Kiezretter, Weltenretter
Von Michael SommerDurchatmen, Luft holen. Der Moment, wenn die ausgedruckten Fotos auf dem großen Konferenztisch im jW-Sitzungsraum liegen, hat jedes Jahr aufs Neue etwas Magisches. Zum einen, weil die Jury jetzt endlich die Einsendungen ausgedruckt vor sich liegen sieht, aber auch, weil uns die schiere Menge an Bildern einfach umhaut. Insgesamt 179 Einsendungen haben uns erreicht, darunter einige Serien mit mehreren Bildern.
Das Warten hat sich auch in diesem Jahr gelohnt. Neben der Menge sind es Qualität und Diversität der Beiträge, die uns alljährlich überraschen. Zum Thema »Kontraste« haben uns Einsendungen erreicht, die sich einerseits auf fotografischer Ebene mit der gestellten Aufgabe befassen, aber auch ganz viele, die sich mit sozialen Widersprüchen auseinandersetzen. Zum Beispiel Ingo Bengelstorf aus Berlin schafft es mit seinem Foto, beide Ansprüche zu vereinen. Seine Aufnahme aus der Prager Altstadt lädt auf vielen Ebenen zum Nachdenken ein: Da sind das grafisch ansprechende Schachbrettmuster auf dem Platz, der offensichtlich wohnungslose Mann – und vor allem die Menschenmenge, deren Blick auf etwas gerichtet ist, dass sich außerhalb des Bildraumes befindet und so den Mann und sein Schicksal ignoriert.
Das Thema »Kreativ gegen rechts« war kein einfach umzusetzendes. Wie lässt sich mit fotografischen Mitteln auf einen Rechtsruck reagieren, der weit über das Erstarken der AfD hinausgeht? Gibt es überhaupt noch Widerstand gegen die grassierende »Das Boot ist voll«-Rhetorik, gegen Aufrüstung, Überwachung und Geschichtsvergessenheit? Wir finden, unsere Leserinnen und Leser haben darauf überzeugende Antworten gefunden.
Der größte Teil, aber nicht alle Einsendungen, haben uns über die Uploadfunktion unserer Webseite erreicht. Hugh Simpson aus Leipzig hat uns seine Schwarzweißserie zum Thema »Meine Familie – meine Community« klassisch auf Fotopapier geschickt. Lena-Lotte Ewest aus Berlin hat das Thema gleich mal um den Zusatz »Meine Gang« erweitert. Die Fotos von Saedis Arnbjardgadottir aus Aachen von einer Demonstration in Solidarität mit Palästina sind aufrüttelnde Beispiele dafür, wie eine Gemeinschaft auch über gemeinsame politische Ziele entstehen kann.
Als Titelfoto dieser Beilage haben wir Mike Freibergs Vorstellung eines Superhelden ausgewählt. Er hat als Bildtitel dazugeschrieben: »Spiderman auf einem Kreuzberger Hinterhof – kann er den Kiez retten?« Eine große Aufgabe für den kleinen Mann. Gäbe es doch danach in Berlin angesichts der Sparpläne des CDU/SPD-Senats noch viel mehr zu retten. Wie hier mit der Sense durch die Landschaft gegangen wird, erinnert an finsterste CDU-Zeiten. Der Widerstand dagegen könnte Superkräfte gut gebrauchen.
Wir bedanken uns bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des diesjährigen Wettbewerbs und wollen jetzt schon zum kommenden Jahrgang einladen. Wir freuen uns auf spannende Beiträge!
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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