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Aus: Ausgabe vom 29.03.2025, Seite 4 / Inland
Linke nach der Bundestagswahl

Staatstragende Partei in spe

Fraktionsklausur in Potsdam: Linke will sich auf soziale Themen konzentrieren
Von Karim Natour
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Auf dem Weg zur Macht? Abgeordnete der Linksfraktion auf dem Weg zu einer Parteisitzung (Berlin, 25.2.2025)

Die Linke versucht, sich im neuen Bundestag als ernstzunehmende oppositionelle Kraft in Stellung zu bringen. Das ist nach der Zustimmung zu den Aufrüstungsmilliarden im Bundesrat vor einer Woche nicht unbedingt einfacher geworden. Am Freitag ging eine dreitägige Klausurtagung der 64 Mitglieder zählenden neuen Bundestagsfraktion in Potsdam zu Ende. Dort beschloss die Fraktion einen Plan für die ersten einhundert Tage im Bundestag. Details erläuterte die Partei- und Fraktionsspitze am Freitag auf einer Pressekonferenz.

Heidi Reichinnek, Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl, erklärte: »Wir werden das Thema Wohnen immer und immer wieder auf die Tagesordnung setzen«. Einer der ersten Anträge, die die Fraktion ins Parlament einbringen will, soll sich gegen Mietwucher richten. Auch will die Partei noch vor dem Sommer einen Mietengipfel ausrichten, wo ein bundesweiter Mietendeckel vorgestellt werden soll. Weder im zuletzt beschlossenen »Sondervermögen« noch in den Koalitionsverhandlungen werde die Wohnungsfrage angemessen thematisiert, so Reichinnek. Kofraktionschef Sören Pellmann nannte zudem die Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, den Kampf gegen den Kitanotstand und Ideen für mehr Steuergerechtigkeit, die in den kommenden Wochen thematisiert werden sollen. Einstimmig beschlossen wurde zudem, weiter für die Abschaffung des Paragraphen 218 zu kämpfen, der Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert.

Durch das unerwartet gute Ergebnis bei der Bundestagswahl spielt die Linke im neuen Bundestag bei kritischen Entscheidungen perspektivisch eine Schlüsselrolle: Ohne sie kommen Union, SPD und Bündnis 90/Die Grünen nicht auf eine Zweidrittelmehrheit. Grundgesetzänderungen sind also ohne die AfD nur noch mit der Linkspartei möglich. Im Anschluss an die Klausurtagung erklärte Parteichefin Ines Schwerdtner, dass es ohne eine Vereinbarung der »demokratischen Parteien« zum Ausschluss von gemeinsamen Mehrheiten mit der AfD »keine Stimme der Linken geben« werde.

Zuletzt gab es die aber schon. Im Bundestag stimmte die Fraktion zwar gegen die »Reform« der Schuldenbremse für höhere Rüstungsausgaben, nachdem sie sich geweigert hatte, den Versuch zu unternehmen, mit der AfD den neuen Bundestag einzuberufen und somit die Pläne von Union, SPD und Grünen zu durchkreuzen. Im Bundesrat stimmten die Landesregierungen mit Beteiligung der Linken in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern gar für den Schritt, der eine Aufrüstung in Billionenhöhe wahrscheinlich macht. In einem Interview mit der Zeitschrift Jacobin sagte Reichinnek am Donnerstag dazu, die Länder seien »am Ende erpresst« worden. Sie ist nicht die einzige, die die Entscheidung der Parteifreunde in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern mit solchen Erklärungen de facto deckt.

Andernorts wächst auch deshalb die Hoffnung, dass sich die Partei als NATO-kritische »Friedenskraft« endgültig verabschiedet. Der Chemnitzer Parteienforscher Benjamin Höhne sagte am Freitag gegenüber dpa, die Partei werde nicht umhinkommen, auf die »veränderten sicherheitspolitischen Herausforderungen neue Antworten zu geben«. Die Linke wäre gut beraten, »die Gefahren anzuerkennen, die vom russischen Imperialismus ausgehen, und an der neuen Verteidigungspolitik Deutschlands und seiner Bündnispartner konstruktiv mitzuwirken«. Eine »staatstragende Rolle« spiele Die Linke »bereits auf der Landesebene«, so Höhne zufrieden. Auch im Bund sei das möglich, wenn die Partei auf einen »pragmatischen außen- und sicherheitspolitischen Kurs ginge«. Durchaus mit dieser Tendenz äußerte sich Reichinnek gegenüber Jacobin. Ihre Partei werde »immer wieder attackiert«, weil diese »angeblich die Bundeswehr nicht unterstützen« wolle. Das sei »totaler Quatsch«. Am Dienstag hatte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) im Tagesspiegel für Gespräche mit der Linken geworben. Dazu Reichinnek in der ARD: »Wir stehen auch für Gespräche mit der Union bereit, ganz klar.«

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  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (31. März 2025 um 14:14 Uhr)
    Der insgesamt sehr gute, kritische Beitrag enthält wohl einen Fehler: Nicht »mit der AfD« hätten die neu gewählten Abgeordneten der Linken die sofortige Einberufung des neuen, jetzt allein noch legitimen Bundestages verlangen müssen, sondern parallel dazu! (Auch als beide Fraktionen »gegen den Antisemitismus« d. h. praktisch für die bedingungslose Verteidigung der völkermörderischen Praxis des Staates Israel gestimmt haben, war das ja keine Abstimmung zusammen »mit der AfD«!) Ein Problem ist zwar, dass nicht eine andere Instanz wie etwa der Bundespräsident, sondern die doch bereits »abgewaehlte« Präsidentin des nicht mehr legitimen alten Bundestages diese Einberufung zu machen hat, woran sie doch gar kein Interesse haben kann, was zur Verschleppung aufforderte – aber jedenfalls legt das Grundgesetz das als Pflicht fest, nicht als »Kann-Bestimmung«. Aber die Linkspartei wollte nicht, was sie ohne weiteres hätte tun können. Das wird auch künftig wohl ein Jagdhund sein, der zur Jagd getragen werden muss. Wann merken das die Millionen ihrer Wähler und die zigtausend neuen Mitglieder?
  • Leserbrief von Frank Rehberg aus München (31. März 2025 um 12:07 Uhr)
    Verführt das Befragungsergebnis, dass eine große Prozentzahl der WählerInnen bis 27 Jahren die Linke gewählt haben und damit die Mehrheit bei allen Parteien der Bundestagswahl die größte Wähler*innengrupe darstellte, zu dieser Überschrift? Sagt dieses doch ermutigende Ergebnis v.a. aus, dass Jugendliche die Forderungen der Linken für richtig und wichtig und im Bundestag hörbar haben wollen. Ein für Linke erfreuliches und ermutigendes Ergebnis! Aber es muss jetzt auch v.a. der Anlass sein, nunmehr die Diskussion, gerade auch in der Linken zu führen, dass die Forderungen und ihre Nichtdurchsetzung nicht vorrangig ein parlamentarisches Problem, sondern ein systemisches Problem sind. Satt dessen ein Linkebashing. Das kann die SZ, Welt und FAZ besser! Wäre es nicht besser, nicht einfach Reichinek (und damit ist Die Linke insgesamt gemeint!) verkürzt zu erwähnen, statt aufzuzeigen, woraus die »Erpressung« in den Landesregierungen in Bremen und Mecklenburg besteht. Das würde die zahlreichen Rücktrittsforderungen aus der Linken untermauern und die oben genannte Notwendigkeit unterstützen. Wir brauchen viel für den Antifaschismus, die Spaltung der Linken bringt uns nicht weiter.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (30. März 2025 um 17:23 Uhr)
    Interessante Logik: Das Imperium gegen Imperialismus aufrüsten. Wen will der Benjamin verHöhnen? Ein postfaktischer Parteienforscher braucht sich auch nicht um Zählen kümmern.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Daniel S. aus Essen (30. März 2025 um 13:46 Uhr)
    Konsequenzen für die Linken Regierungsmitglieder in MV und Bremen! Fassungslos, niedergeschlagen, wütend. Mit diesen Begriffen lassen sich meine Empfindungen beschreiben, nachdem die Mitglieder der Landesregierungen in Mecklenburg-Vorpommern und Bremen mit Linkem Parteibuch am 21.03.2025 im Bundesrat für die Aufrüstung Deutschlands gestimmt haben. Entgegen dem Abstimmungsverhalten der Bundestagsfraktion. Entgegen der Beschlusslage der Partei. Entgegen dem eigenen Wahlprogramm. Wie konnte das passieren? Gut, schwarze Schafe gibt es immer und überall. Vielleicht haben wir es mit Karrieristen zu tun. Vielleicht glauben die Beteiligten wirklich an ihre realpolitischen Rechtfertigungen. Ich mag das nicht zu beurteilen. Doch was mich wirklich quält, ist, dass die Führung der Partei sich der Sache nicht öffentlich annimmt. Dass sie keine Konsequenzen zieht. Noch nicht einmal eine verbale Verurteilung anstimmt. Vielleicht bin ich naiv, zu glauben, dass eine demokratisch-sozialistische Partei sich auch an ihr Programm halten sollte. Doch bin ich auch ein ganz einfaches Mitglied der Partei. Ich gehöre keiner Strömung an, habe weder Amt noch Funktion und interessiere mich nicht für realpolitische Tricksereien. Und auf Menschen wie mich kommt es an. Wir tragen die Partei, bilden ihr Fundament und zahlen jeden Monat einen erheblichen Teil unseres Einkommens in die Parteikasse ein! Menschen wie mich so vor den Kopf zu stoßen ist also nicht nur empörend, sondern auch gefährlich für die Partei selbst. Ich erwarte endlich Konsequenzen!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (28. März 2025 um 21:28 Uhr)
    Es ist doch schon angekündigt – die Partei Die Linke muss ihre Programmatik im Erfurter Parteiprogramm von 2011 dringend überarbeiten. Und wer den Entwurf des Leitantrages auf der Webseite der Partei auch nur überfliegt, wird das Thema Frieden und Abrüstung nur noch als, wenn überhaupt, nachrangiges Anhängsel finden. Opportunismus pur! Sein eigenes Abstimmverhalten vom Verhalten der reaktionärsten Partei im Bundestag abhängig zu machen zeugt von einem (sorry) – kein Arsch in der Hose … Habt ihr keinen eigenen Standpunkt, könnt ihr eure Überzeugung nicht wirklich guten Gewissens behaupten? Oder verkauft ihr diese Überzeugung für ein »Linsengericht« (Karl Liebknecht, genau derjenige, nach dem eure Parteizentrale benannt ist)? Wollt ihr mit dem »Schwung« von Tausenden neuen Mitgliedern jetzt an die Macht, aber nicht mit klaren politischen Standpunkten? Also Masse statt Klasse … In der Politik haben physikalische Gesetze nur eine geringe Bedeutung: Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung – das gilt hier nicht. Der Weg führt über Umwege ins Nirvana. Und die wirkliche Friedenspartei bleibt, auf Grund welcher Umtriebe auch immer, vorerst auf der Strecke.

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