Achtstundentag angezählt
Von Gudrun Giese
Für abhängig Beschäftigte und gesellschaftspolitisch Engagierte enthält der am Mittwoch vorgestellte Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD wenig Gutes. Die vereinbarte Änderung des Arbeitszeitgesetzes ist ein Stein des Anstoßes. Seit 1918 gilt hierzulande der Achtstundentag, und er ist damit offenbar so veraltet, dass er dringend abgeschafft werden muss. Die Koalitionäre in spe wollen jedenfalls eine Wochenhöchstarbeitszeit einführen. Damit kann an einzelnen Werktagen die Arbeitszeit deutlich über acht Stunden liegen, was auch heute in Ausnahmefällen wie bei der Rufbereitschaft von Personal etwa in Krankenhäusern, bei Feuerwehr, Polizei, Wasser- und Stromversorgern möglich ist.
Laut Koalitionsvertrag soll die Neuordnung der Arbeitszeit in Absprache mit »den Sozialpartnern« ausgestaltet werden. Die Verhandler der drei Parteien behaupten, dass »Beschäftigte und Unternehmen (…) sich mehr Flexibilität« wünschten, um mit der wöchentlichen Höchstarbeitszeit Familienarbeit und Beruf besser vereinbaren zu können. Die EU-Arbeitszeitrichtlinie gibt den Rechtsrahmen für die Neuordnung ab.
Vom »Sozialpartner« Verdi kommt allerdings deutliche Kritik: Änderungen im Arbeitszeitgesetz seien nicht akzeptabel, heißt es auf der Homepage der Gewerkschaft. Eine wöchentliche statt einer täglichen Höchstarbeitszeit öffne dem Missbrauch Tür und Tor. »Das Arbeitszeitgesetz schützt Menschen, die ohnehin unter prekären Bedingungen arbeiten müssen – deshalb darf es nicht ausgehöhlt werden«, erklärte der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Werneke. Auch die vereinbarten Anreize zu Mehrarbeit im Koalitionsvertrag seien ein falsches Signal. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnte die designierte Regierung aus CDU/CSU und SPD vor »Beliebigkeit und Aktionismus bei der Änderung des Arbeitszeitgesetzes«, so die Vorsitzende Yasmin Fahimi. »Arbeitszeit ist und bleibt Tarifgeschäft.« Die Gewerkschaften stünden für den Dialog mit den Unternehmen bereit, um gute Arbeit sicherzustellen. Vorwiegend fand das SPD-Mitglied Fahimi aber lobende Worte für den Koalitionsvertrag, der »kluge und vernünftige Pläne« beinhalte, »um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu sichern«.
Positives konnte man auch bei der IG Metall aus dem Koalitionsvertrag herauslesen. Die bereits beschlossenen Sondervermögen für Infrastruktur und die Lockerung der Schuldenbremse seien »der richtige Weg«, befand die Erste Vorsitzende, Christiane Benner. Ob sie dabei auch an die Milliarden für die Rüstungsbetriebe dachte, die zum Organisationsbereich der IGM zählen? Der »Geist der Zusammenarbeit der Koalitionäre« sei spürbar geworden. Nun gehe es darum, vom Verhandeln ins Handeln zu kommen. Das Land brauche Zuversicht, die durch Investitionen und die Förderung neuer Technologien entstehen könnte. »Abbau von Rechten, Flexibilisierung zu Lasten Beschäftigter und Kürzungen« seien nicht hilfreich. Die IG Metall werde die Arbeit der Koalition »an einigen Stellen unterstützend, an einigen Stellen kritisch begleiten«.
Während die Gewerkschaften sich mit den Vereinbarungen arrangieren können, kam deutliche Kritik aus Nichtregierungsorganisationen: Die Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie und fehlende Werbeschranken für Fastfood seien Fehlanreize, sagte Chris Methmann, Geschäftsführer von »Foodwatch«. Die Empfehlungen des Bürgerrats Ernährung hätten CDU/CSU und SPD bei ihren Verhandlungen ignoriert. Der Koalitionsvertrag lese sich statt dessen »wie ein Wunschzettel der Industrie«. Mit scharfer Kritik reagierte Heike Drillisch von der »Initiative Lieferkettengesetz« auf die geplante »Abschaffung von Sanktionen und Berichtspflichten« bei dem Gesetz, das damit bis zur Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie wirkungslos werde – ein »massiver Rückschritt für den Schutz von Menschenrechten und Umwelt entlang globaler Lieferketten«.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (11. April 2025 um 09:03 Uhr)Wenn die Räder rund um die Uhr für den Krieg rollen sollen, dann ist auch rund um die Uhr zu schuften. Die neue Regierung weiß, dass das Volk wird lernen müssen, das auch zu begreifen. Apropos schuften: Warum muss ich bei der ersten Silbe dieses Wortes unwillkürlich an deutsche Gewerkschaftsspitzen denken? Mit ihrem Motto »Dabei sein ist alles«.
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