»Sie beugt sich lieber der Staatsräson«
Interview: Yaro Allisat
Sie haben wegen des Tragens einer Kufija, auch als Palästinensertuch bekannt, Hausverbot bei der Gedenkfeier zur Buchenwald-Befreiung am Wochenende in Weimar bekommen. Wie wurde das begründet?
Das Tragen der Kufija widerspreche dem Stiftungszweck und der Bezug zu gegenwärtigen Auseinandersetzungen habe beim Jahrestag der Befreiung nichts zu suchen, hieß es. Das steht so klar nicht in der Hausordnung, die relativ schwammig ist, auch wenn »objektiv dem Stiftungszweck widersprechende Symbole« dieses Jahr als nicht gestattet ergänzt wurden.
Was halten Sie von dieser Begründung?
Es ist ein absoluter Eklat, dass eine von Steuergeldern finanzierte Gedenkstätte versucht, Menschen aufgrund ihrer Solidarität mit den Palästinensern von der Gedenkstätte fernzuhalten, gerade vor der Aktualität der deutschen Beteiligung am Völkermord in Gaza. So wurde auf Druck der israelischen Botschaft auch der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm ausgeladen. Und nachdem eine Vertreterin einer europäischen Jugenddelegation den Bezug zum Genozid in Gaza gemacht hatte, fühlte sich Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner genötigt, klarzustellen, dass es sich in Bezug auf Gaza »nicht gehöre, von einem Genozid zu sprechen«.
Dass aktuelle Bezüge am Tag des Gedenkens generell nicht geduldet seien, stimmt nicht. Dazu braucht man sich nur die Reden der offiziellen Gedenkveranstaltung anzuhören. Es ist eine politische Auslegung, die offensichtlich den Meinungen der Stiftungsmitarbeitenden entspricht. So zeigte uns ein Mitarbeiter grinsend seinen Israel-Anstecker. Dass Fahnen laut Hausordnung verboten sind, scheint in seinem Fall nicht zu zählen.
Sehen Sie darin eine Anbindung an die sogenannte Staatsräson?
Der Zweck der Gedenkstätte ist das Gedenken an die Opfer von Buchenwald. Diese haben mit dem Schwur von Buchenwald ihren Wunsch klar formuliert: den fortgesetzten Kampf gegen den Nazismus, die Verurteilung aller Schuldigen und den Einsatz für Frieden. Die deutsche Staatsräson widerspricht diesen Zielen. Sie ermöglicht es, sich von der deutschen Vergangenheit freizusagen, ohne sie verstanden und aufgearbeitet zu haben, und wieder aufzurüsten. Deshalb ist ein Gedenken, das aktuelle Kontinuitäten des Faschismus betont und seine Ursachen wirklich beleuchtet, ein wunder Punkt dieser Staatsräson. Die Gedenkstätte hatte anscheinend, wie wir vor Ort erfuhren, die Polizei explizit angewiesen, Menschen mit Kufijas den Eintritt zu verwehren.
Angesichts der politischen Entwicklungen in Deutschland überrascht es nicht, dass die Gedenkstätte sich lieber der Staatsräson beugt, als die Wünsche der Opfer zu berücksichtigen. Immer stärker wird versucht, die Geschichte zu instrumentalisieren, damit Deutschland Krieg führen kann. Kritische Stimmen werden als antisemitisch diffamiert und sollen mundtot gemacht werden. Das zeigen die Resolutionen ebenso wie das Agieren der Gedenkstättenleitung.
Werden Sie gegen das Hausverbot vorgehen?
Ich werde rechtliche Schritte prüfen, damit die Gedenkstätte nicht mehr willkürlich entscheiden kann, wer der Opfer des Faschismus gedenken kann. Genau deshalb habe ich auf ein schriftliches Verbot bestanden. Davor wollte sich die Gedenkstätte drücken. Solange wir formale Rechte haben, müssen wir diese nutzen. Wenn wir uns nicht wehren, werden unsere Grundrechte immer weiter eingeschränkt. Ich lasse mich nicht einschüchtern.
Wie könnte ein Gedenken mit Gegenwartsbezug aussehen?
Antifaschismus heißt Kampf gegen Faschismus mit seinen Wurzeln. Wer sich als Antifaschist versteht, kann also nicht den aktuellen Kampf gegen Rassismus, Unterdrückung und imperialistische Verbrechen ignorieren. Aus der Beschäftigung mit Buchenwald kann man viel lernen: Wie die Weimarer Bevölkerung wegsah, wie die Häftlinge sich trotz widrigster Bedingungen organisierten und Widerstand leisteten. Die BRD wurde nie entnazifiziert. Auf ihr Gedenken und ihre Geschichtsschreibung können wir uns also nicht verlassen.
Anna M. ist antifaschistische, propalästinensische Aktivistin in der »Kommunistischen Organisation« (KO)
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Montecruz Foto08.04.2025
Senat bleibt hart
- Hatem Khaled/REUTERS08.04.2025
Journalisten verbrannt
- Mohamed Azakir/REUTERS07.04.2025
Die Krise des Internationalen Strafrechts
Mehr aus: Inland
-
»Die kritischen Stimmen sind Einzelmeinungen«
vom 08.04.2025 -
Schulen zu nach Drohbrief
vom 08.04.2025 -
Panik nach Lehrbuch
vom 08.04.2025 -
Senat bleibt hart
vom 08.04.2025 -
Dämme gebrochen
vom 08.04.2025 -
»Full Shot« von Rheinmetall
vom 08.04.2025 -
Studentengruppen: TU Berlin bricht Zivilklausel durch Zusammenarbeit mit Thyssen-Krupp Marine Systems
vom 08.04.2025