Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Recht auf Wohnen, Beilage der jW vom 19.02.2025
Fehlender Wohnraum in der BRD

»Die Krise ist offenkundig«

Wohnungslose Menschen organisieren sich selbst und wollen den Druck auf die Regierung erhöhen. Ein Gespräch mit Daniel Z.
Von Gitta Düperthal
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»Pfarrstraße bleibt«: Titelseite der zwölften Ausgabe der BesetzerInnen-Zeitung (Berlin, 14.11.1990)

Sie sind beim Netzwerk »Wohnungslosen-Stiftung« aktiv und selbst wohnungslos. Wann spricht man von offener und wann von verdeckter Wohnungslosigkeit? Und wie kann es einem passieren, dass man plötzlich ohne Wohnung da steht?

Das kann ich am eigenen Beispiel schildern. Ich bin chronisch krank und war ab 2020 betroffen. Nach einer Kündigung, die auf sogenannten Mietschulden basierte, wurde das Jobcenter nicht aktiv, sondern hatte es darauf ankommen lassen. Nachdem ich als »gesundheitlicher Härtefall« es zunächst noch geschafft hatte, die Zwangsvollstreckung hinauszuzögern, kam es dann doch zur Räumung. Es war Anfang der Pandemie, als man mich aus meinem gewohnten Umfeld herausriss. Ich musste nach 36 Jahren in einen anderen Berliner Bezirk umziehen. Da es damals Kontakt- und Ausgangssperre gab, war das heftig.

Ich engagierte mich zum Thema Mietenwahnsinn und lernte viele Menschen kennen, die in der »verdeckten Wohnungslosigkeit« waren. Oft schlafen sie, mitunter monatelang, bei Bekannten oder Freundinnen, wovon der Vermieter meist nichts erfahren darf. Ein Hauptmieter braucht die Genehmigung des Eigentümers, um unterzuvermieten. Schlimmstenfalls könnte er gekündigt werden, wenn er jemanden – in der Regel mehr als drei Monate – bei sich wohnen lässt.

Was widerfuhr Ihnen, nachdem Sie Anfang 2020 im Wohnheim im Bezirk Tempelhof-Schöneberg untergekommen waren?

Glück im Unglück: Aufgrund meiner vom Amtsarzt bescheinigten Erkrankung eines Kopfbruches im Unterbein und chronischen Schmerzen, erhielt ich ein eigenes Zimmer. Dennoch wohnte ich bis September 2024 sehr prekär in siebeneinhalb Quadratmetern. Küche, Dusche und Toilette wurden von anderen mit genutzt. Besuch dürfte man nach damaliger Hausordnung nicht haben. Und so was kostet den Steuergeldzahler etwa 40 Euro pro Tag. Das Leben dort, auf engem Raum mit Menschen, die alkoholkrank sind, auf Drogenentzug oder psychisch krank, war nicht einfach. Nach Paragraph 67 Sozialgesetzbuch erhielt ich einen Betreuer, der mir Ende 2024 zur Wohnung in Untermiete verhalf, die aber nicht dauerhaft zur Verfügung steht. Wenn man gekündigt wird, ist es schwierig, eine neue zu finden. Durch all das und die Schwierigkeiten mit Behörden wurde meine Depression schlimmer.

Wie dramatisch sind die Ausmaße der Wohnungslosigkeit in Deutschland?

Vor allem betroffen sind armutsgefährdete Menschen in Großstädten. Um sich juristisch zu wehren, muss man sich beim Mietrecht und im Sozialrecht auskennen. Zu klären ist etwa: Verhalten sich Vermieter im Fall von Eigenbedarfskündigungen rechtmäßig; zahlen die Behörden, was einem zusteht? Welche Hilfsangebote gibt es, wo kann man sich beraten lassen? Wer krank ist und auf Anschreiben nicht rechtzeitig reagieren kann, verpasst Fristen. Anwälte können beim Mietrecht nur wenig Geld verdienen. In Berlin gibt es etwa 40.000 wohnungslose Menschen. Die Dunkelziffer ist höher. Bundesweit leben in Deutschland insgesamt rund 531.600 wohnungslose Menschen. Verlieren Menschen im ländlichen Raum ihre Wohnungen, besteht das Problem hauptsächlich darin, eine Unterkunft in Ortsnähe zu finden.

Wohnungen können zeitweise beschlagnahmt werden.

Die zuständige Behörde kann die Wohnung auch gegen den Willen des Vermieters beschlagnahmen, den Mieter wieder dorthin einweisen, um ihm etwa im Fall von drohender Obdachlosigkeit zwei Jahre Zeit zu verschaffen.

Die Wohnungslosen-Stiftung versteht sich als »Selbstvertretung« von Betroffenen und stehe für »Empowerment auf Augenhöhe«. Was ist das Ziel?

Uns geht es um solidarische Unterstützung. Aufgrund der desolaten Wohnsituation war ich völlig kaputt, hatte soziale Kontakte aufgegeben. Nun tauschen wir uns als Gleichgesinnte über die Lage aus: etwa vom 25. Februar bis 1. März bei einer Tagung von »Peers im Handlungsfeld Wohnungslosigkeit« in Augsburg. Mit dem Bündnis gegen Obdachlosigkeit und Zwangsräumung werden wir am 31. März vor dem Roten Rathaus in Berlin wieder eine Mahnwache machen. Wohnraum ist ein Menschenrecht. Rund um den Tag der Wohnungslosen am 11. September werden wir Aktionen machen. Ziel ist, dass man nicht über uns, sondern mit uns spricht. Deshalb war ich schon 2018 im Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn sowie »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« aktiv.

Die Mieten steigen unablässig, kaum bezahlbare Wohnungen werden bereitgestellt.

Die Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag das Ziel festgeschrieben, bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden und dafür einen Nationalen Aktionsplan aufzulegen. Wir wollen Druck machen, damit es vorangeht.

Haben Sie Erfahrung mit dem Prinzip »Housing first« gemacht?

»Housing first« bedeutet, dass Betroffene zuerst eine Wohnung erhalten, weil es sonst nicht klappen kann, in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Danach können erst Probleme wie Arbeitssuche oder Suchtkrankheiten angegangen werden – sonst wäre die Rückfallquote zu groß. Ich hatte 2019 und 2023 versucht, auf die Liste in Berlin zu kommen. Neue wurden aber nicht aufgenommen. Wohnungslose, die vorübergehend untergebracht sind, haben keine Chance.

Am Sonntag wird der Bundestag neu gewählt. Von welcher Partei ist zum Thema Wohnen etwas zu erwarten?

Seit Jahrzehnten haben wechselnde Regierungen nichts für Mieterinnen und Mieter unternommen. Dabei ist die Wohnungskrise offenkundig. Die Mieten explodieren, sind für viele nicht mehr bezahlbar. Vermieter aber verdienen Geld damit, dass sie unsere Mieten erhöhen. So wird es immer schlimmer. Das Thema Wohnen wurde ins Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen übernommen. Dieses muss systematisch Beschlagnahmungen von leerstehenden Gebäuden vornehmen, um die akuten Probleme zu lösen. Einige Länder und Städte machen es bereits. Der Bezirk Berlin-Mitte hatte meine ehemalige Wohnung beschlagnahmen wollen, daraus wurde aber nichts. Auch der Mietendeckel und die Mietpreisbremse, die bisher nicht scharf gestellt sind, könnten wichtige Maßnahmen sein.

Ständig wurde alles bisher Geplante aufgeschoben; nahte die nächste Krise, alles wieder fallen gelassen. Erst ging es um Syrer und Afghanen, die untergebracht werden mussten, dann kam die Pandemie, dann der Ukraine-Krieg. Alles wird nebulös auf Sichtweite geregelt. Zu solchen Fragen ist die Linkspartei am aktivsten, räumt dem Thema höchste Priorität ein. Vermutlich wird aber eine Partei nicht all dies ändern können.

Sieht man in der Bewegung der Wohnungslosen die kapitalistische Verfasstheit der Gesellschaft als ursächlich für die Wohnungsnot?

Der Systemfehler verursacht nicht nur Wohnungsknappheit, zugleich werden Lebensmittel und andere Dinge teurer. Die Spirale dreht sich weiter. Die ersten Leidtragenden sind stets die Menschen am unteren Ende der Hierarchie in unserer Gesellschaft. Die Wohnungs- und Obdachlosen werden das nicht allein bekämpfen können.

Daniel Z. ist aktiv beim Netzwerk »Wohnungslosen-Stiftung«, beim Bündnis gegen Obdachlosigkeit und Zwangsräumung sowie bei der Union für Obdachlosenrechte (UFO).

Gitta Düperthal ist freie Journalistin in Frankfurt am Main und regelmäßig für die Tageszeitung ­junge Welt tätig.

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