Bayer vor Glyphosat-Exit
Von Sebastian Edinger
Im Vorfeld der für den kommenden Freitag geplanten Hauptversammlung denkt Bayer-Chef Bill Anderson laut über ein Aus des Pflanzenkillers »Round Up« in den USA nach. Seit das in dem Mittel verwendete Herbizid Glyphosat von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2015 als »wahrscheinlich krebserregend« eingestuft wurde, kann sich der Pharmakonzern vor Schadensersatzklagen nicht mehr retten, mehr als 180.000 sind es bereits. Erst im März hatte ein Gericht im US-Bundesstaat Georgia das Leverkusener Unternehmen im Fall eines an Krebs erkrankten Klägers zu einer Zahlung von 2,1 Milliarden US-Dollar verdonnert.
Bayer legte Berufung ein, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Bislang haben die Rechtsstreitigkeiten rund um Glyphosat den Konzern jedoch schon rund zehn Milliarden Dollar gekostet. 5,9 Milliarden Dollar hat man für weitere Zahlungen an Opfer des Glyphosateinsatzes zurückgestellt. Allerdings sind noch 67.000 Klagen offen, und immer wieder kommen neue hinzu. Das Kreditrating hat bereits gelitten, die hohen Zinsen, die Bayer an den Kapitalmärkten zu entrichten hat, drücken seit Jahren auf die Profite. Allmählich droht das Glyphosatdesaster das Pharmaunternehmen gänzlich zu überfordern. Offenbar will die Führung nun die Reißleine ziehen.
»Wir kommen langsam an einen Punkt, an dem uns die Klageindustrie zwingen könnte, die Vermarktung dieses systemkritischen Produktes einzustellen«, sagte Anderson in seiner am vergangenen Donnerstag vorab verbreiteten Rede für das Aktionärstreffen. »Das wollen wir nicht, aber wir müssen uns auf alle möglichen Entwicklungen vorbereiten«.
Um die Zinslast einigermaßen im Zaum zu halten, sollen die Aktionäre einer Kapitalerhöhung zustimmen. Damit würden sie »uns wichtigen Handlungsspielraum geben, die Rechtsstreitigkeiten einzudämmen und das Kreditrating auf einem angemessenen Niveau zu halten«, so Anderson weiter. Das frische Geld soll keinesfalls für Zukäufe, sondern lediglich für den Glyphosatexit verwendet werden. Der einflussreiche Aktionärsberater International Shareholder Services hat sich laut Reuters bereits hinter die Pläne gestellt.
Den »Round Up«-Verkauf an Privatkunden hat Bayer in den USA bereits 2023 eingestellt. Aus diesem Bereich kommen die meisten Klagen, während das Gros der Profite im Agrarsektor gemacht wird. Nun geht es angesichts immer neuer Klagen darum, sich des Pflanzen- und Renditegifts, das man sich 2018 mit dem Zukauf des US-Konzerns Monsanto ins Haus geholt hat, gänzlich zu entledigen. Die Rechtsstreitigkeiten lägen »wie ein dunkler Schatten« über dem Konzern, so Anderson. Das bekommen die von drastischen Kursverlusten geplagten Aktionäre bei der kommenden Ausschüttung erneut zu spüren. »Die Unsicherheit drückt auf unseren Aktienkurs, und die Dividende wurde im vergangenen Jahr auf das gesetzliche Minimum reduziert. Auch in diesem und im kommenden Jahr müssen wir Ihnen das so vorschlagen«, so der CEO.
Schließlich sind auch die Gesamtgeschäftszahlen mit einem einprozentigen Umsatzplus wenig erbaulich. 2025 werde das schwerste Jahr beim »Turnaround«, stimmt der Vorstand die Eigentümer auch schon mal darauf ein, dass ein schneller Aufschwung nicht zu erwarten ist. Bislang sind im Zuge des Konzernumbaus 10.000 Arbeitsplätze vernichtet worden.
Sollte Bayer die Gylphosatvermarktung in den USA tatsächlich einstellen, wäre das Mittel damit nicht vom Markt. Zwar sind die Leverkusener in den Vereinigten Staaten führender Anbieter, doch seit das Monsanto-Patent aus den 1970er Jahren ausgelaufen ist, haben viele Lieferanten Produktionskapazitäten aufgebaut. Zudem dürften einige in der Konzernzentrale auf eine rechtliche Verbesserung der Situation hoffen. Zuletzt gab es in Georgia eine Gesetzesänderung, durch die die Glyphosateinstufung der US-Umweltbehörde EPA, die das Mittel für nicht krebserregend hält, als bindend zu betrachten ist. Damit könnten die Erfolgschancen dortiger Kläger deutlich sinken.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (23. April 2025 um 11:59 Uhr)Der America-first-Stratege Donald Trump wird die Monsanto-Übernahme durch Bayer 2018 als Stich empfunden haben. Der Deal wurde zum großen Teil von der Bundesbank mit EZB-Geldern finanziert. War das wirklich so ganz sauber? War das vielleicht auch eine Triebfeder für die weitere Sanktionierung des Nord-Stream-2-Projektes durch die USA? Mit der Folge des Ukraine-Krieges? Wie auch immer: Wirtschaftliche Macht und unsaubere Methoden gehen oft Hand in Hand, bezahlen muss dafür der kleine Mann, wenn’s hart kommt auch mit seinem Leben, in der Krebsabteilung der Krankenhäuser und vielleicht auch auf dem Schlachtfeld in der Ukraine.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Jan R. aus Berlin (22. April 2025 um 13:36 Uhr)Da unsere korrupten EU-Technokraten in den vergangenen zehn Jahren es mehrmals blockiert haben, dieses schreckliche Gift aus der EU zu verbannen, hofft man wenigstens, dass die »kleine Leute« in den USA etwas gegen Glyphosat/Bayer erreichen. Denn wie in diesem Bericht angedeutet, und von »Big Bill Haywood« auch mal erklärt: »Der Kapitalist hat kein Herz, aber wenn man ihm in die Brieftasche sticht, wird Blut fließen«.
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