023 bildet Zäsur und Grundlage für das jetzige Abkommen. Doch Skepsis ist angesagt. Die Übereinkunft bleibt vorerst vage, ein genauer Wortlaut ist bislang unbekannt. Baku verhandelte aus einer Postion der Stärke, es will erreichen, dass Armenien seine Verfassung reformiert – der Punkt der Wiedervereinigung mit den verlorenen Gebieten soll gestrichen werden. Zudem soll die Minsker Gruppe der OSZE aufgelöst werden. Diese hatte sich 1992 gegründet, um eine Verhandlungslösung in dem Konflikt zu finden. Ungeklärt ist weiterhin, ob es ein Rückkehrrecht für armenische Vertriebene geben soll.
Moskau, Teheran und Washington begrüßten, freilich aus unterschiedlichen Perspektiven, den angekündigten Schritt. Die Regierung in Armenien verbindet mit dem Abkommen die möglicherweise naive Hoffnung, aus ihrer jahrzehntelangen Isolation ausbrechen und eine erfolgreiche »Schaukelstuhlpolitik« zwischen Ost und West betreiben zu können. Zudem will sie wirtschaftliche Verbindungen in die Nachbarschaft aufnehmen. Andere Analysen gehen davon aus, dass Jerewan lediglich Zeit vor einem erneuten aserbaidschanischen Angriff schinden will. Die armenische Opposition ist strikt gegen das Abkommen. Präsident Nikol Paschinjan geht aber noch weiter: Er sprach erstmals mit Pressevertretern eines zweiten verfeindeten Staates, der Türkei. Aserbaidschanische Medien spekulieren hingegen über eine für April geplante armenische Angriffswelle.
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