Den Knoten durchschlagen
Von Philip Tassev
Die Gespräche zwischen CDU/CSU und SPD zur Bildung einer neuen Regierung haben am Freitag die höchste Ebene erreicht. In der Berliner SPD-Zentrale kam zum ersten Mal die 19köpfige Hauptverhandlungsgruppe aus Parteiführung und ausgewählten Funktionären zusammen – sechs von der CDU, vier von der CSU und neun von der SPD –, um Lösungen für offene Fragen zu finden und den Koalitionsvertrag auszuarbeiten. Vertreter der drei Parteien bemühten sich zuvor um Optimismus, wie etwa CSU-Chef und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der am Freitag im ARD-»Morgenmagazin« verkündete, die Koalitionsverhandlungen würden »ganz sicher« zum Erfolg führen – »nicht nur, weil wir müssen, sondern auch, weil wir wollen«. Der CDU-Politiker Jens Spahn nannte in der ARD »Konsolidieren« und »Sparen« als die Themen, bei denen er schwierige Gespräche erwarte. »Spardebatten sind immer etwas mühsam«, sagte er. Die künftige Koalition übernehme von der Vorgängerregierung einen Haushalt mit einem Defizit von 30 oder 40 Milliarden Euro – »und da ist noch keine der neuen Maßnahmen, der neuen Ideen finanziert«.
Es gibt allerdings auch in anderen Bereichen noch einiges zu klären. Dazu zählt etwa der Umgang mit Migranten. Grundsätzlich sind sich die beteiligten Parteien einig bei der Abweisung von Asylsuchenden an den Grenzen, die Zurückweisungen sollen aber »in Abstimmung« mit den Nachbarländern geschehen. Unterschiedliche Auffassungen bestehen bei der Definition dieser »Abstimmung«. Die Sozialdemokraten fordern eine explizite Zustimmung der Nachbarländer, die Union betrachtet es als ausreichend, die Nachbarn bei Zurückweisungen an deutschen Grenzen zu informieren, aber nicht unbedingt ihre Zustimmung einzuholen. Der Bild-Zeitung vom Freitag zufolge will CDU-Parteichef Friedrich Merz bei der Migrationsfrage mit den wichtigsten Nachbarländern der BRD reden. Es würden bereits »Geheimgespräche« mit Polen, Tschechien, Österreich, der Schweiz und Frankreich laufen. Laut dem Springer-Blatt trägt SPD-Innenministerin Nancy Faeser den Vorstoß von Merz mit und soll bereits mit ihrem österreichischen Amtskollegen Gerhard Karner (ÖVP) telefoniert haben. Noch offen ist die Zustimmung der SPD zu Forderungen aus der Union, Asylverfahren in sogenannte Drittstaaten auszulagern und Sozialleistungen für Ausreisepflichtige auf ein verfassungsrechtlich vorgegebenes Minimum zu kürzen.
Gesprächsbedarf zwischen den Möchtegernkoalitionären besteht offenbar auch beim Thema Steuern. Die Union möchte die Unternehmenssteuer von derzeit rund 30 schrittweise auf 25 Prozent senken. Dazu soll die Steuer im nächsten Jahr zunächst um einen Prozentpunkt gesenkt werden. Die SPD möchte damit aber erst 2029 beginnen, wenn die Legislaturperiode also schon fast wieder abgelaufen ist. Dafür wollen die Sozialdemokraten eine Erhöhung des Reichensteuersatzes von 45 auf 49 Prozent, des Spitzensteuersatzes von 42 auf 47 Prozent und des Steuersatzes auf private Kapitaleinkünfte von 25 auf 30 Prozent, außerdem eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer.
Differenzen gibt es zudem bei der konkreten Gestaltung des Aufrüstungskurses, auf den sich Union und SPD bereits verständigt haben. So wollen CDU/CSU die Wiedereinführung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht, während die Sozialdemokraten das Modell einer »neuen Wehrpflicht« favorisieren, wie es Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorgeschlagen hatte.
Als weitere Themen stehen Mindestlohn und Rente, Gesundheit und Pflege sowie Energiepolitik und das Tariftreuegesetz auf der Liste der noch zu klärenden Fragen. Für deren Lösung würden sich die Beteiligten nun Zeit nehmen, so CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt am Freitag. »Und das ist eine Zeit, die wird jetzt auch nicht Monate dauern, aber ein paar Tage nimmt das in Anspruch.« Die nächste Woche sei für »intensivste« Verhandlungen vorgesehen. »Und dann muss man einen Willen haben, den Knoten auch durchzuschlagen. Diese Bereitschaft, die müssen alle zeigen, da geht es jetzt um eine Verantwortungsübernahme.«
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