Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 29.03.2025, Seite 11 / Feuilleton
Medien

Narren erlaubt

Uniformes Denken und Pluralismus in TV-Debatten
Von Felix Bartels
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Narren laden Narren zum Gespräch

Wie entsteht Gleichklang, wie uniformes Denken in einer Bewusstseinsindustrie, die ohne Zensur auskommt? Die Frage interessiert, wo die Mehrheitsmeinung sich wider Evidenz etabliert. Aktuell etwa bei der Frage der Kriegstüchtigkeit, hier ist die bellizistische Forderung nur haltbar, wenn man das reale Kräfteverhältnis Russlands und der NATO-Armeen bei Personal, Technik, Rüstungsumfeld und Waffenstärke ignoriert.

Man kann den Gleichklang der Meinungen als kollektive Psychose deuten. Gewiss verstärkt Gruppendynamik einiges, als System gegenseitiger Versicherung, als tautologisches Netz von Referenzen, als Überführen stumpfer Affekte in ein abgedichtetes Gerüst von Argumenten. Dennoch muss die Meinung erst mal in die Köpfe, und da spielen politische TV-Debatten eine Schlüsselrolle. »Maischberger«, »Illner«, »Hart aber fair« sind dem Common Sense ebenso Stichwortgeber wie Legitimation der eigenen vagen Vermutungen. Redaktionelle Entscheidungen in diesen Formaten haben große Auswirkungen.

Gleichwohl sehen die Formate sich dem Pluralismus verpflichtet. Dass NATO-Narrative wider die faktische Lage geglaubt werden, widerspricht dem Umstand, dass Widerspruch zugelassen ist. Redaktionen aber stellen Weichen, bevor die Sendung beginnt. Schon numerisch, bei der Besetzung der Stühle. So wie es eine False Balance gibt, gibt es auch eine False Imbalance. Dass das Verhältnis bei den Gästen seit Beginn des Krieges zwischen 2:3 und 1:4 zugunsten bellizistischer Positionen schwankt, wird über die zu hörenden Aussagen hinaus selbst zur Aussage. Der durchgehende Eindruck, in der Minderheit zu sein, wirkt als durchgehende Delegitimierung kriegsgegnerischer Positionen. Wichtiger aber wird die qualitative Besetzung der Stühle. Dem Kriegsgegner wird im Diskurs eine bestimmte Rolle zugeordnet. Während auf der bellizistischen Seite moralisierende und fachkundige Teilnehmer zusammenspielen, werden auf der Gegenseite ausschließlich moralisierende Teilnehmer vorgelassen. Derart, durch die Zuschreibung der Rollen im Diskurs, schafft man ein Setting, durch das die Vertreter der Kriegstüchtigmachung gewonnen haben, noch ehe das erste Wort gesprochen ist.

Wenn einer nur als Narr die Bühne betreten darf, spielt keine Rolle mehr, was er sagen wird.

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