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Aus: Ausgabe vom 17.04.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Ein Tütchen mit Pfeffer

Zustand des Wartens: Noaz Deshes etwas einfallsloser Film »Xoftex« über arabische Geflüchtete in einem griechischen Lager
Von Ronald Kohl
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Schön wär’s ja: »Bye, bye Asyl!«

Als Regisseur Noaz Deshe im Interview mit The Hollywood Reporter auf seine Geburt in Israel angesprochen wird, winkt er sofort ab: »Lassen wir das.« Sein Zuhause ist die Welt (Berlin-Neukölln, Südamerika usw.).

Der erste Kinofilm, den er gedreht hat, »White Shadow« aus dem Jahr 2014, spielt in Tansania. Ein Teenager mit Albinismus befindet sich dort immer wieder in größter Gefahr, weil selbstproklamierte Medizinmänner bereit sind, viel Geld für die Organe und Knochen von Menschen mit einer Pigmentstörung zu zahlen.

In »Xoftex«, Deshes zweitem Kinofilm, steht nicht die Flucht eines Individuums im Mittelpunkt. Beschrieben wird der Alltag einer arabischen Gemeinschaft in einem griechischen Lager. Doch auch dieses Mal wird aus der Per-spektive nur eines Charakters erzählt; das vereinfacht die Identifikation.

Die Idee zum Film kam Deshe während seiner Zeit als Helfer bei der Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer. Hier ergaben sich Kontakte, die es ihm ermöglichten, Flüchtlingslager in Griechenland zu besuchen (möglichst die mit dem schlimmsten Ruf). Er freundete sich mit italienischen Künstlern an, die in einem der Lager ein Theaterprojekt umsetzten; was die Erklärung für die durchweg perfekten Darbietungen in »Xoftex« sein dürfte. Deshe: »Viele der Asylsuchenden waren Schauspieler.«

Im Film sind sie es nicht. Sie sind Laien, die ihre Langeweile mit selbstgedrehten Horrorclips bekämpfen. Regie führt der jugendlich wirkende Nasser (Abdulrahman Diab). Sein Hauptdarsteller ist sein älterer Bruder Yassin (Osama Hafiry). Solange die Kamera läuft (auch wenn es sich dabei nur um ein Smartphone handelt) hat Nasser unwidersprochen das Sagen. In praktischen, überlebenswichtigen Angelegenheiten versucht er infolge krasser Selbstüberschätzung ebenfalls, die Rolle des großen Regisseurs und Führers der Massen zu spielen, was weniger Beifall findet.

Als spätabends, die Sonne ist längst untergegangen, unter Flutlicht Reis und Konserven verteilt werden, greift sich Nasser ein Plakat, auf dem die Lagerleitung die wichtigsten Regeln für das korrekte Händewaschen erklärt. Nasser hält das Plakat in die Höhe und stellt laut die Fragen, die sich einem so aufdrängen, wenn man nicht weiß, dass uns Europäern während Corona ähnliche Tips gegeben wurden. Die Reaktion auf diese Kraftprobe ist schnell erzählt: Ende der Ausgabe. Kein Abendbrot für niemand.

Im Container, den Nasser übrigens nur zu zweit mit seinem Bruder bewohnt, macht der ihm dann die Hölle heiß: »Bye, bye Asyl!« singt Yassin und tanzt dazu im weißen Schlüpfer. »Bye, bye, Schweden!«

Wie bereits angedeutet, ist es das Anliegen von Regisseur Deshe, dass wir uns in die Lage eines Flüchtlings versetzen, das heißt, in die von Nasser, der erst noch lernen muss, artig zu sein: Wenn es um den Status geht, ist Schluss mit lustig!

Es ist nichts dagegen zu sagen, dass Deshe die Dinge erzählt, die er gesehen, erlebt, aufgeschnappt hat. Dennoch habe ich nicht die leiseste Ahnung, was er uns sagen will. Er beschreibt hauptsächlich den Zustand des Wartens. Dem können die Leute im Lager entkommen. Gleich dahinter sind die Gleise, ein Rangierbahnhof. Güterzüge stehen hier zur Abfahrt bereit. Gerissene Schleuser sagen jedem, der zahlt, welchen Zug er nehmen muss. »Nimm nicht den falschen, sonst landest du in Bulgarien.« – Ein Running Gag im Lager. Außerdem bekommt man für 20 Euro noch ein Tütchen mit Pfeffer, kein bisschen größer als die, die wir im Flugzeug für unseren Tomatensaft bekommen. Das Gewürz verteilt man dann sorgfältig auf seinem Kopf, bevor man sich zwischen die Achsen des Güterwagons zwängt. Die Hunde mögen den Geruch nicht und laufen weiter ohne anzuschlagen: »Grenzpfeffer. Verstehst du?« Als Schutz gegen den Steinschlag, der unweigerlich einsetzt, sobald der Zug Fahrt aufnimmt, gibt es einen gewöhnlichen Kochtopfdeckel; noch mal 20 Euro.

Auch wenn es für all das einen realistischen Hintergrund geben mag, hat der Film außer Lagerkoller und gruppendynamischem Zeugs nicht viel zu bieten. Wenn die Mittel nicht vorhanden sind, das wirkliche Elend darzustellen, hätte sich der Regisseur eben etwas einfallen lassen müssen. Ich zum Beispiel hätte Nasser bei der nächsten Essensausgabe wieder mit dem dämlichen Plakat losgeschickt.

»Xoftex«, Regie: Noaz Deshe, BRD/Frankreich 2024, 99 Min., Kinostart: heute

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