Spaß und Kampfgeist
Am Sonntagabend eröffneten Gäste und Mitglieder der Bundestags-Linksfraktion die Veranstaltungsreihe »Menschen vor Profite« in Bad Doberan. Noch bis Dienstag öffentliche Anhörungen
»Die größte Gewalt geht von der G 8 selbst aus« - damit spricht Christine Buchholz vom WASG-Bundesvorstand einigen Hundert Besuchern im Bad Doberaner Zelt der Linksfraktion so aus dem Herzen, daß langanhaltender Applaus ausbricht. Die Protestler sind es leid, sich wegen der Gewalttätigkeiten einiger Autonomer immer wieder zur »Gewaltfrage« äußern zu müssen, während diese Frage den G-8-Kriegsherren und -damen kaum gestellt wird, die Gewalttätigkeiten einer völlig anderen Dimension zu verantworten haben. Die Ausschreitungen »ändern nichts an der Richtigkeit der Botschaft« der Protestbewegung, betont Buchholz als Moderatorin der Veranstaltung; »die G 8 ist illegitim, die Proteste sind weiterhin notwendig«.
Unter dem Motto »Menschen vor Profite« lädt die Linksfraktion im Bundestag von Sonntag bis Dienstag zu öffentlichen Anhörungen in Bad Doberan, der Muttergemeinde von Heiligendamm. In einem kleinen Park des malerischen Städtchens wurde dazu ein Großzelt errichtet, das zur Auftaktveranstaltung am Sonntag abend zum bersten gefüllt war. Dies lag sicherlich auch an der illustren Rednerliste: Walden Bello war zugegen, jener Autor, Professor und Globalisierungsgegner von den Philippinen, der bereits auf der Kundgebung am Samstag abend eine so kämpferische Rede gehalten hatte, daß ihm eine Presseagentur sogleich einen Aufruf zum Krieg angedichtet hatte. Bello ließ sich davon jedoch nicht schrecken und lobte erneut den »Geist von Genua«, der Heiligendamm umwehe. Der Theologe Eugen Drewermann löste mit einer eindringlichen Antikriegsrede Begeisterung aus; Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Linksfraktion, sprach als letzter und plädierte dafür, »nicht von Globalisierung, sondern von Kapitalismus« zu sprechen. Nachdem er schon mit Jubel empfangen worden war, hielt der Applaus im Anschluß an seinen Redebeitrag mehrere Minuten an und mündete in rhythmische Sprechchöre: »A-anti-anticapitalista, a-anti-anticapitalista«, die er lächelnd entgegennahm.
Auf dem Rasen vor dem Zelt sind Infostände, Tische, Sonnenschirme und eine Grillbude aufgebaut, um die sich Besucher gruppieren, essen, trinken und sich unterhalten. Das Wetter ist in den frühen Abendstunden freundlich, und auch die gut zehn Polizisten, die sich ums Zelt herum postiert haben, trüben die Stimmung kaum, zumal man in dieser Gegend derzeit an ganz andere Aufgebote gewöhnt ist. Im anschließenden Kulturprogramm wagt man sogar ein wenig Klamauk: Ein aufgekratzter Diether Dehm, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, gibt unter Gelächter der noch im Zelt Verbliebenen singend eine Heinz-Schenk-Imitation zum Besten. In der Pause hatte er bereits Brecht-Lieder dargeboten: „Vorwärts, und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht – die So-li-da-ri-tät!"
Das Zusammentreffen von Spaß und Kampfgeist zeichnete von Beginn an weite Teile der G-8-Protestbewegung aus - »Wir haben Spaß, ihr Bereitschaft«, heißt es ganz in diesem Sinne auf einem Transparent an der Zufahrt zum Camp Reddelich, wo die Polizei ständig Wache hält. Am Sonntag abend kam diese Haltung wohl am besten in dem Lob zum Ausdruck, das Lafontaine der G-8-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel aussprach, gefolgt von Gelächter und stürmischem Applaus. Die Bundesregierung, erklärte er, definiere Terrorismus als »rechtswidrige Anwendung von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele«. Mit Blick auf den Sperrzaun um Heiligendamm fuhr er fort: »Merkel hat die Topterroristen der Welt hinter Gitter gebracht«.