Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: 30. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz, Beilage der jW vom 29.01.2025
RLK 2025

Faschismus als Krisenlösung

Im Kampf gegen Krieg und Militarisierung ist es wichtig, sich auf das Alltagsleben der Arbeiterklasse zu konzentrieren
Von Yücel Demirer
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Yücel Demirer wurde aus der Türkei live zugeschaltet, da die Bundesrepublik ihm das Visum verwehrte

Die ersten Sätze dieses Vortrages wurden am Morgen des 8. Dezember 2024 geschrieben. Nach ihrem schnellen Vormarsch eroberten die Oppositionsgruppen an diesem Morgen Damaskus, und wir erfuhren, dass Baschar Al-Assad Syrien bereits verlassen hatte. Wie allgemein bekannt ist, ist der Sturz des syrischen Regimes, den wir Anfang letzten Monats miterlebt haben, das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem westlichen Imperialismus und Israel. In den vergangenen 20 Jahren haben die USA und andere den Weg für Kriege gegen den Irak, den Libanon, Libyen, Syrien und Somalia geebnet. Es ist interessant festzustellen, dass diese militärischen Interventionen mit einer Zeit zusammenfielen, in der der westliche Imperialismus angeblich im Niedergang begriffen war und ins Hintertreffen geriet.

Bevor ich näher darauf eingehe, wie der westliche Imperialismus angesichts erheblicher Herausforderungen international auf Faschismus und Krieg als Lösung setzt, muss ich kurz mein Verständnis von Niedergang und Verlust der Hegemonie klarstellen und differenzieren. Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass ich nicht glaube, dass es einen Niedergang und Fall des westlichen Imperialismus gibt, wie mitunter behauptet wird, obwohl ich durchaus zustimme, dass es Situationen gibt, in denen die Hegemonie der imperialistischen Machtzentren ins Wanken gerät. Dennoch scheint es mir nicht angebracht, dies als Niedergang oder Fall zu bestimmen. Das soll jedoch nicht heißen, dass der westliche Imperialismus in der heutigen Zeit nicht auf Faschismus und Krieg als Lösung setzte. Wie wir an den Entwicklungen in der Ukraine und in Syrien sowie an den aggressiven Äußerungen von Donald Trump sehen können, der noch vor seinem Amtsantritt mit einer Invasion Mexikos und Panamas gedroht hat, suchen der Imperialismus bzw. die Imperialismen weiterhin nach Lösungen für ihre Probleme in Krieg und Faschismus.

Mehr Kriege, weniger Demokratie

Ich möchte im folgenden über den Aufstieg der Kriegspolitik in der heutigen Zeit sprechen. An dieser Stelle muss ich zwei grundlegende Trends erwähnen, die die ganze Welt beeinflusst haben und weiterhin beeinflussen. Der erste Trend ist, wenn wir das Gesamtbild betrachten, die Tatsache, dass seit dem Zusammenbruch des sozialistischen Blocks Kriege und regionale Konflikte zwischen Staaten und zwischen Staaten und Oppositionskräften auf der ganzen Welt zugenommen haben. Seit den 1990er Jahren ist das relative Gleichgewicht zerbrochen, und Kriege unterschiedlicher Größenordnung haben zugenommen. Die Spannungen zwischen den imperialistischen Ländern haben sich verschärft, und an vielen Orten haben diese Spannungen das Niveau eines Krieges erreicht. Gleichzeitig ist der Anteil der Rüstungsausgaben an den nationalen Haushalten erheblich gestiegen. Der zweite Aspekt, den ich hervorheben möchte, ist die Differenzierung, die in den bürgerlichen Demokratien stattgefunden hat, insbesondere in den vergangenen Jahren. In fast allen Teilen der Welt wurden gemäßigte Mitte-rechts-Parteien durch autoritäre und faschistische Parteien ersetzt. In Ländern mit unterschiedlichen historischen Entwicklungsdynamiken und politischen Kulturen sind nahezu ähnliche autoritäre Führer entstanden. Unter der Herrschaft dieser Führer wurde der vertraute Rahmen der bürgerlichen Demokratie erschüttert, und der politische Kampf wurde insgesamt radikaler.

Wenn wir diese beiden Grundtatbestände zusammen betrachten, entsteht eine Situation, die über die üblichen Ergebnisse hinausgeht, die sie getrennt voneinander hervorbringen. Es zeigt sich, dass Kriege und regionale Konflikte mit imperialistischen Motiven von autoritären Regierungen zur Legitimierung ihrer antidemokratischen Handlungsmuster genutzt werden. Imperialistische Staaten oder Regionalmächte, die am imperialistischen Aufstieg teilhaben wollen, nutzen diese Konflikte, um das politische Umfeld in ihren eigenen Gesellschaften zu unterdrücken und zu verändern. In meinem Land beispielsweise hat das Erdoğan-Regime die Entwicklungen in Syrien seit Dezember 2024 genutzt, um die Dynamik, die die türkische Politik prägt, zu verändern und die Mechanismen der politischen Willensbildung auf den Kopf zu stellen. Obwohl das erste Thema auf der Tagesordnung der Arbeiterklasse in der Türkei Armut ist, nutzt das Erdoğan-Regime die Entwicklungen in Syrien, um das Gefühl zu erzeugen, dass der Prozess unter seiner Kontrolle und in die von ihm gewünschte Richtung verlaufe.

Legitimation und Agitation

Aus der Vogelperspektive betrachtet, bestätigen die Entwicklungen des Imperialismus und die daraus resultierenden Veränderungen der Beziehungen zwischen kapitalistischer Ausbeutung und Krieg die marxistische Perspektive. Natürlich können wir uns mit dieser historischen Bestätigung nicht zufriedengeben, und die aktuelle Situation erfordert neue Analysen und Ansätze. Es besteht die Notwendigkeit, die aktuelle Phase regionaler und innerstaatlicher Konflikte und die Rivalität der Großmächte aus marxistischer Sicht zu analysieren. Diese Aufgabe liegt noch vor uns.

Neben vielen anderen brennenden Fragen, die heute auf eine Antwort warten, möchte ich die Frage erörtern, wie imperialistische Kriege von den bürgerlichen Regimen legitimiert werden. Die Auseinandersetzung mit den Legitimationspraktiken der imperialistischen Staaten kann uns helfen, zu verstehen, warum sich nach all diesen Erfahrungen einige manchmal sehr bedeutende Teile der Arbeiterklasse unter patriotischen Parolen einem Krieg anschließen und wie wir gegen nationalistische Projekte kämpfen können, die in direktem Zusammenhang mit dem zeitgenössischen Imperialismus stehen, bevor Kriege ausbrechen.

Meiner Meinung nach beschränkt sich die Diskussion über Imperialismus und antiimperialistischen Kampf unter Kommunisten hauptsächlich auf Makropolitik und allgemeine Kommentare. Die Aspekte des täglichen Lebens und des Kampfes gegen die Kriegspolitik werden nicht hinreichend berücksichtigt. Aus diesem Grunde möchte ich das gängige historische Verständnis der Entwicklung des Imperialismus erörtern, um die Möglichkeiten einer Ausweitung und Verbreitung des Antikriegskampfes zu diskutieren. Der Imperialismus ist zum Motor und integralen Bestandteil des kapitalistischen Wachstums geworden. Seit dem 19. Jahrhundert ist der Imperialismus durch territoriale Expansion gekennzeichnet. Aus diesem Grund ist die weit verbreitete Annahme, dass der Imperialismus endet, wenn die Eroberungen aufhören, falsch. Es liegt doch auf der Hand, dass sich die tatsächliche Dynamik und Praxis des Imperialismus zwar geändert haben, seine grundlegenden Zielsetzungen und Prioritäten jedoch konstant geblieben sind. Obwohl beispielsweise in den gängigen Geschichtsbüchern der Zeitraum von 1870 bis 1914 als Zeitalter des Imperialismus bezeichnet wird, endete das Zeitalter des Imperialismus nicht mit dem Ersten Weltkrieg. Betrachtet man die Geschichte aus der Sicht der Unterdrückten, so darf man nicht vergessen, dass die imperialistische Rivalität der europäischen Länder in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts eher ein Anfang als ein Ende war. Die Veränderung der Art der imperialistischen Ausbeutung bedeutet nicht ihr Verschwinden, sondern eine Veränderung ihrer Form und ihres Ausmaßes. Aus diesem Grund sollte man sich vor Augen halten, dass der Begriff »Zeitalter des Imperialismus« nicht nur ungenau ist, sondern auch dazu dient, die zeitgenössische Fassade und Realität des Imperialismus zu verschleiern. Eine der negativen Folgen dieser Präferenz, sich auf die ferne Geschichte des Imperialismus zu konzentrieren, und der Behauptung, dass der Imperialismus verschwunden sei, ist, dass übersehen wird, wie die Erfahrung der imperialistischen Ausbeutung von autoritären und unterdrückerischen Regimen, die in der späteren Geschichte entstanden sind, aufgenommen wurde. Die Spuren des Imperialismus waren und sind in fast allen politischen Erfahrungen sichtbar, die in verschiedenen historischen Momenten auf der ganzen Welt von imperialistischer Plünderung und kolonialer Mentalität geprägt waren. Diese Beispiele zeigen, wie der Geist der Ausbeutung, der nach außen gerichtet ist, wenn er günstige Bedingungen vorfindet, der innerstaatlichen Ausbeutung Sinn und Energie verleihen kann.

Problem: Nationalismus

Eine weitere Verzerrung in der Begriffsbildung zum Thema Imperialismus ergibt sich aus der Überbetonung nationaler Interessen und nationaler politischer Subjekte in der Definition des Imperialismus. Dies verschleiert die Tatsache, dass imperialistische Plünderung oder Ausbeutung zwar unter nationaler Flagge durchgeführt wird, aber den Bedürfnissen einer herrschenden Klasse dient. Vor diesem Hintergrund muss davor gewarnt werden, dass die Realität der Klassenausbeutung im Schatten nationalistischer Posen verschleiert wird. Obwohl die Hauptgründe für die imperialistische Expansion die Industrialisierung und das Wirtschaftswachstum in Europa sowie der Bedarf an Rohstoffen und Märkten waren, wurden nichtwirtschaftliche Faktoren oft übertrieben dargestellt. Der Aspekt des nationalen Ruhms und des Prestiges sowie die Rolle der Verbreitung des Christentums wurden von bürgerlichen Historikern überbetont.

Was ich mit meinen Ausführungen über die Behandlung des Imperialismus in der bürgerlichen Theorie betonen möchte, ist die Notwendigkeit für Kommunisten, ihre Aktivitäten zur Bewusstseinsbildung gegen den Krieg auf die Vorkriegszeit und das Alltagsleben der Arbeiterklasse auszudehnen. Die Tatsache, dass die imperialistische Politik von großen Teilen der Bevölkerung so leicht akzeptiert wird, zwingt uns, über die Gründe dafür nachzudenken. Ich glaube, dass die Massen mit einem Bewusstsein, das durch diese Art von Argumenten geformt wurde, leichter von der Kriegsentfachung überzeugt werden können. Deshalb sollte der Umfang des Kampfes gegen den Krieg erweitert werden, und wir müssen einen Antikriegsdiskurs in Aktion entwickeln, der das Leben der Menschen tatsächlich auch verändert.

Vor uns liegt eine schwierige Zeit, die den arbeitenden Menschen viel Schmerz und Elend zufügen wird. Die beste Vorbereitung von uns Kommunisten auf die aktuellen und kommenden imperialistischen Rivalitäten und Konflikte ist in erster Linie eine klare politische Position. Die politischen Konzepte, die kommunistische Parteien zu diesem Thema entwickeln werden, sind von großer Bedeutung, insbesondere damit verschiedene Kategorien des Imperialismus, die auf unbegründeten Bedenken beruhen, im aktuellen Kampf keine bremsende oder auch verwirrende Wirkung haben. Was ich damit sagen will, ist, dass ich mir Sorgen mache, dass die Betonung des Machtkampfes zwischen den Ländern den Konflikt zwischen den Kapitalinhabern und die Ausbeutung unsichtbar machen. Angesichts der Tatsache, dass die kapitalistische Geschichtsschreibung in der Vergangenheit die antiimperialistische Mobilisierung verlangsamt und sogar verhindert hat, muss der Schwerpunkt auf die zeitgenössische Dynamik des Ausbeutungsmechanismus in der imperialen Ordnung gelegt werden, die den Nationalstaat übersteigt. Es muss betont werden, dass in einer Zeit, in der es hauptsächlich um die Ausweitung der Produktion auf weltweiter Ebene im Einklang mit imperialistischen Interessen geht, die Konfliktparteien nicht Nationen, sondern Fraktionen des Kapitals sind und die Grundlagen der antiimperialistischen Politik auf einer solchen Konzeptualisierung aufbauen müssen.

Falsche Namen

Aus diesem Grund ist es für diejenigen, die sich dem Krieg widersetzen, von entscheidender Bedeutung, eine korrekte Analyse des Konflikts und des Krieges vorzunehmen und die Prioritäten der Machthaber, die sich für einen Krieg entscheiden, offenzulegen. Die Analyse sollte eine Aufschlüsselung derjenigen vornehmen, die kurz- und langfristig unter dem Krieg leiden werden, und diejenigen klar benennen, die vom Krieg profitieren. Es müssen Anstrengungen unternommen werden, einschließlich der internationalen Solidarität der Arbeiterklasse und des Austausches von Informationen, um gegen die Mechanismen der Wahrnehmungssteuerung und der Bewusstseinsverzerrung vorzugehen, die dazu dienen, die Interessen der herrschenden kapitalistischen Elite als die Interessen der Massen darzustellen.

Es gibt ein Dossier des Trikontinentalen Instituts für Sozialforschung über die Möglichkeiten Lateinamerikas, sich vom Imperialismus zu entkoppeln. Dort findet sich eine Liste kapitalistischer Verzerrungen, die Eduardo Galeanos wunderbarem Buch »Upside Down: A Primer for the Looking-Glass World« entnommen ist. Unter dem einleitenden Satz »Heute gibt es bestimmte Dinge, die man angesichts der öffentlichen Meinung nicht sagen darf« werden die folgenden Verzerrungen aufgeführt: »Der Kapitalismus trägt den Künstlernamen Marktwirtschaft. Der Imperialismus wird Globalisierung genannt. Die Opfer des Imperialismus werden Entwicklungsländer genannt. So wie ein Zwerg als Kind bezeichnet werden könnte.«

Die Liste zeigt erfolgreich die Bedeutung des ideologischen Kampfes und die Macht der Sprache, auf der die Dynamik des Antikriegskampfes beruht. Der Weg, um imperialistische Kriege und das Gemetzel und Elend von Kriegen loszuwerden, führt über den Kampf um die Abschaffung des kapitalistischen Systems. Und der Weg zu diesem Kampf führt über die Abschaffung der imperialistischen Verschleierungen und Verzerrungen.

Yücel Demirer ist Politikwissenschaftler. Er lehrte an der Universität Kocaeli in İzmit und wurde wegen der Unterzeichnung eines Friedensappells im Zusammenhang mit dem Krieg der Türkei gegen die kurdische Bewegung entlassen

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