Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Recht auf Wohnen, Beilage der jW vom 19.02.2025
Recht auf Wohnen

Mythos Bevorzugung

Asylsuchende sind keine starke Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt. Ihre Unterbringung ist meist provisorisch
Von Yaro Allisat, Leipzig
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Knüppelgarde gegen Hausbesetzer: Titelbild der »Instand-Besetzer-Post« Nummer 16 (Berlin, 9.7.1981)

Die Wohnsituation Geflüchteter in Deutschland ist so provisorisch wie das gesamte System der Aufnahme und Unterbringung Schutzsuchender. Zwischen der spezifischen Situation des Wohnungsmarktes einer Stadt, dem Engagement der zuständigen Behörden und der Situation Geflüchteter unterschiedlicher Herkunftsländer bestehen große Unterschiede.

Jedoch: Dass Geflüchtete bei der Wohnraumvergabe bevorzugt würden, ist ein Mythos. Mit Zahlen lässt er sich widerlegen. Allerdings handelt es sich bei dem Diskurs nicht um eine reine Frage der Statistiken. Will man die Argumente verstehen, muss man sich auch Wohnungspolitik im Kapitalismus und rassistische Diskurse anschauen. Auch die über Jahre nur provisorisch entstandene und verwaltete Unterbringungspolitik für Schutzsuchende spielt eine Rolle. Und die Resistenz gegen Fakten, wenn man den Alltag anders erlebt. Ein Beispiel aus Sachsen.

Zunächst die Fakten

Geflüchtete werden in Deutschland nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt, der festlegt, wie viele Schutzsuchende eine Kommune mindestens aufnehmen muss. Ende September 2024 lebten laut offiziellen Angaben 12.856 Asylsuchende und Geduldete in der 600.000-Einwohner-Stadt Leipzig, viele von ihnen in Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) und Gemeinschaftsunterkünften (GU). Hinzu kamen 11.434 Schutzsuchende aus der Ukraine. Die Stadt hatte zusätzlich zu den vier Erstaufnahmeeinrichtungen des Freistaates und den 41 Gemeinschaftsunterkünften in den vergangenen Jahren insgesamt sechs Notunterkünfte eingerichtet, Zelte am Straßenrand mit Pappwänden und Stockbetten. Sechs weitere Gemeinschaftsunterkünfte sollen in den kommenden drei Jahren eingerichtet werden.

Die Stadt hatte sich 2019 dem Bündnis »Sichere Häfen« angeschlossen und sich dazu bekannt, 100 zusätzliche Plätze für Asylsuchende zur Verfügung zu stellen. Nur drei Personen waren der Stadt seither über die Quote hinaus zugeteilt worden. Vergangenen Mittwoch hatte der Stadtrat Anträge von CDU und AfD zum Austritt aus dem Bündnis abgelehnt. Auch die Stadtverwaltung selbst hatte sich gegen die Anträge ausgesprochen.

36 Prozent der Schutzsuchenden leben in eigenen oder sogenannten Gewährleistungswohnungen außerhalb von Gemeinschaftsunterkünften. Das ist sowohl für die Geflüchteten die beste Lösung, da sie selbstbestimmt wohnen können, als auch für die meisten Kommunen eine Erleichterung für die Unterbringungs- und Integrationsarbeit. Bei der Wohnungssuche stehen Migranten laut der Leipziger Beratungsorganisation »Kontaktstelle Wohnen« Sprachhürden, Diskriminierung durch Vermieter und ein angespannter Wohnungsmarkt im Weg. Die Kontaktstelle hat nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr 180 neue Mietverträge abgeschlossen, 463 Personen dabei geholfen, ein neues Zuhause zu finden und achtmal akute Wohnungslosigkeit verhindert.

Auch der Sächsische Flüchtlingsrat bestätigt, dass es Geflüchtete nicht leicht haben beim Thema Wohnen. »Tatsächlich ist uns kein einziger Fall bekannt, indem eine geflüchtete Person bei der Wohnungsvergabe durch Behörden bevorzugt worden wäre«, sagte Dave ­Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat gegenüber junge Welt. »Das Gegenteil ist der Fall – durch strukturellen Rassismus setzen einige Kommunen in Sachsen seit Jahren auf Massenunterkünfte, obwohl sie privaten Wohnraum zur Verfügung stellen könnten.«

Massenunterkünfte

Wenn ein Mensch in Deutschland Asyl beantragt, ist er in der Regel verpflichtet, mindestens 18 Monate seines Aufenthalts in einer sogenannten EAE zu wohnen. Die EAE werden von den Bundesländern eingerichtet, die damit über Ort, Art des Gebäudes (von Container bis Wohnhaus gibt es deutschlandweit alles) und Betreiberfirma, die sich in der Regel um Sozialbetreuung, Essen und Security kümmert, entscheiden. Ukrainische Geflüchtete unterliegen nicht der Pflicht, in einer EAE zu wohnen, und können sich eine eigene Wohnung suchen.

Erst kürzlich hatte der Sächsische Flüchtlingsrat eine Broschüre veröffentlicht, die schlechten Zustände in den Erstaufnahmeeinrichtungen kritisiert. So unterliegen die Bewohner regelmäßigen Zimmerkontrollen, wohnen zu viert oder fünft in kleinen Zimmern oder erleben die Abschiebung ihrer Nachbarn mit. Oft sind die Unterkünfte in den Peripherien der Städte und damit vom öffentlichen Leben abgeschnitten. Das System der Erstaufnahmeeinrichtungen ist ein »einziges Flickwerk und eine immerwährende Improvisation«, es würden keine nachhaltigen Strukturen aufgebaut, so Hans Eylert, Koautor der Broschüre im Dezember gegenüber junge Welt.

Vermieter profitieren

Nach dem Aufenthalt in einer Erstaufnahmeeinrichtung werden Asylsuchende oft in sogenannten Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Diese befinden sich meist in normalen Wohnhäusern, welche von den Kommunen angemietet werden. Viele Kommunen berichteten von Problemen, angemessene Häuser zu finden. So auch das Leipziger Referat für Soziales. In einigen Fällen erlebten Mitarbeitende der Stadt in Sitzungen rund um die Einrichtung einer neuen Unterkunft im Stadtteil Widerstand von Anwohnern, in anderen geht der Prozess problemlos über den Tisch. Nicht so im Leipziger Stadtteil Lindenthal: Zwei Sitzungen des Stadtbezirksbeirates mussten in der Kirche des kleinen Ortes abgehalten werden, da der Sitzungssaal klein, das Interesse aber groß war.

Den Mitarbeitenden der Stadt schlugen rassistische Behauptungen entgegen. Teil des Problems war jedoch auch, dass der Eigentümer des nun an die Stadt vermieteten Gebäudes vorher mehrere Mietparteien, unter anderem den Dönerladen im Erdgeschoss, gekündigt hatte, um das Haus der Stadt zur Verfügung stellen zu können. Für den Vermieter sprang dabei ein langjähriger Mietvertrag mit hohem Mietzins heraus – ein gutes Geschäft.

Schutzsuchende können sich, wenn ihnen ein Schutzstatus zuerkannt wird, eine eigene Wohnung suchen. Viele finden jedoch keine und müssen noch monate- oder jahrelang weiterhin in GU leben. Wer jedoch eine Arbeit beginnt, muss die horrenden Gebühren für das Zimmer selbst bezahlen. In Leipzig hatten Bewohner im vergangenen Jahr vor dem Oberverwaltungsgericht geklagt, da sie in einfacheren Einrichtungen 477,40 Euro, »mit Zusatzleistungen« 984,06 Euro im Monat für ein Zimmer zahlten.

Frust auf allen Seiten

Nicht nur die Verwaltungsmitarbeiter sind frustriert. In erster Linie leiden die Geflüchteten selbst unter der Unterbringung. Auch die Anwohner in Lindenthal haben zum Teil berechtigte Einwände. Niemand ist gern von Entmietung betroffen. Natürlich kommt Frust auf, wenn der Sportplatz seit Jahren nicht saniert wird, man sich abgehängt fühlt. Anstatt dafür die Migranten verantwortlich zu machen, sollten aber die Vermieter in den Blick genommen werden, die mit den Mietverträgen gute Geschäfte machen und eine Politik, die seit Jahren bei den Sozialwohnungen einspart.

Yaro Allisat ist freier Journalist und lebt in Leipzig.

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