Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 08.04.2025, Seite 11 / Feuilleton
Rosa-Luxemburg-Preis

»Wir sollten uns auch die Spötter genauer ansehen«

Über Rolf Becker, Franz Josef Degenhardt, Kabarett und Kaninchen, die auf Füchse warten. Ein Gespräch mit Andreas Rebers
Von Interview: Hagen Bonn
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»Was passiert, wenn es um die Macht geht?« – Andreas Rebers

Dem Schauspieler Rolf Becker wird am 12. April in Berlin der Rosa-Luxemburg-Preis überreicht, der von der Tageszeitung junge Welt und der Kulturzeitschrift Melodie & Rhythmus erstmalig verliehen wird. Die Preisträger sollen sich konsequent für Frieden, Antifaschismus, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung sowie für die internationale Solidarität und für politische Aufklärung einsetzen. All dies träfe auch auf den 2011 verstorbenen Breitbandkünstler Franz Josef Degenhardt zu, der vor allem als Liedermacher und Schriftsteller bekannt wurde. Wie kommt es, dass Sie mit Ausschnitten aus Ihrem Degenhardt-Programm im Babylon auftreten und die Ehrung von Becker begleiten?

Das ist leicht zu beantworten. Ich wurde eingeladen, und ich freue mich über die Einladung der Tageszeitung junge Welt, weil ich seit Jahren ein Zitat von Rosa Luxemburg in meinen Programmen verwende: »Sieh, dass du Mensch bleibst. Mensch sein ist von allem die Hauptsache. Und das heißt fest und klar und heiter sein, ja heiter, trotz alledem.«

Degenhardt textete in seinem »Ostermarschlied 68«: »Macht endlich Schluss mit diesem faulen Frieden, mit unserer Angst, die man hier täglich schürt. Sonst wird uns wieder mal ein sogenanntes Los beschieden, das uns zum dritten Male an die Schlachtbank führt.« Der Text passt leider bestens zum aktuellen Aufrüstungsirrsinn. Aber drängender sind die Fragen: Wo ist die Friedensbewegung hin? Und kommt da noch was?

Nicht wirklich. Ich bin da sehr pragmatisch, und ich sehe die Proteste eher skeptisch. Sie kommen mir vor wie politische Artigkeiten und erinnern an tapfere Kaninchen. Interessant wird es doch erst dann, wenn der Fuchs auftaucht. Schauen Sie einmal in die Türkei. Was passiert, wenn es um die Macht geht?

Ein Schriftstellerkollege meinte kürzlich in einem Gespräch mit mir, er ließe es fortan sein, die gängigen Kabarettformate im Fernsehen zu schauen. Wenn er Lust darauf hätte, würde er gezielt »Maischberger« oder »Markus Lanz« einschalten. Wie sehen Sie das?

Ihr Kollege muss unbedingt zu mir ins Soloprogramm kommen. Kabarett ist die neue außermediale Opposition. Der Klassenfeind ist listenreich und mitunter wechselt er auch mal die Seite. Wie finden sie den Begriff »Meinungsmarkt«? Ereignis wird Information. Information wird zum Produkt. Und jetzt fehlt nur noch der Konsument. Früher trennte man Information und Unterhaltung. Dann hieß es »News« und »Entertainment«. Auf einmal gab es »Infotainment«. Und nun: »Politainment«. Jetzt werde ich unterhaltsam informiert – oder informativ unterhalten. »Maischberger« und »Lanz« sind ja keine Informationssendungen, sondern getextete Unterhaltungsprodukte. Und Produkte wenden sich nun mal an den Verbraucher. Und nicht an den Bürger. Und schon gar nicht an den Wähler.

Wie schätzen Sie die Lage des Kabaretts heute ein? Oder die Freiheit der Kunst im allgemeinen? Einige beklagen einen »verengten Meinungskorridor«, Stichwort »Gaza«, Stichwort »Staatsraison«. Spüren Sie da Veränderungen?

Gaza lasse ich gern raus, weil das für mich eine andere Ebene braucht. Bleiben wir beim Kabarett. Ich bin ja ein klassischer Bühnenkünstler und kein TV-Moderator. Als ich mit dem professionellen Kabarett anfing, machten Kabarettisten Fernsehen: »Scheibenwischer«, »Gesellschaftsabend«, »Fast wia im richtigen Leben«, »Neues aus der Anstalt« und so weiter. Heute macht Fernsehen Kabarett. Das ist was völlig anderes! Dazu kommt die gewollte Entpolitisierung des Genres durch die Vermischung mit belangloser Comedy. Das jetzige TV-Kabarett ist wie »Lanz« und Co. eingepflegt in das Portfolio der Sender, um die Zielgruppe bei der Stange und in der Quote zu halten. Für die Clowns gilt, dass Überraschungen schlecht fürs Geschäft sind. Alles andere regeln der Markt und der Endverbraucher. Das TV-Kabarett ist also so was wie »Inga Lindström« für Jusos und Erstsemester. Und trotzdem fragt »Scobel« auf 3sat, ob Kabarett der »bessere Journalismus« sei. Gott bewahre! Und schon sind wir wieder bei Väterchen Franz: »Schlechte Zeiten sind das / Für Spaßmacher, Spötter, Kabarettist!« Und was erschwerend hinzukommt: Das Böse gedeiht im Schatten des Spottes über dasselbige. Wir sollten uns also auch die Spötter genauer ansehen

Verleihung des Rosa-Luxemburg-Preises an Rolf Becker, Sonnabend, 12. April, Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, 10178 Berlin. Beginn: 15 Uhr, Einlass ab 14.30 Uhr, Eintritt: 15 Euro (ermäßigt), 23 Euro (normal), 30 Euro (soli)

Andreas Rebers wuchs im niedersächsischen Weserbergland auf. Er studierte u. a. Akkordeon und wurde 1989 Musikalischer Leiter des Schauspiels am Staatstheater Braunschweig. Mittlerweile tourt er erfolgreich mit Chansons, Liedern und Kabarettprogrammen durch den gesamten deutschsprachigen Raum. Andreas Rebers lebt mit seiner Familie in München.

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