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Aus: Ausgabe vom 10.04.2025, Seite 6 / Ausland
Österreich

Razzien gegen Grazer Antifa

Österreich: Behörden machen Antifa für Vorfall nach Burschenschaftsveranstaltung verantwortlich, fahren große Geschütze auf
Von Alieren Renkliöz
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Auch im kommunistisch regierten Graz sind Antifaschisten offenbar verdächtiger als Ultrarechte (25.1.2025)

Die Grazer Polizei zerstört im Zuge einer Razzia gegen Antifaschisten die Wohnungstür mit einer Kettensäge. Mit geladenen Maschinengewehren bewaffnete Polizisten zwingen eine Frau, die mit den Verdächtigen in einer Wohngemeinschaft lebt, sich auf den Boden zu legen. Sie ist halbnackt. Es gibt keine Vorwürfe gegen sie. Grund für dieses rabiate Vorgehen ist ein verletzter Altburschenschafter und seine entwendete Kappe.

Unbekannte sollen dem 60jährigen Besucher des Grazer Akademikerballs in der Nacht auf den 26. Januar seine ideologisch aufgeladene Mütze gestohlen haben. Der Akademikerball ist ein Vernetzungstreffen von Burschenschaftern und extrem Rechten. Der Geschädigte ist laut jW-Informationen FPÖ-Politiker. In der Nacht des mutmaßlichen Angriffs erlitt der Mann Rippenbrüche und musste im Krankenhaus behandelt werden. Wie aus linken Kreisen in Graz zu vernehmen ist, soll der Burschenschafter stark betrunken gewesen sein. Niemand habe ihn körperlich angegriffen, und er sei wahrscheinlich nach dem Mützenklau gestürzt.

Zwei Verdächtige gelten als Haupttäter, fünf weitere werden der Mittäterschaft bezichtigt. Die Antifaschisten sollen, so die Strafverfolgung, eine kriminelle Vereinigung gebildet haben. Nachdem die Polizei am 3. und 4. März Razzien bei einem Mann und einer Frau durchgeführt hatte, folgten weitere Hausdurchsuchungen am 14. März. Etwa 30 Polizeikräfte – unter anderem das Einsatzkommando Cobra, das gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität eingesetzt wird – waren hierfür im Einsatz. Da die Angreifer die Mütze des Mannes mitnahmen, legt das Landesamt für Staatsschutz und Extremismusbekämpfung (LSE), das die Ermittlungen leitet, den Verdächtigen schweren Raub zur Last. Hierfür drohen fünf bis 15 Jahre Haft.

Zwei der Antifaschisten, gegen die in Graz ermittelt wird, waren im Urlaub, als sie erfuhren, dass das LSE und die Staatsanwaltschaft mit europäischem Haftbefehl, Interpol und Fahndungsfoto nach ihnen suchen lässt. Die beiden deutschen Staatsangehörigen stellten sich der Grazer Polizei am 18. März. Das LSE Steiermark hielt sie dann über mehrere Tage fest. Auch der Verfassungsschutz verhörte die Männer. Der Haftrichterin genügten die Beschuldigungen jedoch nicht für eine weitere Inhaftierung, so dass sie die sofortige Freilassung aus der U-Haft anordnete. Schließlich griffen die Behörden auf die Fremdenpolizei zurück, die die Freigelassenen direkt vor dem Gebäude abfing und erneut festnahm. Sie prüfte, ob eine Abschiebung nach Deutschland ohne Gerichtsverfahren möglich wäre.

Die Ermittler sehen eine Verbindung zwischen den Verdächtigten und der »Offensive gegen Rechts« (OGR). Schon im Vorfeld der Razzien ist die Gruppe vermehrt mit Repression konfrontiert gewesen, so durfte sie am Frauenkampftag keine Demo anmelden. Die OGR organisierte am 25. Januar eine Demonstration gegen den Akademikerball. An dieser Veranstaltung sollen auch die Verdächtigten neben rund 2.000 Demonstranten teilgenommen haben.

Seit Dezember vergangenen Jahres ist der FPÖler Mario Kunasek Landeshauptmann der Steiermark, deren Hauptstadt Graz ist. Gegen ihn läuft derzeit im Zusammenhang mit der sogenannten Grazer Spesenaffäre ein Verfahren wegen Korruption. Er ist der erste rechte Politiker an der Spitze der Steiermark und das einzige »blaue« Landesoberhaupt in Österreich. Schon als FPÖ-Chef Herbert Kickl das Innenministerium leitete, zeigten die Freiheitlichen große Bereitschaft, ihre parlamentarische Macht zu missbrauchen. So ließ Kickl die Räume des Verfassungsschutzes durchsuchen. Nach jW-Informationen sollen der Geschädigte sowie der Präsident des steirischen Landtags, Gerald Deutschmann, Mitglied derselben Burschenschaft sein, der Marcho Teutonia in Graz. Zudem habe der Geschädigte jW-Informationen zufolge denselben Anwalt wie Martin Sellner, ein führendes Mitglied der ultrarechten Identitären Bewegung. Inwiefern diese Verbindungen mit dem rabiaten Vorgehen der Polizei zusammenhängen, bleibt unklar.

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