»Die kritischen Stimmen sind Einzelmeinungen«
Interview: Max Ongsiek
In Thüringen sollen wild lebende Wölfe künftig leichter getötet werden können. Ein am Freitag im Landtag beschlossener Antrag der Regierungskoalition hat sich für das Absenken des Schutzstatus der Tiere ausgesprochen. Dafür will sich die Landesregierung auf Bundes- und EU-Ebene einsetzen. Welche Konsequenzen hat die Annahme dieses Antrages für den Wolf in Thüringen?
Wir haben gerade mal zwei Rudel Wölfe und zwei Paare. Und jetzt sollen hier in Thüringen politische Scheinlösungen angeboten werden, die aber letztlich sowohl der Regierung auf die Füße fallen werden als auch den Menschen, die eine Lösung erwarten. Wenn der eine Wolf abgeschossen ist, kommt der nächste.
Wir haben ganz andere Schadensfälle in der industriellen Tierhaltung, aber selbstverständlich auch beim Kleintierhalter. Das sind Abgänge durch Totgeburten, falsche Haltung, Krankheiten, Vernachlässigung, teilweise auch durch Zwangstötung. So sind zum Beispiel im Jahr 2023 in der Tierhaltung in Thüringen 4.771 Schafe zu Tode gekommen. Die Zahlen der Risse durch den Wolf lagen 2023 dagegen bei 47. Davon wiederum hätte ein Großteil der Risse vermieden werden können, wenn man den Herdenschutz im Vorfeld optimiert hätte, und dafür braucht man eben keine 2,20 Meter hohen Zäune! Wolfrisse fallen also volkswirtschaftlich gesehen kaum ins Gewicht, auch wenn selbstverständlich nachzuvollziehen ist, dass Tierverluste für Weidetierhaltende immer schwer wiegen. Es ergibt allerdings keinen Sinn, mit dem Abschuss einer streng geschützten Art zu reagieren.
Was können Sie über den Schutz für Viehherden durch Zäune und ähnliche Maßnahmen in Thüringen sagen?
Grundsätzlich läuft es in der Fläche gut. Der Grundschutz, also 90 Zentimeter hohe Elektrozäune, halten die Wölfe zum Großteil ab. Wenn da aber nicht ausreichend Strom fließt, buddeln die sich unten durch, über den Zaun springen Wölfe eher selten. Der Schäfer, der betrieblich gezwungen ist, sich bei der Beweidung mit dem Schutz seiner Tiere auseinanderzusetzen, wird in Thüringen von der Landesregierung mittlerweile vorbildlich unterstützt. Bis zu 100 Prozent seiner Ausgaben bekommt er bezahlt.
Unterscheidet sich denn die Wolfspolitik der jeweiligen Länder voneinander oder sind sie da auf einer Linie?
Das ist unterschiedlich. Thüringen unterstützt mit Brandenburg – wegen des gemeinsamen Koalitionspartners BSW – eine Bundesratsinitiative zum Umgang mit dem Wolf. In Thüringen sind wir bis jetzt im Grunde einen sehr guten Weg gegangen. Das bisherige grüne Umweltministerium hat da sehr gute Bedingungen für die Weidetierhalter geschaffen. In der Arbeitsgruppe »Wolf und Luchs« beim Umweltministerium saßen alle Interessengruppen wie zum Beispiel Weidetierhalter, Jäger und Verbände am Managementplan, die wiederum an der »Förderrichtlinie Wolf/Luchs« mitgearbeitet haben. Zum Schluss waren alle zufrieden. Die jetzt kritischen Stimmen sind lediglich Einzelmeinungen.
Als Reaktion auf den Antrag der Regierungskoalition hat die Linke-Fraktion am Freitag einen Änderungsantrag ausgegeben, der keine Mehrheit erhielt. Er setzte auf Koexistenz mit dem Wolf sowie auf Schutzzäune und Herdenschutzhunde. Wie beurteilen Sie diesen Alternativantrag?
Wir müssen ganz klar sagen: Der einzige für uns sachlich gut konstruiert und vorgetragene Antrag hinsichtlich Lösungen für Weidetierhaltung, Mensch und Wolf – also Naturschutz – ist der Vorschlag der Linken gewesen. Er ist sachorientiert, faktenbasiert und er hat vor allem alle Interessengruppen und auch den Naturschutz im Blick.
Die vorgebrachten Argumente der Befürworter des Wolfabschusses sind alles andere als neu. Weshalb hält sich der Drang, Wölfe wieder abschießen zu dürfen, so hartnäckig?
Es sind überwiegend immer wieder empörte Einzelstimmen. Das muss man auch ernst nehmen. Aber wir dürfen die Herdenschutzmaßnahmen, die wir in Thüringen haben, nicht für diese Einzelmeinungen opfern, sondern müssen dort nachbessern, wo Schwachstellen bestehen. Wir haben viele Jäger, die sagen: »Der Wolf ist für mich ein guter Anblick.« Aber dann wird wieder ein Hof attackiert, der 20 Meter neben der Siedlung liegt. Darauf folgen dann Kampagnen, die tatsächlich ganz bewusst gesteuert werden.
Silvester Tamás ist Koordinator des sogenannten Luchsprojekts beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu) Thüringen e. V.
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