Weggeworfenes Geld

Der Schutzzoll ist im besten Falle eine Schraube ohne Ende, und man weiß nie, wann man mit ihm fertig ist. Wenn wir einen Geschäftszweig schützen, so schädigen wir direkt oder indirekt alle anderen und müssen sie demzufolge ebenfalls schützen. Dadurch schädigen wir aber wieder die zuerst geschützte Industrie und geben ihr Anspruch auf Entschädigung; aber diese Entschädigung wirkt wiederum auf alle anderen Geschäftszweige zurück und berechtigt sie zu neuen Ansprüchen – und so fort ins Unendliche. (…) Das schlimmste beim Zollschutz aber ist, dass man ihn so leicht nicht wieder los wird. So schwierig die Herstellung eines nach allen Seiten billigen Schutztarifs ist, die Rückkehr zum Freihandel ist noch unendlich schwieriger. (…)
Es sind schon Anzeichen genug da, dass der Zollschutz für die Vereinigten Staaten geleistet hat, was er leisten konnte, und dass es Zeit ist, man gibt ihm den Abschied. Eines dieser Anzeichen ist die Bildung von Kartellen zur Unterstützung der geschützten Industrien in der Ausbeutung ihres Monopols. Nun sind Kartelle (Rings, Trusts) echt amerikanische Einrichtungen, und wo sie natürliche Vorteile ausbeuten, muss man sie sich einstweilen gefallen lassen. Die Verwandlung der pennsylvanischen Steinölproduktion in ein Monopol der Standard Oil Company ist ein Verfahren, das mit den Regeln der kapitalistischen Produktion durchaus im Einklang steht. Wenn aber die Zuckersieder den ihnen durch die Nation bewilligten Schutz gegen auswärtige Konkurrenz verwandeln wollen in ein Monopol gegen den inländischen Konsumenten, das heißt, gegen dieselbe Nation, die den Schutz bewilligt hat, so ist das ein anderes Ding. Trotzdem haben die großen Zuckersieder ein Kartell gebildet, das nichts andres erstrebt. Und das Zuckerkartell ist nicht das einzige seiner Art. Die Bildung von solchen Kartellen in geschützten Industrien ist das sicherste Zeichen, dass der Zollschutz sich ausgelebt hat und seinen Charakter verändert; dass er den Fabrikanten nicht mehr gegen den fremden Importeur, sondern gegen den heimischen Konsumenten schützt, dass wenigstens in diesem speziellen Industriezweig er Fabrikanten genug, wo nicht zu viele fabriziert hat; dass das durch den Zollschutz diesen Fabrikanten in den Schoß geworfene Geld einfach weggeworfenes Geld ist. (…)
Die Frage über Freihandel und Zollschutz bewegt sich gänzlich innerhalb der Grenzen des heutigen Systems der kapitalistischen Produktion und hat deshalb kein direktes Interesse für Sozialisten, die die Beseitigung dieses Systems verlangen. Sie interessiert sie aber indirekt so weit, als sie dem jetzigen Produktionssystem eine möglichst freie Entfaltung und möglichst rasche Ausdehnung wünschen müssen; denn damit wird es auch seine notwendigen ökonomischen Folgen entfalten. (…)
Wenn heutzutage ein Land den Freihandel annimmt, so wird es das sicher nicht den Sozialisten zu Gefallen tun, sondern weil der Freihandel eine Notwendigkeit für die industriellen Kapitalisten geworden ist. Verwirft es aber den Freihandel und hält fest am Zollschutz, um die Sozialisten um ihre erwartete soziale Katastrophe zu prellen, so ist niemand mehr geprellt als es selbst. Der Schutzzoll ist ein Mittel, Fabrikanten künstlich zu fabrizieren, und deswegen ebenfalls ein Mittel, künstlich Lohnarbeiter zu fabrizieren. Züchtet ihr die einen, so züchtet ihr die anderen mit. Der Lohnarbeiter folgt überall in den Fußstapfen des Fabrikanten; er ist wie die schwarze Sorge des Horaz, die hinter dem Reiter sitzt und die er nicht abschütteln kann. Dem Schicksal, mit anderen Worten den notwendigen Folgen eurer eigenen Handlungen, könnt ihr nun einmal nicht entgehen. Ein Produktionssystem, gegründet auf der Ausbeutung der Lohnarbeit, ein System, worin der Reichtum wächst im Verhältnis zur Zahl der angewandten und ausgebeuteten Arbeiter, solch ein System kann nicht bestehen, ohne die Klasse der Lohnarbeiter zu vermehren und damit einen Klassengegensatz zu steigern, an dem eines Tages das ganze System zugrunde gehen muss. Es ist nun einmal nicht zu ändern: Ihr könnt nicht anders als das kapitalistische System fortentwickeln, Akkumulation und Zentralisation des Kapitals beschleunigen und gleichzeitig damit die Produktion einer Arbeiterklasse, die außerhalb der offiziellen Gesellschaft steht. Ob ihr den schutzzöllnerischen oder den freihändlerischen Weg einschlagt, wird am Resultat nichts ändern und kaum etwas an der Länge der Frist, die euch bleibt, bis das Resultat eintritt. Denn lange vorher schon wird der Zollschutz eine unerträgliche Fessel geworden sein für jedes Land, das mit Aussicht auf Erfolg eine unabhängige Stellung auf dem Weltmarkt erstrebt.
Friedrich Engels: Schutzzoll und Freihandel. Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von Karl Marx’ »Rede über die Frage des Freihandels« (vom 9. Januar 1848). Lee and Shepard, Boston 1888. Hier zitiert nach: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke Band 21 (MEW). Dietz-Verlag, Berlin 1969, Seiten 365–375
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (23. März 2025 um 10:21 Uhr)Immer wieder ein großes Lob für die Auswahl solcher Texte aus den Werken unserer politischen Wegbereiter. Manches davon ist aktueller, als sich so mancher träumen lässt. Sich beim Nachdenken auf bereits Gedachtes zu stützen, ist ungeheuer wertvoll. Dies als Ratschlag an alle diejenigen, die sich penetrant weigern, Gedanken wirklich weiterzuentwickeln, weil sie ohnehin alles besser wissen. Nachdenken heißt fortführen. Wie soll das funktionieren, wenn man das Vorgedachte einfach achtlos übergeht? Hier sind eure Texte wirklich außerordentlich hilfreich.
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