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Aus: Ausgabe vom 11.04.2025, Seite 4 / Inland
Urteil gegen Verfassungsschutz

Lesekreis doch kein Staatsfeind

Hamburg: Marxistische Abendschule wehrt sich erfolgreich gegen den Inlandsgeheimdienst
Von Kristian Stemmler
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Schlappe für den Verfassungsschutz: Das Verwaltungsgericht Hamburg hat einer Klage der Marxistischen Abendschule Hamburg (MASCH) gegen den Inlandsgeheimdienst stattgegeben. Das Landesamt für Verfassungsschutz muss in seinem Jahresbericht 2021, in dem die MASCH als vermeintlich »linksextremer« Akteur genannt wird, diese Erwähnung schwärzen. Von einem »absoluten Sieg, auch für die gesamte Linke« sprach Wolfgang Kunkel, beim Trägerverein »MASCH Hamburg – Forum für Politik und Kultur e. V.« für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, am Donnerstag gegenüber jW. Der Verein sei »sehr zufrieden« mit dem am Mittwoch publizierten Urteil, »zumal Linke es vor Gericht ja nicht immer leicht haben«.

Seit 2015 erwähnte das Landesamt die Abendschule, die sich mit ihren Lesekursen und Veranstaltungen vor allem als Diskussionsforum für marxistische Ideen versteht, in ihren Jahresberichten unter der Rubrik »Gruppierung/Organisation Linksextremismus«. Als Begründung hieß es jeweils, die MASCH führe »alle Probleme der Welt« auf den Kapitalismus zurück und wolle die »freiheitlich-demokratische Ordnung« überwinden, »um an deren Stelle einen Staat zu errichten, der auf den Grundlagen des Marxismus-Leninismus fußt«.

Zum Problem wurde die Erwähnung, als die steuerliche Abgabenordnung 2019 geändert wurde und das Finanzamt der MASCH die Gemeinnützigkeit entzog. Zwar erwähnte der Verfassungsschutz die Abendschule in den Berichten 2022 und 2023 nicht mehr. Dennoch beantragte der Verein im Juni 2023 vor dem VG, die Erwähnungen auch in den Berichten für zurückliegende Jahre zu streichen, was dann in der Verhandlung auf das Jahr 2021 reduziert wurde.

Die Begründung des Urteils liege zwar noch nicht vor, sagte Vereinssprecher Kunkel, aber in der Verhandlung habe sich gezeigt, dass der Vorsitzende Richter die Wertung des Geheimdienstes für wenig plausibel hielt. Die Argumente der als Zeugen gehörten Mitarbeiter des Landesamtes seien »äußerst dürftig« gewesen. So habe man dem Verein vorgeworfen, dass eines der 26 Mitglieder in der DKP ist. Das sei absurd, sagte Kunkel. Die betreffende Person habe keine herausgehobene Funktion im Verein, zur DKP gebe es schon seit den 90ern keine Verbindung mehr.

Auch die Behauptung, die MASCH sei marxistisch-leninistisch, habe der Vorstand in der Verhandlung entkräften können. Man habe die Veranstaltungen der vergangenen fünf Jahre »minutiös aufgelistet«, sagte Kunkel: »Von Marxismus-Leninismus war nirgendwo die Rede.« Deniz Celik, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Bürgerschaft, nannte das Urteil »eine herbe Klatsche für den Verfassungsschutz«. »Wenn selbst Lesekreise in den Augen des Verfassungsschutzes zum Staatsfeind werden, ist das ein alarmierendes Zeichen für die politische Instrumentalisierung einer Behörde«, teilte Celik am Donnerstag mit.

Auch junge Welt wehrt sich gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, hatte damit aber bisher noch keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht Berlin wies im Juli 2024 eine Klage des Verlages gegen den Inlandsgeheimdienst zurück. Der Verlag will das Urteil anfechten.

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