Der alte Mann und das Mehr
Von Andreas Schäfler
Im Porträtband »American Jazz Heroes«, für den 50 verdiente Veteranen dem Fotografen und Interviewer Arne Reimer ihre Wohnungstüren öffneten, fehlt er. Was daran liegen könnte, dass der legendäre Schlagzeuger Billy Hart auch mit 84 Jahren eher selten zu Hause ist, sondern noch immer hoch getaktet zu Konzertauftritten, Plattenaufnahmen und Lehrveranstaltungen pendelt.
Wer mehr als nur ein Dutzend Jazzalben sein eigen nennt, dürfte bei Durchsicht der Besetzungslisten mit großer Wahrscheinlichkeit rasch auf seinen Namen stoßen. Eigene Platten hat er zwar auch veröffentlicht, das neue Album »Just« ist sogar schon das dreizehnte, aber als Billy Harts Hauptwerk muss man wohl seine markante Sidemanpräsenz bei inzwischen rund 700 Einspielungen und unzähligen Konzerten bezeichnen. Seit den frühen 1960er Jahren spielt(e) er mit den Größen seiner Zunft und der jeweiligen Epoche – von Wes Montgomery bis zu Charles Lloyd, wies als einer der prominenten Americans in Europe (namentlich in Kopenhagen) aber auch aufstrebenden Newcomern den Weg und ging dabei manchmal sogar an die Ränder des Genres: Auch ein Johannes Enders und sein Tied & Tickled Trio wissen, wie beglückend das Interplay mit Billy Hart verlaufen kann: Weil er mit jedem Solisten vorbehaltslos mitgeht.
Das Quartett mit Mark Turner (Tenorsaxophon), Ethan Iverson (Klavier) und Ben Street (Kontrabass) hält Hart seit mehr als 20 Jahren am Laufen, und so können sich die vier auf »Just« nach Herzenslust verausgaben. Turners Vokabular spürt sowohl der Power von John Coltrane als auch dem Glanz von Warne Marsh nach, bei Iverson klingt von Monk bis Herbie Hancock die komplette Schule des vertrackten Jazzklaviers an, während Ben Street als Stoiker im besten Sinn und Billy Hart als sprühender Zeremonienmeister ihrer ungleichen Ämter walten. Harts Schlagzeugspiel ist so variantenreich wie eh und je und macht sich instinktsicher alles zunutze, was die Kompositionen (vier vom Akademiker Iverson, drei vom Lyriker Turner und drei vom Leader selbst) an Herausforderungen aufbieten. Aus Billy Hart ist längst geworden, was er immer schon am liebsten sein wollte: ein Schlagzeuger, der sein Instrument zum Singen bringt.
Seit Max Roach und Kenny Clark zu Bebopzeiten das Getrommel aus der reinen Rhythmusknechtschaft befreiten, sind viele Melodiker auf den Plan getreten. Als seine prägenden Einflüsse nennt Hart die Kollegen Tony Williams und Elvin Jones, denen es plötzlich um soviel mehr als bloß um Taktung ging. Isoliert man bei einem beliebigen Jazzstandard die Tonspur der Drums, lässt sich im besten Fall ja schon über die Konturen von Trommel- und Beckenspiel ermitteln, welcher Klassiker da gerade zur Strecke gebracht wird. »Man lernt schon jede Menge über Swing, wenn man Billy nur zuschaut, wie er mit einem Fremden spricht«, sagt Pianist Iverson, »dieser Mann ist Jazz.«
Bei aller authentischen DNA bleibt seine Musik aber konsequent nach vorn ausgerichtet, und es ist der Freiheitsdrang von »Just«, in dem die sehr unterschiedlichen Temperamente dieser Band zusammenfinden, manchmal auf geradezu majestätische Weise. Billy Harts Komposition »Layla-Joy« von seinem 1977er »Enchance«-Album wird hier einer verwegenen Frischzellenkur unterzogen, das singbare Thema mit dem mexikanischen Volksliedeinschlag löst sich in abstrakte Splitter auf und findet auf abenteuerlichen Wegen wieder zum Ausgangsmotiv zurück – angeführt von einem Billy Hart, der ständig präsent ist und dabei nicht mal halb soviel Wind macht, wie man es bei Jazzdrummern jederzeit befürchten muss. Auf ein Solo verzichtet er ganz, und auch das gereicht seinem alten Künstlernamen Jabali (suahelisch für Weisheit) zur Ehre.
Billy Hart Quartet: »Just« (ECM)
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Feuilleton
-
Good Vibrations
vom 29.03.2025 -
Theoretisches Topfschlagen
vom 29.03.2025 -
Zu gütig
vom 29.03.2025 -
Narren erlaubt
vom 29.03.2025 -
Nachschlag: Scoop mit Folgen
vom 29.03.2025 -
Vorschlag
vom 29.03.2025 -
Veranstaltungen
vom 29.03.2025