Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 08.04.2025, Seite 10 / Feuilleton
Rock

It’s the voice

Komplexer rocken: Rosalie Cunningham und Band spielten in Bochum
Von Frank Schwarzberg
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Apropos expressiv: Rosalie Cunningham und Band live in Bochum (5.4.2025)

Dem großen Richard Thompson wurde einmal von einem Anzugträger einer größeren Plattenfirma geraten, etwas weniger Halbtöne in die Songs zu packen. So im Sinne der Verkaufszahlen. Vielleicht sei es eine noch bessere Idee, soll Thompson geantwortet haben, ganz auf die lästigen Töne zu verzichten. Die Anekdote fiel mir ein, als ich auf die Musik von Rosalie Cunningham stieß.

Mrs. Cunningham (Purson, Ipso Facto) wird von Vergleichen – erinnert an Joan Jett, klingt wie das Baby von Kate Bush und den Beatles – nicht gerade verschont. Ich pack’ noch einen drauf: Mit ihren verschlungenen Wendungen und Akkordwechseln könnten Cunninghams Songs glatt von den frühen Queen sein. Allerdings etwas dreckiger, verzerrter gespielt und statt Mercurys Falsett in Cunninghams modulationsreichem, manchmal tremolierendem Alt gesungen. Gilt freilich nur für manche Stücke. Rhythmus- und Melodiewechsel, mehrteiliger Songaufbau, rifflastiges Rockgerüst und nicht zuletzt der regelmäßige Griff der Bassistin und Begleitsängerin Claudia Gonzalez Diaz zur Querflöte wecken Erinnerungen an Bands wie Jethro Tull. Und klingt diese Passage nicht nach The Sparks?

Ach, lassen wir das – Rosalie Cunningham und Band bedienen sich munter bei den ausschweifenden, überdrehten Spielarten der 70er Rockmusik, klauen hier, zitieren da, setzen es mit großer Ausgelassenheit eigensinnig zusammen.

»20th Century Boy« von T. Rex war Cunninghams erster live performter Song. Da war sie 13. Gut 20 Jahre später tourt die 34jährige aus Southend-on-Sea mit Band und ihren expressiven, intelligenten Songs. Vergangenen Sonnabend spielte sie im Bochumer Kellerklub »Die Trompete«. Apropos expressiv: Endlich mal wieder eine Bassistin, die aus sich rausgeht. Stilecht mit übergroßer 70er Brille schüttelt Diaz die Mähne, tanzt, verrenkt sich, um dann punktgenau ihre Einsätze ins Mikro zu schmettern. Die Frau hat alles im Griff, hält den druckvollen Sound der Band am Köcheln.

Die anderen Mitglieder der Band agieren auch nicht gerade zurückhaltend. Aaron Bolli Thompson attackiert das Keyboard, Bo Walsh prügelt sein Schlagzeug; allein Rosco Wilson, Cunninghams Partner und Koproduzent der drei Studioalben, lässt seine Gitarrensoli, das Rhythmusspiel und gelegentliche Vocals für sich sprechen. Es rockt mehr, als es rollt. Macht nichts.

So gut die Band an ihren jeweiligen Instrumenten und miteinander agiert – der ganze Prog-Psych-Folk-Glam-Heavy-Rock-Stoff wäre nichts ohne Cunninghams Stimme. It’s the voice, stupid. Ihre leicht nölige Altstimme ist wie gemacht für den quetschigen E-Gitarrensound, den Melodienreichtum. Nie verliert sie in den zahlreichen druckvollen Passagen ihre Eleganz. Ihr Tremolo könnte bei anderer Musik too much sein, hier ist es mit seiner immanenten Theatralik genau richtig. Eine fabelhafte Rockgitarristin ist die Frau auch. Mit Wilson teilt sie sich Soli und Rhythmusspiel.

Ein Wermutstropfen. Am Sonnabend in der »Trompete« ist der Sound hinten am Merchandise-Stand am besten. Je näher man der Bühne kommt, desto mehr beeindrucken zwar Energie und Spielfreude der Band, ihre Finesse aber verliert sich, und Cunninghams Stimme versinkt im allgemeinen Brei. What a waste.

Rosalie Cunningham: »To Shoot Another Day« (Esoteric Antenna/Cherry Red Records)

Termine: 2. Mai, Kulturbastion, Torgau; 3. Mai, KFZ, Marburg

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