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Aus: Ausgabe vom 14.04.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Außenpolitik im Koalitionsvertrag

Gegen Moskau und Beijing

Neuer Koalitionsvertrag: Russland als Hauptfeind, China als systemischer Rivale. Festhalten an Aufrüstung Kiews und Israels »Existenzrecht«
Von Philip Tassev
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Auch kriegstauglich? Friedrich Merz (CDU) im Cockpit eines »Typhoon«-Kampfjets (Rostock-Laage, 20.6.2024)

Der Koalitionsvertrag, den die Spitzen von CDU, CSU und SPD am Mittwoch präsentiert haben, beinhaltet nicht nur zahlreiche Angriffe auf die werktätige Bevölkerung in Deutschland. Auch außenpolitisch setzt die künftige Regierung auf Konfrontation. Als Hauptfeind wird dabei Moskau markiert: Russland sei die »größte und direkteste Bedrohung« für »unsere Sicherheit«. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wird ein gegen die »regelbasierte internationale Ordnung« gerichtetes »Machtstreben« unterstellt.

Studien, wie die von Greenpeace aus dem November 2024, die zeigen, dass die NATO-Armeen selbst ohne die USA den russischen Streitkräften überlegen sind, werden geflissentlich ignoriert. Dementsprechend wird nicht nur die NATO-Beitrittsperspektive für die Ukraine bekräftigt, auch die »militärische, zivile und politische Unterstützung« der Ukraine soll fortgesetzt und sogar verstärkt werden, damit Kiew in eine »Position der Stärke« gelangt, um »auf Augenhöhe« mit Moskau zu verhandeln. Der Krieg in dem osteuropäischen Land wird so weiter angeheizt, die ukrainische Bevölkerung weiterhin den Interessen des deutschen Kapitals geopfert.

Gegenüber Beijing schlägt das Ankündigungspapier der drei Parteien einen etwas weniger martialischen Ton an – »Mit China suchen wir Zusammenarbeit, wo dies im deutschen und europäischen Interesse liegt« –, dennoch heißt es in dem Papier, die »Elemente systemischer Rivalität« in den Beziehungen zur Volksrepublik seien mittlerweile »in den Vordergrund« gerückt. Deshalb werde die künftige Regierung an der Politik des »Derisking«, also der Verringerung von »Abhängigkeiten«, festhalten und Beijing »mit Selbstbewusstsein und eigener Stärke gegenübertreten«.

Das in dem Koalitionsvertrag festgehaltene Bekenntnis zur Ein-China-Politik, also der Anerkennung der Volksrepublik als alleinige Vertreterin der chinesischen Nation, wird insofern relativiert, als die Union und SPD erklären, die Beziehungen zu Taiwan würden »fortentwickelt« und eine Wiedervereinigung der Insel mit dem Festland dürfe es »nur friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen« geben. Die De-facto-Unabhängigkeit der abtrünnigen Provinz wird so letztlich anerkannt, wenn auch nicht formell.

Zur Koordinierung der Außen- und »Sicherheitspolitik« soll der sogenannte Bundessicherheitsrat zu einem »Nationalen Sicherheitsrat« weiterentwickelt und ein »Nationales Lagezentrum« im Kanzleramt eingerichtet werden. Die Strategen des deutschen Imperialismus wissen, dass Verbündete braucht, wer sich mit zwei atomar bewaffneten Großmächten anlegen will. So wird sich mehrfach zur NATO und zur »Partnerschaft« mit Kanada und vor allem den USA bekannt.

Die Zusammenarbeit zwischen der EU und dem transatlantischen Kriegsbündnis soll gestärkt werden. Darüber hinaus wird auch Großbritannien ausdrücklich als »einer der engsten Partner« genannt, mit dem, aufbauend auf der sogenannten Trinity-House-Vereinbarung vom Oktober 2024, ein »umfassendes bilaterales Freundschaftsabkommen« geschlossen werden soll. Daneben werden Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea als »enge Wertepartner« aufgeführt. Auch Erdoğans Türkei sei ein »wichtiger strategischer Partner«. Auffällig ist, dass entsprechende Passagen zu Frankreich fehlen. Ob sich draus eine geringere Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen für die neue Bundesregierung ableiten lässt, wird sich zeigen.

Was hingegen nicht fehlen darf, ist das Bekenntnis zum »Existenzrecht« Israels, dessen »Sicherheit« weiterhin Teil der deutschen »Staatsräson« bleibt. Kein Wort findet sich zum völkermörderischen Krieg des zionistischen Staates gegen die Palästinenser, statt dessen eine »scharfe« Verurteilung des »brutalen Terrors« der Hamas und die erklärte Absicht, Israel bei der »Gewährleistung der eigenen Sicherheit« zu unterstützen.

Die Mahnung, die »humanitäre Lage« im Gazastreifen müsse »grundlegend verbessert« werden, darf so getrost als Feigenblatt gewertet werden, ebenso wie die realitätsferne Behauptung, eine »Zweistaatenlösung« sei eine »tragfähige Perspektive für ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern«. Garniert wird das mit der versteckten Drohung, den Umfang zukünftiger Unterstützung für das UN-Hilfswerk UNRWA von »umfassenden Reformen« abhängig zu machen.

Testballon erfolgreich gelandet, Informationen produktiv verwertet. Vor einem Monat hat eine Vorhut um die Exminister Thomas de Maizière (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) einen Zwischenbericht ihrer »Initiative für einen handlungsfähigen Staat« vorgestellt. Seither ist das Stichwort »Staatsreform« wieder in aller Munde, nicht zuletzt in denen der Koalitionäre aus Union und Sozialdemokratie. Ohne die staatlichen Strukturen zu renovieren, würden die Kreditermächtigungen zu einem »Strohfeuer«, meldeten sich auch Industrievertreter zu Wort. Auf die Regierungsbildner ist Verlass: »Deutschland braucht eine echte Staatsreform«, heißt es im Koalitionsvertrag. Dafür orientiere man sich insbesondere an den Vorschlägen der Initiative.

Abgekupfert wurde zunächst die zentrale Forderung nach einem neuen »Ministerium für Digitales und Verwaltung«, das »umfassende Zuständigkeit für Personal« und »Personalabbau« erhalten soll, so der Bericht vom März. Auch die baldigen Koalitionäre wollen »2025 eine ambitionierte Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung« erarbeiten und nennen das entsprechende und künftig von der CDU geführte Ministerium »Digitalisierung und Staatsmodernisierung«.

»Silodenken« (Koalitionsvertrag) beziehungsweise »Silo- und Ressortdenken« (Initiative) gelte es dabei zu überwinden. Ein Auftrag ist schon beziffert: Der Personalbestand in Behörden soll »bis zum Jahr 2029 um mindestens acht Prozent« reduziert werden. Inspiration könnte also nicht nur von den Exministern herrühren, sondern auch vom US-amerikanischen »Department of Government Efficiency« (DOGE) unter Elon Musk.

Zum Thema »Bürokratieabbau« für das Kapital schlug die »Staatsreform«-Initiative im vergangenen Monat vor, Unternehmen mit einem »Vertrauensvorschuss« zu begegnen: »Berichts- und Nachweispflichten« seien abzubauen und durch vermehrte Stichproben und Sanktionen zu ersetzen. So setzt auch »Schwarz-Rot« darauf, mittels »Vertrauen statt Regulierung und Kontrolle« – also weniger »Dokumentationspflichten«, mehr »Sanktionierung von Verstößen« – Freiräume für Firmen zu erweitern.

Abgeschrieben haben sie auch in puncto »Sicherheitspolitik«. Für einen handlungsfähigen Staat brauche es einen »Nationalen Sicherheitsrat«, ein »Nationales Lagezentrum« und einen »Nationalen Krisenstab«, sind sich Initiative sowie Merz, Klingbeil und Co. einig.

Diese Beispiele zeigen: Zusammenarbeit will geübt sein. In diesem Fall wurde schon seit Sommer 2024 geübt, als die parteiübergreifende Initiative eigenen Angaben zufolge ihre Arbeit aufgenommen hat – einige Monate vor dem Zusammenbruch der amtierenden »Ampelkoalition«. Max Grigutsch

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  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (14. April 2025 um 05:42 Uhr)
    Laut Koalitionsvertrag fühlen sich die 32 Mitgliedstaaten plus Unterstützung der Wertepartner Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea durch Russland bedroht. Diese 36 Staaten, also quasi die gesamte westliche Welt muss dringend nachrüsten, sonst schaffen sie es scheinbar nicht gegen ein einzelnes Land: Russland. Doch nein, der Koalitionsvertrag macht auch Hoffnung. Der bankrotte Einzelstaat Ukraine, dessen Haushaltsbudget überwiegend von anderen Staaten finanziert wird, der aus eigener Kraft längst aufgehört hätte zu existieren, für den allerdings sieht man Chancen, dass er »auf Augenhöhe« mit Moskau verhandelt. Augenhöhe bedeutet gleiche Stärke. Vielleicht gibt es in der deutschen Regierung erneut Liebhaber von Zarah Leander: »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn«. Die Ukraine wird das schaffen, Augenhöhe mit Russland, wozu 36 andere Staaten erst einmal Schuldenberge anhäufen –und äußerste Rüstungsanstrengungen tätigen müssen. Hier wurden Propagandafloskeln, die sich widersprechen, zusammengeklebt. Außerdem: Die Sicherheit des Staates Israel nach sechs Millionen ermordeten Juden ist Staatsraison. Israel werden Angriffe auf sämtliche Nachbarstaaten zugebilligt. Auch Deutschland liefert die Waffen dazu. Die Sicherheit des Staates Russland ist nach 27 Millionen Toten und noch vielen weiteren Millionen Toten durch Interventionen des Westens im Ersten Weltkrieg und im Bürgerkrieg dagegen keine Staatsraison. Wenn Russland auch nur in einem einzigen Nachbarstaat militärisch aktiv wird, und dies seinerseits mit bedrohter Sicherheit begründet, dann ist im Westen die Hölle los. Durch diese Unehrlichkeit, das Schweigen auf der einen Seite und das maßlose Hochspielen auf der anderen Seite, hat für mich jede Bundesregierung, die so handelt, jegliches Vertrauen und alle Glaubwürdigkeit verloren.

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