Fordern statt fördern
Von Niki Uhlmann
»Fordern und fördern« lautete das Credo der Agenda 2010, mit der in der BRD ein gewaltiger Niedriglohnsektor geschaffen wurde. Angelpunkt dieser Massenverarmung zwecks Schaffung von Konkurrenzfähigkeit war und ist das Jobcenter. Es verwaltet die kläglichen Alimentierungen, die Erwerbslose bekommen, bevor es ihnen den nächsten Drecksjob aufhalst. Wer sich weigert, einen Termin versäumt oder keine triftigen Gründe für die eigene Erwerbsunfähigkeit vortragen kann, wird drangsaliert – und das mit bisher ungekannter Härte. Das Jobcenter hat 2024 rund 370.000 Leistungsminderungen verhängt, 63,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Fast 30.000 Menschen wurde knapp ein Dreizehntel der Bezüge gestrichen, die schon in voller Höhe kaum zum Leben reichen.
Die rigorosere Gangart war politisch vorbereitet worden. Allenthalben schwadronierte die bald regierende CDU im Wahlkampf von Sozialschmarotzern, die sofort zur Arbeit gezwungen werden müssten – bestenfalls in Ein-Euro-Jobs, die sonst keiner machen will. Dass Totalverweigerer die absolute Ausnahme darstellen und die Bundesagentur für Arbeit den Sinn solcher Disziplinarmaßnahmen darum bezweifelt, kümmert maximal die Betroffenen, die Regierung jedenfalls nicht. Sie trichtert statt dessen der viel beschworenen Mittelschicht ein, dass die Kürzungen bei den Ärmsten der Armen zu ihren Gunsten seien. Ganz für dumm verkaufen lassen sich all jene, deren Reallöhne seit Jahren stagnieren und die im schlimmsten Fall schon aufgrund der allgegenwärtigen Rezession um ihren Job bangen müssen, aber nicht. Mehr als die Hälfte der Deutschen bescheinigte Blackrock-Merz in einer jüngst durchgeführten Umfrage, für das Kanzleramt nicht geeignet zu sein.
Nur steht auch von den Sozialdemokraten nichts zu erwarten. Die auch bei den Hartz-Reformen federführenden Genossen haben alldem nichts entgegenzusetzen – sie wollen ja regieren. Im Koalitionsvertrag der nunmehr kleinen großen Koalition ist darum von einer »neuen Grundsicherung« die Rede: »Sanktionen müssen schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden können« und sollen bis zum »vollständigen Leistungsentzug« gehen. Das neue Credo lautet folglich nur noch: »Fordern statt fördern.« Aber gegen die wahnwitzige Wirtschaftspolitik – milliardenschwere Subventionen für die Militarisierung, die in zukunftsträchtigeren und bei Gebrauch ihrer Produkte weitaus weniger ruinösen Industrien besser aufgehoben wären – vermag das Stutzen des Sozialstaats nicht zu helfen.
Bleibt zu hoffen, dass es Linken gelingt, diesen Widerspruch derart zuzuspitzen, dass das künftig noch gebeuteltere Wahlvolk gegen den Kurs der inzwischen altgedienten Kartellpolitik aufbegehrt. Noch ist von aufrührerischer Stimmung nichts zu spüren, nicht mal von nennenswertem Widerstand aus den Gewerkschaften oder linken Parteien. Nichts wäre gefährlicher, als dem politischen Block rechts der CDU das Opponieren gegen die heranrollende Verelendung zu überlassen.
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Leserbrief von Richard (11. April 2025 um 06:13 Uhr)jungewelt, da hätte ich mehr von Euch erwartet: »Aber gegen die wahnwitzige Wirtschaftspolitik – milliardenschwere Subventionen für die Militarisierung, die in zukunftsträchtigeren und bei Gebrauch ihrer Produkte weitaus weniger ruinösen Industrien besser aufgehoben wären – vermag das Stutzen des Sozialstaats nicht zu helfen.« Darum geht es auch gar nicht. Es geht um Gewalt. Der Staat zeigt sich übergriffig und gewalttätig. Wer die eine Industrie mit Geld zuwirft – passenderweise eine Gewaltindustrie –, welches ihnen nicht gehört, muss dafür sorgen, dass diejenigen, die dafür aufkommen, die Kröte schlucken und vor allem z. B. vor lauter Existenzkampf nicht aufmucken. Diese Gewalt zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte deutsche Politik: Debanking, totale Überwachung und Medienkontrolle (wer nach Interpretation der permanent lügenden Macht die Unwahrheit, also die Wahrheit sagt, soll strafrechtlich verfolgt werden), Rauswurf von Ausländern, die die Politik kritisieren, absurde Strafurteile gegen Regierungskritiker (den Genozid von Gaza zu kritisieren ist de facto eine Straftat) etc. etc. Der ganze Staatsapparat schaltet um auf braun. Natürlich müssen sie da dann dafür sorgen, dass jeder noch so kleine aufkommende Widerstand im Keim erstickt wird. Die Menschen sollen keinerlei Rückzugsorte haben, nur noch in Angst leben und als Überdruckventil gibt der Staat ihnen Hass auf Ausländer, Arbeitslose etc. vor. Der Unmut soll sich ja nicht da äußern, wo er ausgelöst wird.
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Leserbrief von Silke B aus Hamburg (11. April 2025 um 13:08 Uhr)Danke für diesen Beitrag – er spricht mir aus der Seele
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