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Aus: Ausgabe vom 01.04.2025, Seite 8 / Ansichten

Unerschrockene Justiz

Marine Le Pen in Frankreich abgeurteilt
Von Hansgeorg Hermann
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Zwei Seiten derselben Medaille: Protest gegen die politische Rechte am 22. März in Paris

Das Urteil gegen Marine Le Pen, diese seit mehr als einem Jahrzehnt zentrale Figur der europäischen extremen Rechten, konnte härter kaum ausfallen. Es wurde in einer politischen Atmosphäre gesprochen, die eigentlich die Angeklagte und ihre lautstarken Anhänger in Frankreich selbst, aber auch ihre Freunde und Nachahmer in Ungarn, Italien oder Deutschland zu begünstigen schien. Rechtsgelehrte, Kommentatoren und andere im französischen TV immer wieder gern befragte Koryphäen der politischen Analyse äußerten sich noch kurz vor der Urteilsverkündung vorsichtig und bezweifelten, dass die drei Richter das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß gegen Le Pen und ihre Helfer verkünden würden.

Unerschrocken, wie schon in den zahlreichen Prozessen gegen den früheren Staatschef Nicolas Sarkozy, bewiesen sie das Gegenteil. Sie bestanden darauf, dass die Wiederholung der Le Pen angelasteten Straftaten – Plünderung der Staatskassen, Betrug an der Wählerschaft, Korruption und die damit verbundene Arroganz der politischen Kaste – nur durch Freiheitsentzug und hohe Geldstrafen verhindert werden könne. Rechtsprechung, die Gerechtigkeit einschließt, hatte man in Frankreichs V. Republik bis dato selten gesehen.

Was die außerordentliche Lässigkeit betrifft, mit der in den vergangenen Jahrzehnten Figuren wie die rechten Präsidenten Sarkozy und Jacques Chirac oder ihre korrupten Regierungschefs und Minister – Édouard Balladur, Brice Hortefeux, Claude Guéant oder auch der Sozialdemokrat Jérôme Cahuzac – Gesetze brachen, scheint sie die Argumente der Strafrichter zu bestätigen. Le Pen wird, wie schon Sarkozy, für zwei Jahre eine elektronische Fußfessel am Bein haben. Desgleichen wohl einige ihrer Gefolgsleute aus der politischen Provinz, wie Louis Aliot, der nicht mehr als Bürgermeister von Perpignan weitermachen darf.

Alles halb so schlimm, tönt es derweil aus der Zentrale des Rassemblement National. Es folge nun einfach der »Plan B« – B wie Bardella. Der junge Jordan ist in der Tat darauf vorbereitet, die Rolle seiner Mentorin zu übernehmen. Parteichef ist er schon seit September 2021, nun auch Kandidat für die Präsidentschaftswahl 2027. Bei der französischen Jugend kommt der 29jährige gut an, noch viel besser als »Mutter« Marine, und von deren Faschovater Jean-Marie Le Pen redet ohnehin keiner mehr. Die Partei ist dabei, sich zu verjüngen, die aussichtsreichste politische Formation ist sie längst. In Bardellas Schublade liegt der Plan, wie es weitergehen könnte, würde er Präsident der Republik: Ein von ihm befohlenes Referendum, das eine Verfassungsänderung vorsieht – Frage: Frankreich den Franzosen? Zu beantworten mit »Ja« oder »Nein«. »Xénophobie d’État«, zu besichtigen in den USA des Autokraten Donald Trump. Problemlos umzusetzen wäre das in nur 100 Tagen, warnte am Montag der Linksintellektuelle Pierre-Yves Bocquet.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Olaf M. aus München (1. April 2025 um 15:05 Uhr)
    Habe ich da richtig gelesen: »Rechtsprechung, die Gerechtigkeit einschließt, hatte man in Frankreichs V. Republik bis dato selten gesehen«?! Das kann nur bedeuten, dass der Autor der Zeilen das Urteil gegen Marine Le Pen gutheißt, was ich äußerst bedenklich finde. Man kann von Le Pen halten, was man will, aber in erster Linie gilt es, Demokratie und Rechtsstaat zu verteidigen. Beides wird in der EU gerade mit Füßen getreten; siehe Rumänien, siehe Deutschlands putschartige Grundgesetzänderungen zur Finanzierung von Hochrüstung und nun in Frankreich, wo ähnlich der Situation in Rumänien ein unliebsame aussichtsreiche Präsidentschaftskandidatin mittels zweifelhafter juristischer Verfahren aus dem Weg geräumt wird. Die Verwendung von Geldern des EU-Parlaments für Mitarbeiter von Abgeordneten ist bekanntlich eine juristische Grauzone. Jeder hat Dreck am Stecken, nur bei manchen wird halt darauf geschaut. Als Linker sollte man sich über das französische Urteil nicht freuen. Sollte es einmal eine ernstzunehmende linke Opposition geben, kann man davon ausgehen, dass die gleichen rechtsstaatswidrigen Mittel gegen sie angewendet wird.
  • Leserbrief von Klaus-Peter Häußer aus Neustadt-Glewe (1. April 2025 um 13:13 Uhr)
    Unerschrockene Justiz? In Frankreich, wie auch bei uns, sind die Richter Weisungsbefugte der Staatsanwaltschaften resp. sitzt der oberste Chef im Justiz-Ministerium. Da ist nichts, was der Überlegung wert wäre. Wir befinden uns in einer Gesellschaft, wo kein Anstand mehr herrscht, Sitte schon gar nicht. Insofern hat LePen ihr eigenes Handeln eingeholt.

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