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Aus: Recht auf Wohnen, Beilage der jW vom 06.11.2024
Recht auf Wohnen

Eine Frage des Systems

Profite mit Ware Wohnraum diktieren auch staatlichen Handlungsspielraum. Preise und Mieten steigen ungebremst
Von Marc Bebenroth
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»Dass eine Gesellschaft nicht ohne Wohnungsnot bestehen kann, in der (…) der Hausbesitzer, in seiner Eigenschaft als Kapitalist, nicht nur das Recht, sondern, vermöge der Konkurrenz, auch gewissermaßen die Pflicht hat, aus seinem Hauseigentum rücksichtslos die höchsten Mietpreise herauszuschlagen. In einer solchen Gesellschaft ist die Wohnungsnot kein Zufall, sie ist eine notwendige Institution.«

– Friedrich Engels: »Zur Wohnungsfrage« (1872)

Auch im 75. Jahr nach seiner Verabschiedung ist im Grundgesetz der BRD das Menschenrecht auf Wohnen nicht verankert. Daran dürfte der turnusgemäß 2025 zu wählende Bundestag nichts ändern, so sehr sich das unter anderem die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. (BAG W) in einer Mitteilung vom 1. November wünschen mag. »Der Zugang zu Wohnraum ist nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch Voraussetzung für Gesundheit, Bildung, Arbeit und wirtschaftliche Stabilität«, heißt es in der Präambel zum Forderungskatalog der BAG W. Den – mindestens – Hunderttausenden Wohnungslosen brächte dessen Erfüllung aber ohnehin nichts, solange die Ware Wohnraum knapp bleiben muss.

Immobilienkonzerne und andere Großvermieter können trotz wirtschaftlicher Mehrfrontenkrise aus ihren Eigentumstiteln millionen- und milliardenschwere leistungslose Einkommen generieren. Jeder Sozialwohnbau, der nicht errichtet wird, und jeder noch bewohnbare Plattenbau, der in Ostdeutschland erst entmietet und dann abgerissen wird, sichert die Geschäftsgrundlage der Landlords. Diese Beilage der Tageszeitung junge Welt will den Blick auf die für die einzelnen Betroffenen sowie für diese Gesellschaft insgesamt verheerenden Auswirkungen kapitalistischer Wohnungswirtschaft lenken.

So gelang es einem jener »Investoren« genannten Grundstücksspekulanten im Hamburger Stadtteil St. Pauli, ein international hochgelobtes Projekt zur Bürgerbeteiligung im Neubau in die Knie zu zwingen, wie Kristian Stemmler berichtet. Über die (Klassen-)Justiz gelang es bereits 2021 der Immobilienlobby, dem kommunalen Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten den Zahn zu ziehen. Seither können sich vor allem mit kulturellem Kapital ausgestattete Hausprojekte noch einigermaßen auf dieses staatliche Instrument verlassen, wie Christoph Mayer schildert. »Gewöhnliche« Mieterinnen und Mieter haben das Nachsehen.

Mit der Abwicklung der DDR ist nicht nur das verfassungsmäßige Recht auf angemessenen Wohnraum gestrichen worden. Welche Grundsätze zum Wohnungsbau nach dem Zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR einst aufgestellt wurden, führt Martin Küpper aus. Seit dem Anschluss des sozialistischen deutschen Staates können sich auch im östlichen Teil der BRD Räuberbarone die Hände reiben. Vor Menschen, die ihre letzten Lebensjahre im eigenen Zuhause verbringen wollen, machen sie dabei keinen Halt, wie der Fall eines 85jährigen Rentners aus Berlin zeigt, über den Gitta Düperthal mit dem Rechtsanwalt des Betroffenen sprach.

Längst ist auch im einst »roten Wien« der weltweit zum Vorbild gewordene kommunale Wohnungsbau nur noch ein Überbleibsel vergangener Tage. Vielerorts fanden renditehungrige »Anleger« dort ihr Plätzchen an der Sonne. So protzen mittlerweile Neureiche an einem Seitenarm der Alten Donau mit ihrem zur Schau gestellten Eigentum, ihnen gegenüber steht beharrlich einer jener »Superblocks« der 1930er Jahre. Welche Finanzkanäle sich hinter den Objekten mit dem goldenen »G« an der Fassade verbergen, berichtet Barbara Eder.

Im besten Brechtschen Sinne formierte sich in Spanien Widerstand gegen das rücksichtslose Auspressen von Mieterinnen und Mietern, wie Carmela Negrete berichtet. Zahlreiche Mietstreikkomitees gründeten sich in Städten wie Madrid, Barcelona und Valencia sowie auch kleineren Ortschaften. Bis das Joch kapitalistischen Wohneigentums abgeschüttelt ist, bleibt das Recht auf Wohnen ein theoretisches.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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