Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Castorproteste 2010

Castorproteste 2010

Berichte

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    Castor-Transport: Freude, Frust,Anstrengung und Angst

    Ekkehard Beisker (dapd)

    »Hurra, wir waren dabei!« Eine Gruppe von Jugendlichen aus dem Brandenburgischen freut sich. Zum Gruppenfoto reckt einer von ihnen das ortschildähnliche gelbe Plakat mit dem rot durchgestrichenen »Gorleben 21« in die Höhe. Ein Mädchen sagt, kurz zuvor hätten sie alle noch in der Sitzblockade auf der Zufahrtsstraße zum atomaren Zwischenlager in dem wendländischen Ort gesessen, seien durch die Polizei von der Straße getragen worden. Nur einige Zeit nach dem Erinnerungsfoto rollen trotz des massiven Protests der Atomkraftgegner elf Castorbehälter mit hochradioaktivem Atommüll durchs Tor zum Zwischenlager in Gorleben.

    Den Triumph, mit ihren Aktionen zum bislang zeitlich längsten Castortransport beigetragen zu haben, können nicht nur die jugendlichen Straßenblockierer für sich in Anspruch nehmen. Daß der nicht nur in reiner Freude seinen Ausdruck findet, ist besonders den vier Männern der Bäuerlichen Notgemeinschaft anzusehen, die sich am späten Montagabend in Gorleben an eine Pyramide angekettet und damit an einer anderen Stelle die Castorstrecke über Stunden unpassierbar gemacht hatten.

    Die Erschöpfung von den wohl mehr psychischen Strapazen ist den Männern um den 47jährigen Familienvater Klaus Heuer ins Gesicht geschrieben. Die von den Bauern ersonnene Pyramidenkonstruktion, in denen jeweils ein Arm der Männer steckt, ist tückisch. Die lasse sich nicht einfach so von der Straße schieben, erläutert ein Polizeisprecher. Durch jede falsche Bewegung könne der Arm verletzt werden. Das aber will niemand. Gleichwohl muß die Polizei ihren Auftrag erfüllen und die Straße räumen.

    Aus dieser Situation erwächst ein absurd anmutender Wettstreit. »Wir denken, daß die Polizei so zehn bis zwölf Stunden brauchen wird, um die Männer herauszuschneiden«, sagte Christoph Schäfer von der Bäuerlichen Notgemeinschaft zu Beginn der Aktion. Seit dem letzten Castortransport vor zwei Jahren habe man schließlich Zeit gehabt, um die Pyramide so zu bauen, daß ein Heraustrennen noch schwerer wird. Derweil deutete ein Polizeisprecher schon mal vorsichtig an, daß es diesmal wohl schneller gehen könne. Statt die Pyramide in langwieriger Prozedur zu knacken, warten Polizeitechniker diesmal mit einer Konstruktion auf, mit der sich die Pyramide samt Männern zunächst von der Straße rollen läßt.

    Die Akteure, Polizeitechniker und Angekettete, begegnten sich während der ganzen Zeit fair, fast schon kameradschaftlich. Der Punkt ging am Ende wegen der neuen technische Räumvariante an die Polizei. Die habe eben auch zwei Jahre Zeit gehabt, »die Schularbeiten« zu machen, sagte ein Polizeisprecher. Und Christoph Schäfer von der Notgemeinschaft hatte inzwischen erfahren, daß die Polizei ihre neue Konstruktion 30 Mal auf ihre Tauglichkeit getestet habe.

    Von einem Spaß ist all das weit entfernt. »Wir als Landwirte, die in der Region unsere Flächen haben, haben viel zu verlieren«, sagte Schäfer mit Blick auf das nahegelegene Atommülllager. Deshalb wolle man mit solchen Aktionen die Castortransporte verzögern, verteuern und generell auf die Situation mit dem strahlenden Müll aufmerksam machen.

    Für diese seien die Politik der Bundesregierung und die großen Energiekonzerne verantwortlich, hatten Atomkraftgegner in den zurückliegenden Tagen immer wieder bei den Aktionen gegen die ins Wendland rollenden Castoren verkündet - und dabei betont, daß der Konflikt auch auf dem Rücken der Polizei ausgetragen werde. Der Polizei bescheinigt der Sprecher der Inititative »ausgestrahlt«, Jochen Stay, für den Atommülltransport ein durchaus besonnenes Verhalten. Sie habe mit dazu beigetragen, daß es in Gorleben »so friedlich abgegangen sei«, sagt er am Ende vor dem Eingang zum Zwischenlager stehend und fügt hinzu: »Wir können total zufrieden sein.«
    (dapd/jW)

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    Kultur an der Castorstrecke

    Max Eckart

    Einmal rechts abfahren, dann noch mal linksrum, und schon ist man da. Inmitten des kleinen Dörfchens Laase steht der »Musenpalast«. »Außerhalb der Verbotszone«, betont Willem Wittstamm. Der Varieté-Künstler, Polit-Entertainer und Atomkraftgegner aus dem Wendland ist Organisator des Kulturzeltes.

    In einem hundert Meter breiten Korridor entlang der Castortransportstrecke hat die Polizei bis Mitte November bekanntlich alle Kundgebungen und Versammlungen untersagt. Von dem kleinen Zirkuszelt bis zur Straße, auf der die Atommüllbehälter gestern Nacht nach Gorleben gebracht werden sollten, sind es rund 120 Meter.

    Seit 2003, erzählt Wittstamm, ist der Musenpalast Anlaufstelle für alle, die sich vom Demogeschehen erholen, bei einer Tasse Kaffee oder einem Teller Suppe aufwärmen oder einfach ein bißchen Kultur genießen wollen. Das Zelt ist seit Samstag von morgens bis spät nachts geöffnet. Gestern, in der Nacht vor dem Castortransport, sollte es durchgängig ein Programm geben.

    Es sind nicht immer die ganz großen Namen, die Willem Wittstamm für kleine Konzerte, Aufführungen, Sketche oder Lesungen verpflichtet hat. Auch unbekannte Künstler tragen im Musenpalast selbst geschmiedete Verse oder selbst getextete Lieder vor und klimpern dazu auf ihrer Gitarre. »Mir geht es auch gar nicht darum, hier die ganz tolle Musik zu hören«, sagt Christa Müller. Die 36jährige aus Hamburg ist schon seit Freitag im Wendland. Sie freut sich, daß es mit dem Musenpalast »einen Ort gibt, wo man was anderes hört und sieht als Polizeisirenen und behelmte Hundertschaften.« Außer Müller sitzen oder stehen am Montagmittag noch rund ein Dutzend Castorgegner im Zelt. Sie klönen, dösen, telefonieren oder blättern in einer der Zeitungen, die dieser Tage in jedem Camp und bei jeder größeren Veranstaltung der Castorgegner kostenlos verteilt werden.

    Am Samstag, bei der diesjährigen Eröffnung des Musenpalastes, war bedeutend mehr los als gestern. Mehr als 150 Leute hätten sich auf den Bänken gedrängt oder sogar auf dem Boden gehockt, berichtet Wittstamm. Selbst Stehplätze gab es im Zelt kaum noch. Die eigens für den Premiereabend gedruckten Eintrittskarten seien »ruck-zuck« weg gewesen.

    Grund für den Ansturm war wohl der Auftritt prominenter Castorgegner. Der »Ärzte«-Sänger, Texter und Schlagzeuger Bela B, die Autorin Charlotte Roche sowie der Schriftsteller und Musiker Rokko Schamoni waren angekündigt. Alle drei hatten in der vergangenen Woche auch einen bundesweit beachteten »Künstler-Aufruf« gegen den Castortransport unterzeichnet. Roche hatte gar erklärt, sie sympathisiere ausdrücklich mit der Kampagne »Castor schottern«.

    »Das war ein witziger Auftritt«, sagt Helga Grebich, die sich während der Castorzeit in einem Nachbarort einquartiert hat und jeden Tag mal im Musenpalast vorbei schaut. Die drei Künstler hätten nämlich beschlossen, nicht eigene, sondern Texte der jeweils anderen Autoren vorzulesen. Rocko Schamoni etwa sollte aus Roches Skandalbuch »Feuchtgebiete«vortragen. Um ihren Kollegen nicht bloß zu stellen, hatte sie vorher besonders pikante und anrüchige Begriffe durch das Wort »Castor« ergänzt – auch das Werk selbst hieß plötzlich »Castorgebiete«.

    Grundsätzlich ist der Zugang zum Musenpalast auch dann gewährleistet, wenn die Castoren auf der 120 Meter entfernten Straße ins Zwischenlager rollen - auch wenn dieser freie Zugang erst vor Gericht erstritten werden mußte. Wer eine Eintrittskarte vorweisen kann oder seine an der Kasse hat hinterlegen lassen, muß von der Polizei durchgelassen werden. Bei zwei vergangenen Atommülltransporten hatten die örtlichen Einsatzleiter allerdings schon das ganze Dorf Laase und damit auch das Kulturzelt von ihren Beamten umstellen lassen. Niemand wurde durchgelassen, egal ob Einwohner oder Kulturinteressierter.

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    Abgeschrieben …

    Der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, Ralf Michalowsky:

    »Zusammen mit zahlreichen weiteren Abgeordneten der LINKEN aus Landtagen und dem Bundestag haben wir heute mit Entsetzen die Polizeigewalt im Wendland beobachtet. So entsetzt wir über den Polizeieinsatz sind, so begeistert sind wir über die Entschlossenheit, mit der tausende von Menschen sich gegen den Castor-Transport wehren.

    Hunderte Demonstranten sind von der Polizei durch Granaten mit Tränengas, durch Knüppeleinsätze und Pfefferspray, durch Attacken per Pferd und Schläge zum Teil schwer verletzt worden. Sie haben sich dadurch nicht einschüchtern lassen. 150 Meter Schiene sind geschottert, 5 000 Menschen blockieren Harlingen, die Bauern bilden Treckerblockaden.

    Der heutige Tag zeigt: der Castor muß durchgeknüppelt werden. Die Bundeswehr stellt Panzer gegen Demonstranten bereit, die Grund- und Freiheitsrechte sind im Wendland außer Kraft gesetzt. 

    Wir fordern daher den sofortigen Abbruch des Castor-Transports. Gegen den Willen der Bevölkerung dürfen Atommülltransporte nicht durchgeführt werden, darf es keine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke geben. Ein gewaltsames Durchsetzen des Castor-Transports in dieser Situation würde den Rahmen jeder Verhältnismäßigkeit sprengen.

    Nach dem Polizeieinsatz bei der Demonstration gegen >Stuttgart 21< am 30. September werden im Wendland erneut demokratische Grundrechte schwer verletzt. Jeder Knüppelschlag auf Demonstranten ist ein Anschlag auf die Demokratie. Deshalb muß der Castor-Transport sofort abgebrochen werden.«

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    Transportstrecke nach Gorleben von Traktoren versperrt

    Ekkehard Beisker, dapd

    Dannenberg. Eine der Castor-Transportstrecken von Dannenberg ins Zwischenlager Gorleben ist dicht. Während Zehntausende Menschen - die Veranstalter sprechen von 50 000 - am Samstagnachmittag auf einem Feld nahe Dannenberg an einer Kundgebung gegen den anrollenden Transport der elf Atommüllbehälter teilnimmt, haben Landwirte mit Traktoren aller Modelle die Straße im beschaulichen Ort Splietau und dahinter versperrt. Fast 600 dicht an dicht stehende Traktoren sollen es sein, wie Polizisten und Landwirte vor Ort bestätigen.

    Statt wie geplant auf das nahe gelegene Kundgebungsgelände zu rollen, seien die an der Castor-Aktion beteiligten Landwirte einfach auf der Straße stehen geblieben, schildert einer der vielen Polizisten entlang der blockierten Strecke das Entstehen der Situation. Jetzt müsse man darauf  achten, daß die Trecker auf der Strecke nicht noch zusammengekettet werden oder - in deren  Schutz - zwischen den Fahrzeugen Hindernisse für den Straßentransport der Castoren errichtet  würden. Die Traktoren, die Losungen wie "Mit Gorleben kommen sie nicht durch" tragen, sind von  den meisten der Fahrer verlassen. Ein mit Kinderwindmühlen auf dem Dach geschmückter Trecker verkündet die Botschaft: "Wind ist umsonst, Atom kostet Leben."

    Derweil steht einer der Landwirte, der sein Gefährt in der Blockade stehen hat, am Straßenrand und beobachtet die Menschen und ihr Tun. Er sei bereits seit 35 Jahren an solchen Aktionen beteiligt, sagt Karl Behrens aus Lüchow. »Zum Widerstand bin ich gestoßen, als ich mich an Aktionen gegen die ersten Erkundungsarbeiten im Salzstock Gorleben beteiligt habe«, sagt der 64-Jährige. Damals habe ihn der Rechtsanwalt und spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder in einem Prozeß verteidigt, sagte Behrens, der für die Freie Wählergemeinschaft im Landkreis tätig ist.

    Ein Vierteljahr habe man sich in Splietau auf die Blockade vorbereitet. Den genauen Aktionsplan kenne »aber bis zuletzt nur ein kleiner Kreis«. Behrens geht davon aus, auch am Montag - wenn der Castor-Transport über diese Straße rollen und damit seine letzten Kilometer zurücklegen soll - noch in Splietau zu sein, denn: »Wir wollen auch am Montag noch hier stehen.«

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    Wendland-Stimmung in der Pfalz - Stuttgarter Demonstranten machen mit

    Sandra Schipp, dapd

    Berg/Pfalz. Wendland-Stimmung in Südwestdeutschland: Über tausend Menschen demonstrieren am Samstag in Berg/Pfalz nahe der deutsch-französischen Grenze gegen den Castor-Transport von der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague ins niedersächsische Atommülllager Gorleben. Über Stunden halten sie die Bahngleise besetzt - eine der möglichen Transportstrecken des Castors.

    Auf Strohsäcken und Isomatten warten sie, bis die Polizei am frühen Nachmittag beginnt, die Strecke zu räumen. Zuvor hat die französische Polizei in der Nachbarschaft 16 Deutsche dabei erwischt, wie sie sich gerade an die Gleise ketten wollen. Zwei der Greenpeace-Aktivisten schaffen es noch, sie werden jedoch bald wieder von den Schienen gelöst.

    Der Widerstand gegen den Atommülltransport jedenfalls ist in diesem Jahr erheblich - die Castoren schlagen schließlich eine andere Route ein und fahren über Kehl, was die Demonstranten als ihren Erfolg verbuchen.

    Der sonst so beschauliche Ort Berg/Pfalz wird am Morgen zum Versammlungsort von hunderten Atomkraftgegnern aus ganz Südwestdeutschland. Sie treffen sich zur Auftaktkundgebung mit anschließender Demonstration durch den Ort. Danach geht es am zweiten Versammlungsort vorbei über Wiesen, ein abgeernetes Maisfeld, einen Bach und ein Waldstück zu den Schienen. Dort wartet
    zwar die Polizei, sie ist jedoch den Demonstranten zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen. Kommen die Atomkraftgegner an einer Stelle nicht mehr auf die Gleise, versuchen sie es eben woanders. Über 2 000 Atomkraftgegner hätten schließlich die Transportstrecke blockiert, erklärt ein Sprecher der südwestdeutschen Anti-Atom-Initiativen. Die Polizei spricht von rund 800 Teilnehmern.

    »Die Bilder gehen ins Wendland, die freuen sich«, sagt ein Mann, der auf den Schienen sitzt. Und tatsächlich ähneln sich die Bilder sehr: Hunderte Menschen sitzen in Berg/Pfalz friedlich auf Strohsäcken und Isomatten auf den Schienen, viele von ihnen tragen Flaggen und Sticker mit der Aufschrift »Atomkraft - Nein Danke«, einige haben Sonnenblumen mitgebracht. Zwischendrin trommelt eine Percussion-Band, die Stimmung ist gelöst.

    »Diese Musikgruppe - ist die aus Stuttgart? Die kommt mir so bekannt vor«, fragt ein Polizist zwei Gleisbesetzer. Stuttgart ist tatsächlich allgegenwärtig: Viele Demonstranten haben das Symbol für den Widerstand gegen Stuttgart 21 auf Jacken und Taschen geheftet. Nach Angaben der südwestdeutschen Anti-Atom-Initiativen hat der enorme Protest gegen das Bahn-Bauprojekt auch ihnen neuen Zulauf beschert.

    Aber auch der Protest gegen die Atomkraft hat in der Region Tradition. Nicht weit entfernt bei Karlsruhe befindet sich das Atomkraftwerk Philippsburg, weitere AKW liegen in der mittelbaren Umgebung. Viele Leute, die heute gegen den Castor-Transport auf die Schienen gehen, haben schon in den 80er Jahren gegen Atomkraft demonstriert.

    So auch Andrea Schöffer, die in Berg/Pfalz wohnt. Als sie in den Ort zog, rechnete sie nicht damit, noch einmal direkt mit dem Thema konfrontiert zu werden. Doch dann wurde die Bahnstrecke durch Berg/Pfalz ausgebaut - und das sei nur wegen des Atommülltransports aus La Hague passiert, sagt sie. Dennoch spielte der Castor lange Zeit kaum eine Rolle in der Region, bis sich 2008 ganz in der Nähe des Ortes mehrere junge Leute an die Gleise ketteten und den Atommülltransport für Stunden aufhielten. Damals hätten viele Helikopter über dem Ort ihre Kreise gezogen, und das habe viele genervt. Sie sei jedenfalls froh, daß die Menschen auf die Straße gingen, und sie werde auch selbst  mit dabei sein.

    Nicht alle der rund 2 200 Bewohner von Berg/Pfalz denken so wie Andrea Schöffer. Einige schließen lieber schnell Tür und Tor, als der lärmende Demonstrationszug näher kommt. Das FC Berg Clubhaus hat für Samstag vorsorglich geschlossene Gesellschaft angemeldet. Einige Neugierige schauen dennoch zu, als die Demonstranten schließlich am späten Vormittag mehrere hundert Meter Schienen besetzen.

    Nach zweieinhalb Stunden und mehreren Aufforderungen der Polizei werden die Atomkraftgegner schließlich einzeln von den Schienen gehoben und weggetragen, ihre Personalien aufgenommen. Ob Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet werden, darüber müsse noch entschieden werden, sagt Rudolf Höser, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Trier. Die Demonstranten hätten nicht nur gegen die Allgemeinverfügung verstoßen - auch das Betreten der Gleisanlagen selbst könne mit einem Bußgeld geahndet werden.

    Die Atomkraftgegner stört es kaum - sie dürfen nach Feststellung der Personalien ihres Weges ziehen und gehen mit einem Lächeln im Gesicht. Schließlich haben sie einen Sieg davongetragen: Der
    Castor-Transport rollt in diesem Jahr erstmals nicht durch Berg/Pfalz.
    (dapd/jW)

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    »Das Treckerfahren habe ich schon mit 16 gelernt«

    Max Eckart

    Dannenberg. Gregor Gysi ist der erste. Der Fraktionschef der Linken im Deutschen Bundestag kommt schon um kurz vor zehn Uhr zum Treffpunkt der Bäuerlichen Notgemeinschaft in Klein Gusborn. Die Landwirte aus dem Wendland - alle kritsch gegenüber der Atomkraft - haben Prominente aus Politik und Kultur eingeladen, sie auf der Treckerfahrt zur großen Kundgebung gegen den Castor-Transport zu begleiten.

    Auf der matschigen Wiese schimpft Gysi erstmal kräftig über die Atompolitik der Bundesregierung. Es sei unverantwortlich, eine nicht beherrschte Technik weiter auszubauen. »Und unverschämt, Niedersachsen zum Atomklo der Bundesrepublik zu machen«. Am liebsten würde Gysi gleich auf einen Trecker steigen und lostuckern. »Ich war Facharbeiter für Rinderzucht«, erklärt er. »Das  Treckerfahren habe ich schon mit 16 gelernt.«

    Auch Claudia Roth hat damit schon früh Erfahrungen gesammelt. »Ich komme schließlich aus  Bayern«, sagt die Vorsitzende der Grünen. Der Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin kennt sich mit Landmaschinen dagegen nicht so gut aus. Er sei wohl irgendwann mal auf einem Trecker mitgefahren, aber nicht wirklich in Übung. Trittin hat keinen Führerschein.

    Die Grünen nutzen ebenfalls die Gelegenheit, die Regierung zu schelten. Es sei »zynisch und eine  Provokation der Bevölkerung, daß die Laufzeiten der Atomkraftwerke weiter verlängert werden und das Endlager Gorleben weiter gebaut wird«, sagt Roth. Gorleben sei »ein illegaler Schwarzbau«. Die Endlagersuche müsse neu begonnen werden, Gorleben dabei  außen vor bleiben. »Der Standort ist schon politisch verbrannt.«

    Inzwischen ist Landwirt Carsten Niemann auf einen Traktor geklettert. Er formt die Hände vor dem Mund zu einem Trichter und erläutert das weitere Vorgehen. Jedem »Promi« haben die Bauern einen aus ihrer Mitte als Fahrer zugelost. Vor dem Start sollen Chauffeur und Fahrgast vor einem Anti-Atom-Transparent für ein Foto posieren. Neben Spitzen-Politikern von Grünen und Linken treten auch die Buch-Autorinnen Petra Oelker und Charlotte Roche nach vorn, nachdem Landwirt Niemann sie aufgerufen hat. Der Sänger und Schlagzeuger Bela B, der ebenfalls einen Treckerplatz gebucht hat, »steckt noch im Stau«, ruft jemand aus der Menge. Der Grünen-Co-Vorsitzende Cem
    Özdemir will seinen Fahrer nach dem Foto gar nicht mehr loslassen. »Wir verstehen uns jetzt schon prächtig«, sagt er.

    Gegen elf Uhr setzt sich der Konvoi in Richtung Dannenberg in Bewegung. Vorne kurven ein paar Mini-Trecker und Rasenmäher, dann folgt der kilometerlange Zug der großen Schlepper. Alle Fahrzeuge sind mit Anti-Atom-Fahnen, dem grün-orangefarbenen Banner der »Republik Freies Wendland« oder Transparenten geschmückt. Etliche Bauern haben auch große gelbe »X«, das Widerstandsymbol der wendländischen Atomkraftgegner, auf die Ladeschaufeln ihrer Traktoren montiert. Wieviele Trecker insgesamt zur Kundgebung rollen, weiß Monika Tietke am Mittag noch nicht genau. Es seien aber hunderte, versichert die Sprecherin der Bäuerlichen Notgemeinschaft.
    Von Uelzen und Lüneburg seien weitere Konvois unterwegs. Endgültige Zahlen gebe es erst am späten Nachmittag.

    Die Landwirte möchten auf jeden Fall das Ergebnis von 2008 übertreffen. Da waren rund 350 Traktoren dabei. Den Rekord halten bislang die Castor-Proteste von 1997. Damals waren die Landwirte mit etwa 550 Schleppern dabei.

    Am Kundgebungsgelände östlich von Dannenberg parken die Traktoren dicht an dicht in Doppel- und Dreierreihen. Eine bunte und aus Sicht der Polizei auch bedrohliche Armada. Die Einsatzleitung hatte Mitte der Woche das an die Castorstrecke grenzende Camp der Notgemeinschaft in Gusborn verboten, weil von dort Trecker zu Blockadeaktionen gegen den Atommülltransport starten könnten. Das Lüneburger Verwaltungsgericht kassierte das Verbot allerdings wieder. An diesem Samstag bleiben die Traktoren zunächst auf den für sie reservierten Parkplätzen.

    (dapd/jW)

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    »Wir wollen eine Energierevolution«

    Interview: Claudia Wangerin
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    Greenpeace-Geschäftsführer Naidoo lobt deutsche Anti-Atombewegung.

    Kumi Naidoo ist Geschäftsführer von Greenpeace International und nimmt im Wendland an den Protesten gegen den Atommüll-transport nach Gorleben teil.

    Willkommen in Deutschland. Welchen Eindruck haben Sie von der Anti-Atombewegung hier?

    Ich bin sehr beeindruckt von ihren Aktivitäten – obwohl ich schon wußte, daß fast drei Viertel der Deutschen gegen Atomkraft sind. Der Protest hier ist gut organisiert und generationsübergreifend: Junge Leute, Familien, ältere Leute; und Bauern wie Gewerkschafter wehren sich gegen die Gefährdung ihrer Umwelt und Gesundheit. Die Stimmung ist gut; kämpferisch, aber friedlich. Das ist wirklich ermutigend.

    Sie kommen in Ihrer Funktion viel herum. Wie groß ist das Interesse an den Geschehnissen rund um den Atommülltransport nach Gorleben in anderen Ländern der Welt?

    Im Moment ist das Interesse sehr groß. Die Greenpeace-Familie blickt sowieso sehr aufmerksam ins Wendland, aber auch viele Medien tun das. Gestern war ich in Frankreich, wo der Castor-Transport startete. Auch dort war das Medienecho sehr groß. Es kann von den Regierungen nicht als lokale oder regionale Angelegenheit abgetan werden.

    Sie kommen aus Südafrika. Ihr Kontinent leidet am stärksten unter dem Klimawandel. Die Lobbyisten der Atomkraft bezeichnen diese als wichtige Brückentechnologie, die unverzichtbar sei, um das Schlimmste zu verhindern. Was ist Ihre Antwort?

    Investitionen in die Atomkraft sind keine Investitionen in die Zukunft oder gegen den Klimawandel, sondern sie behindern den Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien. Wir dagegen wollen eine Energierevolution.

    Wie sehen das Durchschnittsmenschen in Südafrika? Informieren sie sich über energiepolitische Fragen, oder sind sie durch den täglichen Existenzkampf abgelenkt?

    Zunächst  mal dürfen wir nicht vergessen, daß 1,6 Milliarden Menschen auf diesem Planeten gar keinen Zugang zur Energieversorgung haben. Für sie hat es natürlich Priorität, diesen Zugang zu bekommen. Sie haben ja oft auch kein sauberes Wasser und müssen es abkochen, damit ihre Kinder nicht krank werden. Wir reden also über Infrastruktur, die sowieso erst geschaffen werden muß. Warum also auf eine veraltete Risikotechnologie zurückgreifen? Atomkraft ist keine Lösung, um diese Menschen schnell, sicher und billig mit Energie zu versorgen. Die Lösung sind erneuerbare Energien. Gerade Afrika hat ein riesiges Potential an Wind- und Solarenergie. Wenn wir dieses Potenzial konsequent nutzen, haben wir auch das Arbeitsplatzargument auf unserer Seite. Und auf Dauer können die Menschen so schneller, sicherer, sauberer und billiger mit Energie versorgt werden.

  • x-Traktor

    Kampagne „Castor Schottern" will keine Scharmützel mit Ordnungshütern


    Zahlreiche Atomkraftgegner wollen am Sonntag mit der erprobten Fingertaktik zur Schienenstrecke zwischen Lüneburg und Dannenberg gelangen, um Schottersteine aus dem Gleisbett zu entfernen. 1700 Gruppen Organisationen und Einzelpersonen unterstützen mit ihrer Unterschrift die Absichtserklärung, auf diese Weise den Atommülltransport nach Gorleben zu verhindern – trotz Strafandrohung durch die Staatsanwaltschaft Lüneburg. Sprecher der Kampagne „Castor Schottern" machten am Freitag deutlich, daß sie nicht auf Eskalation aus sind. Ihr Ziel sei nicht die Polizei, sondern die Schiene. „Wir werden uns jedoch nicht von Polizeibarrieren aufhalten lassen, sondern diese durchfließen und überwinden", so einer der Pressesprecher der Kampagne, Tadzio Müller. „Wir werden die Schiene erst wieder verlassen, wenn wir sie für den Castor unbefahrbar gemacht haben." Pressesprecherin Sonja Schubert sagte zur Rolle der Ordnungshüter: „Die Polizei wird zum Vollstrecker von privaten Konzerninteressen gemacht. Denn für den Atommüll sind E.ON, EnBW, RWE und Vattenfall verantwortlich, die mit ihren bereits abgeschriebenen Atomkraftwerken noch mehr Profite machen wollen."

    (clw)
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    Tipps für Wendlandfahrer

    André Lenthe
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    In diesem Jahr machen sich besonders viele Menschen auf den Weg ins Wendland um gegen den am Freitagabend gestarteten Castortransport und die Atompolitik der Bundesregierung zu demonstrieren. »Vor Ort sind die Vorbereitungen fast abgeschlossen«, das bestätigte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke gegenüber der jW. »Rund um Dannenberg erwarte die Aktivisten wie bei den Transporten zuvor eine gut ausgestattete Infrastruktur des Protestes.« Wir wollen helfen einen kleinen Überblick zu Camps, Aktionen und Infotickern zu geben:

    Schienencamps:

    Camp Köhlingen: Das Protestcamp liegt nördlich der Bahnstrecke. Hier wird in Mehrpersonen-Zelten auf Stroh im Schlafsack geschlafen. Eigene Zelte können aus Platzgründen nur bedingt aufgestellt werden. Eine Volxküche sorgt für vegetarisches und veganes Essen. Am Sonntag startet vom Camp aus die Aktion »Gemeinsam zum Zug.«

    Camp Hitzacker: Das einzige Camp mit Seeblick ist ebenfalls nah an der Bahntrasse gelegen. Hier ist es problemlos möglich, das eigene Zelt aufzustellen. Es gibt aber auch die Möglichkeit der Übernachtung in Großzelten. Am Sonntag um 8 Uhr beginnt hier die Aktion WiderSetzen mit der Schienenblockade.

    widerStands-Nest Metzingen: Das Widerstandsdorf hat die Scheunen aufgeräumt. Hier gibt es trockene und zum Teil warme Schlafplätze in Scheunen und Stuben.

    Straßencamps:

    Camp Splietau: Das Camp zwischen Nord und Südroute zum Zwischenlager bleibt verboten. Es ist jetzt an den Ortsrand verlegt worden und bietet an der Südstrecke Platz für rund 300 Menschen. Campern wird empfohlen, aus dem Süden nach Splietau anzureisen.

    Wagenburg Gusborn: Im Camp der bäuerlichen Notgemeinschaft wird wieder in landwirtschaftlichen Anhängern übernachtet. Für das leibliche Wohl sorgt eine Volxküche.

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    Übersicht: Erste Proteste im Wendland

    Dannenberg/Berlin. Schon vor dem Start des Castor-Transports in Frankreich haben am Freitag erste Proteste am niedersächsischen Zwischenlager Gorleben begonnen. Atomkraftgegner legten in der Nacht einen Stein auf die für den Zug mit den Atombehältern vorgesehene Bahnstrecke, andere blockierten kurzzeitig eine Straßenkreuzung. Am Morgen demonstrierten 800 Schüler. Die Organisatoren des Protests und die niedersächsische Regierung mahnten sich gegenseitig zu friedlichem Vorgehen.

    Der Start des Zuges mit hoch radioaktivem Atommüll in La Hague wurde für Freitagnachmittag erwartet. Die strahlende Fracht soll bis Sonntag rund 1 000 Kilometer quer durch Frankreich und Deutschland rollen. Am Montagmorgen soll der Zug das Atommülllager Gorleben erreichen. Die Organisatoren des Protests erwarten bis zu 30 000 Demonstranten im Kreis Lüchow-Dannenberg, wo Gorleben liegt. Eine Armee von 16 500 Polizisten ist im Einsatz.

    Wegen des riesigen Aufwands verlangt die Deutsche Polizeigewerkschaft einen finanziellen Beitrag der Atomindustrie. »Wir fordern eine Sicherheitsgebühr von 50 Millionen Euro von den Atomkonzernen«, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Rainer Wendt. Er verwies auf die Milliardengewinne der Atomindustrie. Die Entsorgung sei Teil ihrer Verantwortung. Der Castor-Transport koste den Steuerzahler weit mehr als 50 Millionen Euro. Allein Niedersachsen entstünden für den Polizeieinsatz Sonderkosten von etwa 25 Millionen Euro für Unterkünfte, Verpflegung, Sachmittel sowie die anfallenden Überstunden der Polizisten.

    Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) will sich die Sonderkosten des Landes bei der Bundesregierung zurückholen. Der Bund dürfe sich nicht vor den finanziellen Folgen der Pflicht zur Rücknahme des Mülls aus Frankreich drücken.

    Zu den erwarteten Protesten selbst sagte Schünemann, man sei ja »durchaus schon erprobt«, und es würden erheblich mehr Konfliktmanager eingesetzt. Man wolle das Demonstrationsrecht durchsetzen. Aber gegen Sabotageakte und unfriedliche Demonstrationen »müssen wir konsequent vorgehen«, sagte der CDU-Politiker.

    Die Castor-Gegner forderten die Polizei zum vorsichtigen Einsatz auf. »Wir hoffen, daß die Polizei sich zurückhält«, sagte Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Ihn beunruhige allerdings, daß die Polizei angekündigt habe, sie sei zu jeder Gangart in der Lage. »Das läßt natürlich Schlimmes befürchten.«

    Der Sprecher der Anti-Atom-Organisation »ausgestrahlt«, Jochen Stay, erklärte, inzwischen hätten sich 312 Reisebusse aus dem ganzen Bundesgebiet zur Demonstration am Samstag im Wendland angemeldet. Der Protest richte sich nicht allein gegen den Castor-Transport, sondern auch gegen das mögliche Atommüllendlager in Gorleben. Ziel sei die Stilllegung der Atomkraftwerke.

    Am Donnerstagabend und in der Nacht zum Freitag gab es die ersten kleineren Protestaktionen. Die Polizei räumte in der Ortschaft Metzingen eine Blockade von rund 200 Atomkraftgegnern auf der Bundesstraße 216. Zudem holten Beamte einen 20 mal 25 Zentimeter großen Stein von der Castor-Bahnstrecke. Auf dem Stein standen Parolen gegen den Transport, wie eine Sprecherin der Bundespolizei sagte. Die Bahnstrecke zwischen Lüneburg und Dannenberg ist für den regulären Zugverkehr gesperrt.

    In Lüchow versammelten sich am Vormittag 800 Schüler unter dem Motto: »Je länger eure Laufzeiten, desto größer unser Zorn«. Die Schüler-Demonstration ist der traditionelle Auftakt der Anti-Castor-Aktionen im Wendland. (dapd/jW) 

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    Hintergrund: Die Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague

    Paris. Der erste Müll aus deutschen Atomkraftwerken ist 1979 in die Wiederaufarbeitungsanlage La Hague in Nordfrankreich gebracht worden. Mittlerweile wurde der größte Teil davon nach Deutschland zurücktransportiert. Der am Wochenende im Wendland erwartete Castor-Transport mit elf Behältern für das Zwischenlager Gorleben ist der vorletzte mit hochradioaktivem Müll. Der letzte soll im kommenden Jahr rollen.

    In Betrieb genommen wurde die Wiederaufarbeitungsanlage 1966, zunächst für militärische Zwecke: Frankreich wollte aus radioaktiven Abfällen Plutonium für den Bau von Atombomben gewinnen. Seit den 70er Jahren, als die französische Regierung ihr Programm für den Bau von Atomkraftwerken lancierte, werden in der Anlage abgebrannte Brennstäbe wiederaufgearbeitet.

    1980 wurde die Fabrik erweitert, nicht zuletzt wegen der damals zahlreichen ausländischen Kunden. Wie Deutschland brachten auch andere Länder ihren Atommüll nach La Hague, unter anderem Japan, Belgien, Schweden, die Schweiz und die Niederlande. Heute schickt nur der niederländische Stromkonzern EPZ noch Atommüll nach La Hague und die Betreiberfirma Areva sucht nach neuen Kunden.

    In der Anlage, deren Gelände sich über 300 Hektar erstreckt, arbeiten rund 6 000 Menschen. Dort lagern nach Informationen der Umweltschutzorganisation Greenpeace derzeit rund 9 000 Tonnen Atommüll, der noch nicht aufbereitet wurde, in Abklingbecken. Eingelagert sind außerdem rund 6 400 Blöcke mit aufbereitetem Müll, der in so genannte Glaskokillen oder Betonquader gegossen wurde. Die französische Atomaufsicht ASN warnte erst im Juni vor dem schlechten Zustand der über 20 Jahre alten Betonbehälter und forderte Areva auf, diesen Müll angesichts der Gefahren für die Umwelt und die Menschen in der Region neu zu verpacken. (AFP/jW) 

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    Kein zweites »Stuttgart 21«!

    Stuttgart Antiatom

    jW dokumentiert: Appell an die Einsatzleitung beim Castor-Transport

    Vor wenigen Wochen wurden beim Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlosspark hunderte Menschen verletzt. Sie protestierten friedlich gegen eine Politik, die an der Mehrheit der Menschen vorbei versucht, wirtschaftliche Interessen durchzudrücken. Der Polizeieinsatz wurde in der Öffentlichkeit mit aller Deutlichkeit kritisiert, Innenminister und Polizeipräsident sahen sich Rücktrittsforderungen ausgesetzt.

    Auch beim unmittelbar bevorstehenden Castor-Transport soll eine unverantwortliche Atompolitik gegen den Willen der Menschen durchgesetzt werden: Nicht nur die Menschen in der Region versuchen die Nutzung des Wendlands als "Atomklo" zu verhindern; auch Menschen von Außerhalb gehen auf die Straße, um dem skandalösen Atom-Deal der Bundesregierung mit den Energiekonzernen etwas entgegenzusetzen: Laut einer aktuellen TNS Emnid- Umfrage haben 80% der Bevölkerung in Deutschland Verständnis für die Castor-Proteste.

    Die Kampagne "Castor Schottern!" hat angekündigt, mit tausenden Menschen die Schienenstrecke durch das Wendland für den Atommüll-Transport unbefahrbar zu machen. Am kommenden Sonntag, an einem Tag, an dem außer dem Castor-Zug kein weiterer Verkehr auf der Strecke stattfindet, wollen sie die Steine aus dem Gleisbett entfernen. Bereits im Vorfeld hat die Kampagne durch ein verbindliches Aktionsbild öffentlich gemacht wie das "Schottern" aussehen soll.

    Bei Trainings und Infoveranstaltungen, auf der Homepage und in anderen Publikationen hat sich die Kampagne immer wieder öffentlich dazu bekannt, dass die Gefährdung von unbeteiligten Personen genauso ausgeschlossen wird, wie Angriffe auf Polizisten. Vielmehr handelt es sich um eine Aktion zivilen Ungehorsams, die alleine das Ziel verfolgt, den Castor zu stoppen. Auch wenn die Aktion "Castor Schottern!" einen Übertritt der bestehenden Gesetze darstellt, ist die Aktionsform legitim. Daher rufen wir die Einsatzleitung der Polizei dazu auf: Reagieren Sie nicht mit Gewalt auf die angekündigte Aktion. Setzen Sie auf Deeskalation, verzichten Sie auf den Einsatz von Schlagstöcken, Reizgasen und agent provocateurs. Verhindern Sie ein zweites "Stuttgart 21"!

    Durch ein öffentliches Bekenntnis zu einem Aktionsbild wird die Aktion "Castor Schottern!" berechenbar. Jeder überzogene Einsatz von Gewalt, jede Verletzung von Teilnehmern an der Aktion wird den bestehenden Konflikt um die Atompolitik weiter anheizen statt entschärfen. Zahlreiche der UnterzeichnerInnen sowie andere Personen des öffentlichen Lebens werden vor Ort sein, um sich von der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes ein Bild zu machen.



    UnterzeichnerInnen:

    - Tom Adler, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
    - Gesine Agena, Bundessprecherin der GRÜNEN JUGEND
    - Jan van Aken, MdB DIE LINKE
    - Jan Albrecht, MdEP BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
    - Rasmus Andresen, MdL Schleswig Holstein BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
    - Marta Aparicio, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
    - Max Bank, attac-Ko-Kreis
    - Dr. Lutz Brangsch, Berlin
    - Dr. Mario Candeias, Rosa-Luxemburg-Stiftung
    - Dr. Diether Dehm, MdB DIE LINKE
    - Dr. Judith Dellheim, Berlin
    - Angelica Domröse, Schauspielerin, Berlin
    - Prof. Hans-Joachim Giegel, Universität Jena
    - Annette Groth, MdB DIE LINKE
    - Heike Hänsel, MdB DIE LINKE
    - Heidrum Hegewald, Malerin/Grafikerin, Berlin
    - Sylvia Heimsch, Parkschützer – Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
    - Kathrin Henneberger, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und attac-Kokreis
    - Dr. Barbara Höll, MdB DIE LINKE
    - Andrej Hunko, MdB DIE LINKE
    - Sven-Christian Kindler, MdB BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
    - Harald Koch, MdB DIE LINKE
    - Jutta Krellmann, MdB DIE LINKE
    - Liane Krusche, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
    - Chris Kühn, Landesvorsitzender BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Baden-Württemberg
    - Sabine Leidig, MdB DIE LINKE
    - Volker Lösch, Regisseur
    - Agnieszka Malczak, MdB BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
    - Norbert Müller, Bundessprecher der Linksjugend ['solid]
    - Juliane Nagel, Landesvorstand DIE LINKE Sachsen, linXXnet Leipzig
    - Dr. Sabine Nuss, PROKLA, Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Berlin
    - Dr. Hermann E. Ott, MdB BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
    - Tobias Pflüger, ehem. MdEP, Vorstand Informationsstelle Militarsierung (IMI),
    Mitglied im Parteivorstand DIE LINKE
    - Christine Pfisterer, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
    - Jasper Prigge, Bundessprecher der Linksjugend ['solid]
    - Bernd Riexinger, Geschäftsführer der Ver.di-Region Stuttgart, Vorsitzender der
    Partei DIE LINKE Baden-Württemberg
    - Hannes Rockenbauch, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
    - Astrid Rothe-Beinlich, MdL Thüringen, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
    - Werner Sauerborn, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
    - Prof. Christoph Scherrer, Universität Kassel
    - Clarissa Seitz, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
    - Steffen Stierle, attac-Ko-Kreis
    - Alexander Süßmair, MdB DIE LINKE
    - Dr. Kirsten Tackmann, MdB DIE LINKE
    -Wilfried Telkämper, ehem. Vizepräsident des Europäischen Parlamentes
    - Hilmar Thate, Schauspieler, Berlin
    - Sahra Wagenknecht, MdB DIE LINKE
    - Harald Weinberg, MdB DIE LINKE
    - Axel Wieland, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
    - Jan Frederik Wienken, Sprecher der GRÜNEN JUGEND Niedersachsen
    – Stefan Ziller, MdA Berlin, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
    – Matthias von Herrmann, Parkschützer - Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
    - Fritz Mielert, Parkschützer - Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
    - Carola Eckstein, Parkschützer - Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
    - Klaus Gebhard, Parkschützer - Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
  • · Berichte

    Protestwelle erwartet

    Reimar Paul
    Berittene Polizei
    Berittene Polizei eskortierte eine »Schatzsuche« von zweihundert Atomkraftgegnern am Sonntag entlang der Castorstrecke zwischen Leitstade und Oldendorf

    Castortransport: Atomgegner kündigen Massenaktionen zivilen Ungehorsams an. Polizei befürchtet Verkehrschaos bei Großdemo am Sonnabend


    Es gibt wohl kein Zurück mehr. Die letzten der elf Castorbehälter mit hochradioaktivem Atommüll haben die Wiederaufarbeitungsanlage im nordfranzösischen La Hague verlassen und sind im Bahnhof Valognes auf Waggons verladen worden. Am heutigen Freitag nachmittag soll der Zug zu seiner tausend Kilometer langen Fahrt ins Wendland starten.

    »Alle Appelle an die Politik, diesen Transport abzusagen, sind verhallt«, beklagt die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI). »So wird nach Stuttgart nun auch Gorleben folgen, und die Polizei muß austragen, daß die Bundesregierung sich vor den Karren der Atomwirtschaft hat spannen lassen.« Gleichwohl, so BI-Sprecher Wolfgang Ehmke in einer Art letztem Aufruf, sei »eine Absage des Transports immer noch möglich«.

    Glauben mögen die Atomkraftgegner daran aber nicht. Sie bereiten sich weiter auf die Großdemonstration am Samstag und viele andere Aktionen vor. Bereits heute morgen wollen in Lüchow die Schülerinnen und Schüler gegen den Castortransport auf die Straße gehen. Ihr Motto: »Je länger eure Laufzeit, desto größer unser Zorn!« Weitere Demonstrationen waren für den Abend in Uelzen und Lüneburg angekündigt.

    In Gedelitz bei Gorleben hat »X-tausendmal quer« damit begonnen, ein Camp zu errichten. Die Initiative hat eine große Sitzblockade auf der Zufahrtsstraße zum Zwischenlager angekündigt. Etwa 1700 Menschen haben bis gestern im Internet erklärt, sie würden sich daran beteiligen.

    »Die Resonanz ist überwältigend«, sagte Luise Neumann-Cosel, die Sprecherin von »X-tausendmal quer«. Sie erwartet, daß Tausende auch ohne vorherige Ankündigung an der Abriegelung teilnehmen werden. »Sie sind nicht nur bereit, viele Stunden auf der Straße zu sitzen, sondern lassen sich auch von eventuellen rechtlichen Folgen nicht abschrecken.«

    Die wendländische Gruppe »Widersetzen« will am Sonntag mit einer großen Sitzblockade auf den Schienen in das Protestgeschehen eingreifen. »Hunderte und vielleicht Tausende werden sich auf den Castorgleisen niederlassen, friedlich und entschlossen, und die Schienen freiwillig nicht wieder verlassen«, war Sprecher Jens Magerl überzeugt. Einige Teilnehmer wollen sich auch aneinanderketten.

    »Unsere Aktion ist eine Sitzblockade, dabei werden wir nicht schottern«, stellt Magerl klar. Allerdings verbinde »Widersetzen« mit den Schotterern »eine freundliche Nachbarschaft«. »Schottern ist einfach eine andere Aktionsform, die einen anderen Personenkreis anspricht.« »Widersetzen« wende sich »entschieden gegen die Kriminalisierungsversuche dieser Form des zivilen Ungehorsams«. Letzterer sei eine »Notfallmedizin für die Demokratie. Und noch besteht Hoffnung, die Patientin zu retten.«

    Für die Kundgebung am Samstag befürchten Atomkraftgegner und Polizei unterdessen ein Verkehrschaos. Jochen Stay, Sprecher von ».ausgestrahlt«, glaubt, »daß die Demonstration gegen den Castortransport so groß wird, daß gar nicht alle ankommen«. Viele Menschen würden das Kundgebungsgelände womöglich nicht erreichen, sondern unterwegs im Stau steckenbleiben. Auch der Gesamteinsatzleiter der Polizei, Friedrich Niehörster, hält größere Verkehrprobleme für wahrscheinlich. »Es wird schwierig sein, sich im Wendland flüssig zu bewegen«, lautet seine Prognose.

    Mindestens 30000 Menschen, wahrscheinlich viel mehr, wollen am Sonnabend auf einem Acker bei Dannenberg gegen Castortransporte und Atomkraft protestieren. Die Demonstranten reisen in rund 300 Bussen und mindestens 6000 Autos an. Um wenigstens das ganz große Durcheinander auf den Straßen zu vermeiden, haben Atomkraftgegner und Polizei gemeinsam ein Verkehrskonzept ausgeklügelt. In und um Dannenberg wurden tausende Parkplätze für Pkw organisiert. Fußgänger, Autos und Trecker sollen möglichst auf getrennten Wegen zum Kundgebungsort gelangen. Auch von den Atommüllstandorten Asse und Schacht Konrad sowie aus dem Kreis Göttingen werden Traktorenkonvois erwartet.
  • · Berichte

    Operation Castorschutz

    Claudia Wangerin
    Protest gegen Castortransport 1996
    So sieht ein echter »Sabotageakt« aus (Protest gegen Castortransport 1996)

    Die Polizei rechnet am Wochenende im Wendland mit kühnen und trickreichen Gegnern. 17000 Beamte sollen den Atommülltransport nach Gorleben schützen


    Auf ein bewegtes Wochenende mit »Sabotage- und Blockadeakten« gegen den Atommülltransport ins Zwischenlager Gorleben bereitet sich die Polizei im niedersächsischen Wendland vor. Läuft alles nach Plan, soll der Castortransport mit dem hochradioaktiven Abfall am heutigen Freitag in der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague starten und am Sonntag per Bahn im Wendland eintreffen. Das letzte Stück sollen die Behälter auf Lastwagen nach Gorleben gebracht werden. Bei den geplanten Protestaktionen werden über 30000 Atomkraftgegner erwartet – so viele wie seit 30 Jahren nicht. Rund 17000 Polizeibeamte aus fast allen Bundesländern werden ihnen gegenüberstehen.

    Das Nachrichtenportal Spiegel online erwähnte am Donnerstag »interne Unterlagen«, die »zeigen, daß die Beamten zur Zurückhaltung angehalten sind«, und zitierte ausführlich aus einem Einsatzbefehl. Demzufolge rechnet die Polizei mit rund 150 »gewaltbereiten Autonomen« (das wären rund 0,5 Prozent der erwarteten Protestteilnehmer) sowie vielfältigen »Aktionstechniken« der Castorgegner. »Körperverletzungen und Sachbeschädigungen werden dabei in Kauf genommen.« Auch die Schottertaktik finde im 92seitigen Befehl des Polizeiführers Matthias Oltersdorf besondere Erwähnung: »Seit August hat sich die Idee einer großflächig angelegten Entfernung von Schottersteinen aus dem Gleisbett in der ›Störerszene‹ etabliert«, zitiert Spiegel online aus »einer ebenfalls vertraulichen Lageeinschätzung des Landeskriminalamts Berlin«.

    Das »Schottern« sei vielleicht nicht legal, aber legitim, sagt Tadzio Müller, einer der Sprecher der Kampagne »Castor? Schottern!«. Ein gezielter Rechtsbruch, aber friedlich. An der deutsch-französischen Grenze wollen am Samstag Atomkraftgegner aus Südwestdeutschland den Castortransport mit einer Sitzblockade in Berg/Pfalz stoppen. Die Blockade sei als friedlicher Protest geplant, betonte am Donnerstag der Sprecher der südwestdeutschen Antiatominitiativen, Andreas Raschke, gegenüber der Nachrichtenagentur dapd. Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Rheinpfalz sagte, die Polizei werde dafür sorgen, daß das Demonstrationsrecht gewährleistet bleibe, bei Straftaten aber konsequent einschreiten.

    Laut Spiegel online befürchten die Einsatzkräfte, daß sich Castorgegner erneut erfolgreich als Polizisten ausgeben und auf diese Weise Straßensperren durchbrechen könnten. Mitte August war es mehreren Aktivisten im niedersächsischen Bad Nenndorf gelungen, eine Betonpyramide hinter den Linien der Polizei zu errichten. Als Requisiten genügten ihnen olivfarbene Hosen, Stiefel und schwarze Kopfbedeckungen sowie eine polizeitypische Zeitschrift, ein Ausdruck des niedersächsischen Landeswappens und ein Imitat einer Einheitskennzeichnung hinter der Windschutzscheibe. Vielleicht fehlte den echten Polizisten an dieser Stelle aber auch der Enthusiasmus – sie wären damit nicht allein: »Die Polizei ist nicht dazu da, politische Ziele blind durchzusetzen, die Bürger verhindern wollen«, kritisierte am Donnerstag der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut. Je mehr Leute friedlich demonstrierten, um so massiver gehe das Signal an die Politik, daß Beteiligungsformen der Bürger viel intensiver genutzt werden müssen, sagte Witthaut den Stuttgarter Nachrichten (Freitagausgabe).