Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Sa. / So., 21. / 22. Dezember 2024, Nr. 298
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    Doch ein Zivilpolizist

    Peter Wolter

    Der angebliche »Autonome« war tatsächlich ein Beamter aus Bremen. Staatsanwaltschaft will eventuell ermitteln.


    Noch am Donnerstag hatte die Sondereinheit »Kavala« entrüstet bestritten, ein von Demonstranten enttarnter »Autonomer« sei in Wirklichkeit Zivilbeamter. Schon am Freitag mußte sie zugeben, daß der Mann tatsächlich Polizist ist, und zwar aus Bremen. Seine einzige Aufgabe sei jedoch gewesen, verdeckt Informationen über Straftaten zu sammeln. G-8-Gegner jedoch haben den Vorgang anders in Erinnerung: Demnach hatte der Mann zusammen mit vier ebenfalls als »autonom« getarnten Kollegen versucht, tschechische Globalisierungsgegner zur Randale anzustiften.
    Bis Freitag waren bei der jungen Welt mehrere ähnlich klingende Berichte von Demonstrationsteilnehmern eingegangen. Da war immer wieder die Rede von sonderbaren »Autonomen«: Bei den einen schimmerte unter nagelneuem Szene-Outfit olivgrüne Unterwäsche durch. Andere weigerten sich, gegenüber Mitdemonstranten auch nur ihre Vornamen zu nennen. Einzelne »Autonome« wurden bei Lagebesprechungen der Einsatzkräfte gesehen; hin und wieder wurden festgenommene Steinewerfer im Unterschied zu »normalen« Demonstranten nicht nur mit Samthandschuhen angefaßt – es wurde ihnen sogar die Möglichkeit gegeben, sich hinter der Polizeikette zu verkrümeln. Trotz aller Beschönigungen, Beschwichtigungen und offenen Lügen: Höchstwahrscheinlich haben die Sicherheitsorgane bei den G-8-Protesten Provokateure eingesetzt.
    Das war offenbar auch nötig, da unmittelbar vor Beginn des Gipfels die öffentliche Meinung zu kippen drohte: Geruchsproben, einschüchternde Razzien, die Hamburger Postkontrolle, »Schutzhaft«-Androhungen, zusätzliche Grenzkontrollen und andere »Sicherheitsmaßnahmen« hatten immer empörtere Kommentare und Schlagzeilen zur Folge. Wie bestellt kam da die Randale, die die Fernsehbilder zur G-8-Demonstration am vergangenen Samstag in Rostock prägte. Zu den Straßenschlachtszenen hatte nicht zuletzt eine berüchtigte Polizeisondereinheit aus Berlin beigetragen, die offenbar erst in dem Augenblick eingesetzt wurde, als die Demonstration einen allzu friedlichen Verlauf zu nehmen schien. Zuvor war dem aus Bayern stammenden Einsatzleiter das Kommando entzogen und einem Spezialisten aus Berlin übergeben worden.
    Das »Informationsmanagement« der Polizei gipfelt in der offenen Lüge. Die Zahl der Demonstrationsteilnehmer in Rostock wurde mal eben auf 25000 gedrittelt – die der Angehörigen des schwarzen Blocks auf 4000 bis 5000 verdoppelt. Um die Polizei als Opfer erscheinen zu lassen, wurde die Zahl der Verletzten auf 433 aufgeblasen, wobei allerdings wohl jede Schramme und jeder abgebrochene Fingernagel mitgezählt wurde. Von den 30 angeblich schwer verletzten Beamten waren – wie Recherchen der junge Welt ergaben – nur zwei im Krankenhaus.
    Nach den Rostocker Krawallen können Hardliner wie Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und sein bayerischer Kollege Günther Beckstein (CSU) erst einmal aufatmen: Kaum eine bürgerliche Zeitung stellt noch die 120 Millionen Euro für die Absicherung des G-8-Gipfels oder die Rechtmäßigkeit der Polizeiübergriffe in Frage. Darüber hinaus ist der Boden vorbereitet für weitere Polizeistaatsmaßnahmen. Mittlerweile wird ungeniert die Einführung von Gummigeschossen oder gar der Schußwaffeneinsatz ins Gespräch gebracht. Auch der Widerstand gegen den schon in Heiligendamm praktizierten Bundeswehreinsatz im Inneren dürfte schwächer werden.
    Allerdings droht der Polizei jetzt von unerwarteter Seite Ärger: Die Staatsanwaltschaft Rostock erwägt laut ddp, gegen den Bremer Polizisten und seine vier Kollegen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Anstiftung zu einer Straftat einzuleiten. Aber warum nicht gegen die verantwortlichen Polizeikommandeure?

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    »Die G8 haben versagt«

    Interview: Ralf Wurzbacher
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    Klimaverhandlungen mit der Bush-Adminstration sind vergeudete Zeit. Ein Gespräch mit Tobias Münchmeyer

    Tobias Münchmeyer ist Klimaexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace Deutschland

    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verkauft die am Donnerstag von den G-8-Staats- und Regierungschefs formulierte Willensbekundung zum Klimaschutz als großen »Durchbruch«.  Wie sehen Sie das?


    Die G8 haben versagt und die Chance zu einem echten Fortschritt vertan. Man hat sich nicht auf klare Klimaschutzziele verständigt, insbesondere nicht auf die Vorgabe, die weitere Erderwärmung bis 2050 auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Zur Erinnerung: Frau Merkel hat diesen Punkt im Vorfeld ausdrücklich als »unverhandelbar« bezeichnet. Dazu fehlt es an einer Festlegung, in welchem Umfang die Industriestaaten ihre Treibhausgasemissionen reduzieren wollen. Von einem Durchbruch kann also keine Rede sein.

    Also nichts als heiße Luft?


    Als positiv ist lediglich der Beschluß im Abschlußdokument zu verzeichnen, daß Verhandlungen für eine zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls unter dem Dach der UNO bis 2009 abgeschlossen sein sollen. Außerdem ist sehr deutlich geworden, wie gespalten die G8 in Fragen des Klimaschutzes sind. In der Deklaration heißt es zu der Absicht, die Emissionen bis 2050 zu halbieren, daß die europäischen Staaten sowie Kanada und Japan dies als echtes Ziel erachten. Übersetzt heißt das: Die USA und Rußland sehen das nicht so. 

    Öffentlich wird der Eindruck erweckt, Klimaschutz wäre nur erfolgversprechend, wenn man die USA mit im Boot hat. Ist das Augenwischerei?


    Auf die USA unter der Bush-Administration zu setzen, ist illusorisch. Würde sich Bush sonst weiterhin beharrlich weigern, das Kyoto-Protokoll zu ratifizieren? So gesehen hat der US-Präsident am Donnerstag nur einen weiteren Beweis seiner klimaschutzpolitischen Ignoranz geliefert. Es ist naiv und zudem gefährlich, etwas anderes zu glauben. Mit jedem neuen Verhandlungsversuch wird nur unnötig Zeit vergeudet – Zeit, die die Menschheit nicht hat.


    Wenn jedes Land – oder ein Staatenverbund wie die EU – sein eigenes Ding macht, wäre demnach mehr gewonnen, als noch länger auf die Amerikaner zu hoffen?


    Ganz genau. Wir haben Frau Merkel gegenüber immer wieder die Notwendigkeit betont, daß die klimaschutzwilligen Staaten mit ambitionierten Zielen voranschreiten müssen. Ein Beispiel: Im Abschlußdokument des G-8-Gipfels von St. Petersburg 2006 sind an zwei Stellen Aussagen zum Klimaschutz ausdrücklich im Namen der Staaten formuliert, die das Kyoto-Protokoll ratifiziert haben. Ein klar formulierter Text mit ehrgeizigen Zielen, orientiert an konkreten Zahlen, aber im Dissens verabschiedet, bringt allemal mehr als ein Konsens mit Verfallsgarantie.

    Wie bewerten Sie Ihre spektakuläre Schlauchbootaktion am Donnerstag vor der Küste Heiligendamms angesichts der mageren Gipfelergebnisse?


    Auch wenn es nicht gelungen ist, unsere Petition Frau Merkel persönlich auszuhändigen, ist unsere Botschaft über die Medien sehr wohl angekommen. Überhaupt: Ohne den inzwischen gewaltigen öffentlichen Druck wäre das Thema Klimaschutz den G-8-Staaten wahrscheinlich nicht halb so wichtig gewesen.

    Greenpeace hatte dabei Verletzte zu beklagen. Wie geht es denen?


    Die fünf Betroffenen haben Rippen- und Rückenprellungen, aber keine schweren Verletzungen davongetragen. Es hätte allerdings wesentlich Schlimmeres passieren können. Wir halten die Härte des Polizeieinsatzes für unverantwortlich, insbesondere weil wir die Polizei kurze Zeit vorher über unser Vorhaben informiert hatten. 

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    »Da machen wir keine Kommentare zu«

    Interview: Peter Steiniger

    Pressesprecher der Polizei müssen nicht zwingend gesprächig sein. Ein Interview mit Lüder Behrens, der sich als Pressesprecher der Polizeisondereinheit Kavala wortkarg, aber vielsagend zum Einsatz von Zivilbeamten und deren Funktion bei den Gipfelprotesten um Heiligendamm äußerte.

    Wir hätten ein paar Nachfragen zum jetzt bestätigten Einsatz von Zivilbeamten in den G8-Protestzügen. Sind Sie da auskunftsfähig?

    Ich bin da auskunftsfähig, indem wir sagen, wir haben dort eine Pressemitteilung herausgegeben, und weitere Kommentare geben wir zu dem Bereich aktuell nicht ab.

    Die Erklärung läßt aber einiges offen. War der Beamte an der Galopprennbahn dort alleine oder in einer Gruppe eingesetzt, als es zu dem Zwischenfall kam, der zu seiner Enttarnung führte?

    Dazu machen wir keine Kommentare.

    Wie viele Polizisten sind während dieser Tage bei den G8-Protesten eingesetzt worden?

    Während dieser Tage sind rund 16000 Kollegen eingesetzt worden.

    Und wie viele Zivilbeamte sind eingesetzt worden?

    Da machen wir keine Kommentare zu.

    Sind auch an anderen Orten Zivilbeamte eingesetzt gewesen?

    Da machen wir ebenfalls keinen Kommentar zu.

    Wenn an der Galopprennbahn welche eingesetzt waren, warum dann nicht auch an anderen Orten?

    Das habe ich ja auch nicht so gesagt. Ich mache da keine Kommentare zu.

    Kooperiert die Polizei auch mit den Zivilbeamten anderer Behörden oder Dienste?

    Dazu machen wir auch keine Angaben.

    Wann machen Sie denn mal Angaben zu dieser Geschichte?

    Aktuell nicht. Aktuell haben wir eine Pressemitteilung herausgegeben und weitere Angaben können wir zur Zeit noch nicht machen.

    Haben Sie keinen Überblick über den Einsatz Ihrer Zivilbeamten?

    Dazu machen wir keine Angaben.

    Haben Sie selbst noch keinen Überblick oder haben Sie noch nicht die Genehmigung, mit der Presse darüber zu sprechen?

    Wir machen jetzt zu dieser Thematik keine Kommentare. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Und das, was Sie jetzt meinen, daß wir keinen Überblick haben – wie auch immer, das ist Ihre Feststellung.

    Nein, das ist einfach eine Frage, ob Sie einen Überblick haben oder ob Sie keinen haben.

    Auf diese Frage kann ich Ihnen nicht antworten.

    Eine grundsätzliche Frage können Sie mir sicher beantworten: Ist die Einsatzgruppe Kavala auch selbst daran interessiert, die Öffentlichkeit über den brisanten Einsatz von Zivilbeamten umfassend zu informieren – oder will sie das eher nicht tun?

    Da kann ich Ihnen auch nicht zu antworten, weil wir sicherlich im Rahmen eines Verfahrens wie auch immer dann sicherlich Auskunft dazu geben werden.

    Das wird geschehen?

    Dazu kann ich jetzt keine Antwort geben.

    Gut - keine Angaben sind ja auch immer sehr interessant. Seien Sie doch so nett und rufen mich an, wenn Sie mehr wissen.

    Anmerkung der Online-Redaktion: Auf nochmalige Nachfrage von junge Welt äußerte sich Lüder Behrens ähnlich vielsagend.

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    Militanz statt Pflastersteine

    Damiano Valgolio
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    Nach Rostock und Heiligendamm muß sich die radikale Linke entscheiden: Alte Mythen oder neue Bewegungen.

    Nein, diesmal bekommt die Propagandamaschinerie nicht die ersehnten Bilder! Obwohl die Polizeiführung alles daran setzt, die Lage wieder eskalieren zu lassen.
    Vermummte Zivilpolizisten mischen sich unter die G8-Gegner und fordern zum Steinewerfen auf. Sie werden rausgeworfen. Die Polizei schießt mit Wasserwerfern auf die friedlichen Sitzblockaden, mit schweren Stiefeln wird den Protestlern auf dem Boden ins Gesicht getreten. Doch die Menschen bleiben besonnen. Viele Tausend haben am Mittwoch und am Donnerstag die Zufahrtsstraßen zum G8-Gipfel in Heiligendamm blockiert. Immer wieder überlistet »Block G 8« den schwer bewaffneten Polizeiapparat und dringt vor bis zu dem Stacheldrahtzaun, hinter dem sich die Mächtigen der Welt verschanzt haben. Anstatt die Polizeisperren anzugreifen, schwärmen die Demonstranten aus und überlaufen die Kampfroboter auf den umliegenden Feldern. Das Tränengas verfliegt, es wird verdrängt von der Kraft der Bewegung der Bewegungen.

    Dunkles Gebilde mit Modergeruch

    Wer hätte das gedacht – nach Rostock. Auch dort war die Kraft zu spüren, die von den Zehntausenden ausging. Gewerkschafter und Christen, Ökos und Sozialisten demonstrierten gemeinsam gegen die neoliberale Globalisierung. Wieder ätzte das Tränengas an den Rändern der Massenkundgebung – doch diesmal verflog es nicht. Es wurde verstärkt von einem seltsamen, modrigen Geruch. Verströmt von einem dunklen Gebilde, das eigentlich schon auf dem Müllhaufen der Geschichte kompostierte. Spiegel-Online, die Bildschirm-Bild im Minutentakt, gab ihm einen Namen: Schwarzer Block.

    Gerne mitgespielt

    Anders als in der folgenden Woche schafften es die »Autonomen« auf Rostocks Straßen nicht, die verkleideten Polizeiprovokateure rauszuwerfen. Stattdessen lassen sie sich von ihnen verführen, greifen erst ein wie zufällig einsam herumstehendes Einsatzfahrzeug an. Danach liefern sie sich Scharmützel mit der Polizei. Die spielt das Spiel gerne mit, immer wieder zieht sie sich in die Seitenstraßen zurück, um danach wieder vorzupreschen. Dabei hätte schon eine Hundertschaft gereicht, um die »Schwarzen« matt zu setzen. Stattdessen greift die Polizei gezielt die friedlichen Demonstranten an. Mit Wasserwerfern und tieffliegenden Hubschraubern versucht sie die Abschlußkundgebung unmöglich zu machen. Nach drei Stunden Provokation haben die Polizisten in schwarz und in Uniform ihr Ziel erreicht: ein Auto brennt. Genauso gut wie die Straßenkrawalle selbst hat ihre mediale Ausschlachtung System: Die englischsprachige Rede von Walden Bello wird von einem Reporter falsch übersetzt. Ausgerechnet dem Pazifisten und Träger des alternativen Friedensnobelpreises wird ein Aufruf zum »Krieg auf der Straße« angedichtet. Es werden Falschmeldungen von hunderten verletzen Polizisten verbreitet, von Molotow-Cocktails, Messerattacken und Leuchtspurmunition.

    Kein Zeichen von Stärke

    Genauso wurde 2001 bei den G8-Protesten in Genua der Polizeiangriff auf die schlafenden Aktivisten in der Diaz-Schule inszeniert. Die Polizisten, die damals eine Messerattacke auf sich selbst vortäuschten und Benzinflasche in die Schule schmuggelten sind inzwischen rechtskräftig verurteilt. Wann wird den verbeamteten Provokateuren von Rostock der Prozeß gemacht?      
    Die Massenmedien dichten die Krawalle, die in Wirklichkeit kaum über das hinausgehen, was in Dresden oder Leipzig regelmäßig vor den Fußballstadien passiert, zum Bürgerkrieg um. Nicht viel besser sind die Stellungnahmen einiger linksradikaler Gruppen: die »Antifaschistische Linke Berlin« sieht in den autonomen Steinwürfen, die oft genug Mitdemonstranten trafen, »zielgerichtete Aktionen«. Die inszenierte Krawalle wird als Zeichen der eigenen Stärke interpretiert, dabei zeigt sie vor allem die organisatorische Schwäche.

    Militanzbegriff hinterfragen

    Aber auch die Reaktionen der ATTAC-Funktionäre zeugen nicht von Souveränität: Gepaart mit öffentlichen Entschuldigungen erklärt Peter Wahl, daß die »Autonomen« ab jetzt nicht mehr mitmachen dürfen. Doch mit Entsolidarisierung läßt sich die Gewalt nicht eindämmen. Übrigens auch nicht mit dem so richtigen wie banalen Hinweis, daß die Polizei angefangen hat. Gegen die Krawallos hilft nur eines: Militanz.
    Und zwar Militanz, wie sie in England und Italien verstanden wird. Dort ist der »Militante« kein Steinewerfer, sondern ein Organisierter, bzw. ein Organisierer. Mit einem gut organisierten Ordnerdienst, der Steinewerfern und Provokateuren auf die Finger klopft, lässt sich mehr erreichen als mit rückwirkenden Distanzierungen. Die erfolgreichen und friedlichen Aktionen vor Heiligendamm haben gezeigt, wie echte Militanz aussieht.

    Auch vor den Gipfelprotesten in Genua 2001 hat die italienische Linke zuerst im eigenen Lager durchgegriffen. Die damaligen »Dissobedienti« schützten sich nur mit Plastikschildern und Helmen gegen die Polizei. Wer dieses Konzept des »Ungehorsams« mit Steinwürfen störte, wurde alles andere als zimperlich behandelt.

    Wenn die radikale Linke auch in Deutschland zu einem relevanten Faktor der neuen Bewegungen zu werden will, muß sie sich von ihren alten Riten und Aktionsformen verabschieden. Und bitte auch von ihrer dunklen Lieblingsfarbe. Der schwarze Block konnte vielleicht in den fetten 80ern die Hamburger Hafenstraße verteidigen. Für die heutigen Auseinandersetzungen mit ihren immer schärferen sozialen Konflikten ist er so ungeeignet wie eine Sturmhaube beim Küssen. 

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    »Wir waren nur Nummern«

    Interview: Peter Steiniger
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    Klaus Döweland

    Anreisende G8-Kritiker wurden unter fadenscheinigen Vorwänden busweise eingesperrt. Ein Gespräch mit dem Berliner Elektriker Klaus Döweland, der am Dienstag in die Gefangenensammelstelle in der Industriestraße in Rostock verbracht wurde.

    Beschluß. »Gründe für eine Gewahrsamnahme nicht ersichtlich«
    Beschluß. »Gründe für eine Gewahrsamnahme nicht ersichtlich«

    Warum wollten Sie an den Protestaktionen gegen die G8 teilnehmen?

    Ich wollte mich als Einzelperson den  Blockaden anschließen, um etwas gegen diese Kriegstreiber zu tun. Deshalb bin ich zum Camp Reddelich gefahren. Dort waren Busse organisiert worden, um am Dienstag Demonstranten zu den Aktionen am Flughafen Rostock-Laage während der Ankunft von US-Präsident Bush zu bringen. Da habe ich mich spontan mit angestellt und habe noch einen Platz bekommen.

    Sind Sie Mitglied einer Partei oder einer anderen politischen Gruppe? Woher kommen Sie und was für einen Beruf üben Sie aus?

    Ich lebe in Berlin und bin nicht politisch organisiert. Von Beruf bin ich Elektriker. Zuletzt habe ich als EDV-Techniker gearbeitet. Seit anderthalb Jahren bin ich erwerbslos.

    Aus der beabsichtigten Teilnahme an den Kundgebungen am Flughafen Laage wurde nichts. Weshalb?

    Unsere Fahrt endete an der Ausfahrt nach Rostock-Laage. Bereits auf der Autobahn wurde unser Bus von vorn und hinten durch Polizeifahrzeuge eskortiert. Man hat uns auf eine alte Baustellenzufahrt herausgewunken. Das war etwa gegen 16 Uhr. Dort mußten wir erst eine Weile warten, bis wir einzeln zum Aussteigen aufgefordert wurden. Wir hatten unser Hab und Gut auszubreiten und wurden erkennungsdienstlich behandelt - an Ort und Stelle an den Bus gestellt und fotografiert.

    Um wie viele Personen handelte es sich? Mit was für Leuten waren Sie unterwegs und wie hat die Polizei ihr Vorgehen begründet?

    Wir waren insgesamt 57 Personen - aus unserem Reisebus sowie einem Kleinbus, der sich uns während der Fahrt angeschlossen hatte. Im wesentlichen Einzelpersonen, nur wenige kannten sich. Auch ein paar Jugendliche waren dabei. Alles ganz normale Leute eben. Es wäre mir schon aufgefallen, wenn da jemand nach dem »harten Kern« ausgesehen hätte.
    Die Beamten stellten uns erst einmal mit der Aussage ruhig, es würde sich um eine Demo-Vorkontrolle handeln.

    Was geschah dann?

    Unsere Gruppe wurde in ein aus Polizeifahrzeugen gebildetes Viereck, das von Beamten umzingelt war, gewissermaßen eingepfercht. Wir mußten dort eine Dreiviertelstunde im strömenden Regen ausharren. Nach etwa 15 Minuten war die Polizei so gnädig, wenigstens eine Frau mit einem Kleinkind ins Trockene zu lassen. 

    Zu welchem Ergebnis führte die Überprüfung durch die Polizei?

    Eigentlich zu gar keinem. Jemand hatte zwei Walkie Talkies dabei. Das wurde ein bißchen aufgebauscht. Man hat sie ihm erst abgenommen, etwas später aber wieder herausgegeben. Gefährliche Gegenstände wurden bei uns nicht gefunden. Dann kamen die Polizisten mit einer neuen Erklärung: Im Bus wären Vermummte dabei gewesen. Was nicht stimmte.

    Welche Konsequenzen zogen die Beamten nach den Kontrollen?

    Man hat uns alle, auch die Frau und das kleine Kind, in Gefangenentransporter verfrachtet. Damit wurden wir nach Rostock zur Industriestraße gefahren. Dort wurden wir in einer Art Gefangenensammelstelle, die sich in einer ehemaligen Fabrikhalle befindet, von der Polizei in Empfang genommen. Wir wurden erneut fotografiert und die neuen Bilder wurden mit denen verglichen, die schon am Bus gemacht worden waren. Das landet sicher in irgendeiner Datenbank. Fingerabdrücke hat man seltsamerweise aber nicht genommen.

    Gab es eine konkrete Anschuldigung gegen Sie persönlich?

    Zunächst nicht. Wir wurden einzeln in ein Vernehmungszimmer geführt. Der Beamte dort trug Zivil und wollte von mir wissen, ob ich irgendeiner Gruppe angehöre oder mich zugehörig fühle. Zumindest bei mir wollte er wohl so eine Art Gesinnungsprüfung machen. Er fragte mich und fragte mich nochmal. Da habe ich zurückgefragt, ob ich rechtlich verpflichtet sei, darauf zu antworten. Das hat er verneint und schließlich die Befragung abgebrochen.

    Wie waren die Bedingungen in der Sammelstelle?

    Soviel ich sehen konnte, waren in diesem Komplex 16 Zellen eingerichtet worden. Das waren Gemeinschaftszellen, zirka sechs mal sechs Meter groß, und ungefähr 2,50 Meter hoch. Ringsherum war kleinmaschiger Gitterdraht, darüber waren Gumminetze gespannt. Sitz- oder Liegemöglichkeiten gab es keine. In der Zelle, in die ich kam, gab es einen versifften Bodenbelag, in den anderen nur den blanken Fabrikboden.

    Wurden Sie verpflegt?

    In meiner Zelle waren wir 15 Leute. Man mußte bei den Wärtern grundsätzlich alles einklagen. Um Isomatten und Decken – wir hatten ja alle durchnässte Klamotten – mußten wir fast betteln, etwas zum Trinken lautstark einfordern. Alles ging schleppend. Wenn jemand etwas wollte, auf die Toilette usw., dann wurde immer nur einer bedient. Etwas zu essen mußten wir auch einklagen. An unsere Vegetarier oder an Menschen, die kein Schweinefleisch essen, hatte man natürlich nicht gedacht. Irgendwann haben sie dann Bananen besorgt. Da fühlten wir uns dann wirklich wie die Affen im Käfig ...

    Wie sind die Beamten sonst mit Ihnen umgegangen?

    Wir hatten sogenannte Begleitnummern erhalten. Die Polizisten haben uns mit diesen Nummern angesprochen. Einige Mitgefangene haben sich das leider auch gefallen lassen. Offensichtlich waren viele das erste Mal mit so etwas konfrontiert. Bei mir haben sie es nicht mehr gewagt, nachdem ich darauf nicht reagiert und mich lautstark aufgeregt hatte.
    Sehr unterschiedlich war der Umgang mit unserem Recht zu telefonieren. Ich konnte problemlos mein Rechtsanwaltsgespräch und ein Privatgespräch führen. Anderen wurde das verweigert. Besonders betroffen waren die Ausländer unter uns. Und lange war kein einziger Beamter aufzutreiben, der eine Fremdsprache beherrscht, nicht einmal Englisch.

    Wann wurden Sie mit einer konkreten Anschuldigung konfrontiert?

    Um 20 Uhr sind wir eingeliefert worden. Ungefähr ab 23 Uhr wurden wir dann alle dem Staatsanwalt vorgeführt, schubweise. Der kam mir dann mit dieser ominösen Vermummungsstory. Ich hätte in einem Bus mit Vermummten gesessen. Dadurch sei ich als jemand aufgefallen, bei dem anzunehmen sei, daß er zu Straftaten beitragen könne. Das war alles.
    Als die Rechtsanwälte vom Legal Team eintrafen, entstand viel Aufregung unter den Beamten und es dauerte noch etwas, bis wir einem Richter vorgeführt wurden. Einige mit, einige ohne Anwalt.

    Zu welcher Entscheidung kam der Richter?

    Der Richter wirkte von den Ausführungen des Staatsanwaltes wenig angetan. Er wird sich wohl auch gedacht haben: Wegen so einem Müll holen die mich nachts aus dem Bett. Der Beschluß war ganz klar: Mir ist keine Beteiligung an einer Straftat nachzuweisen, es gäbe »keine ersichtlichen Gründe für eine Gewahrsamnahme«. Mittlerweile war es gegen zwei Uhr morgens. Drei Uhr sollte ich entlassen werden und bekam einen Schein in die Hand gedrückt, daß ich jetzt aus der Stadt Rostock und dem Landkreis Bad Doberan ausgewiesen sei. Die dort gesetzte Frist zum Verlassen – zwei Uhr - war allerdings bereits überschritten. Ich habe mich geweigert, die Entlassung anzunehmen. Ich mache denen doch nicht den Affen – gehe vorn raus und werde hinten wieder reingesteckt. Das haben sie dann widerwillig geändert. Wir sind dann nach und nach entlassen worden. Soviel ich weiß, war gegen 4 Uhr die Hälfte von uns wieder frei. Ob alle wieder raus kamen, weiß ich nicht. Ich bin dann zum Camp, dort wurden wir von einer kleinen Delegation in Empfang genommen und mit Kaffee und Kuchen verpflegt. Nach meiner Rückkehr nach Berlin bin ich dann direkt zur jungen Welt gegangen.

    Was glauben Sie, was die Polizei mit Ihrem Vorgehen bezweckte?

    Ich weiß es nicht genau. Zum einen wollten sie uns wohl davon abhalten zu demonstrieren. Gleichzeitig kam es mir so vor, als hätten sie mit uns einen Probelauf für die kommenden Tage gemacht.

    Platzverweisung. »Die getroffene Maßnahme ist geeignet, erforder
    Platzverweisung. »Die getroffene Maßnahme ist geeignet, erforderlich und angemessen...«

    Das Gespräch wurde am Mittwoch nachmittag geführt. Anmerkung: Der Anwältliche Notdienst berichtete jW, daß schon mehrfach Busse von der Polizei gestoppt und sämtliche Insassen von der Polizei festgehalten und verwiesen worden seien. »Was hier an Platzverweisen von der Polizei ausgesprochen wird, ist vollkommen willkürlich«, so Rechtsanwalt Carsten Gericke. Das Verwaltungsgericht Schwerin habe bereits etliche dieser Platzverweise als rechtswidrig aufgehoben. 

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    RAV verklagt die Bild-Zeitung

    Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) geht gegen Bild wegen der Berichterstattung über eine Rechtsanwältin beim Einsatz von Zivilpolizisten vor:

    Am Mittwoch abend gegen 19 Uhr wurde eine Gruppe von fünf Polizeibeamten in Zivil durch Demonstranten bei der Blockade am Osttor des Sicherheitszaunes entdeckt. Die Zivilpolizisten waren im Stil des sogenannten Schwarzen Blocks gekleidet. Als auf dem Hubschrauberlandeplatz hinter der Polizeikette einige Hubschrauber landeten, versuchten die Zivilbeamten, die anwesenden Demonstranten zu Straftaten anzustacheln. Auf Aufforderung der Blockade-Organisatoren entfernten sich vier von fünf Zivilpolizisten und wechselten auf die Seite der uniformierten Beamten. Der fünfte Zivilpolizist, der sich wie seine Kollegen geweigert hatte, seine Identität offen- zulegen, wurde dann von Anwälten des Legal Teams und Organisatoren der Blockade auf eigene Bitten hin, zu seinen uniformierten Kollegen begleitet.

    Unter der Fotoüberschrift »Aufgebrachte Schläger versuchen, einem Zivilpolizisten die Kapuze vom Kopf zu reißen« zeigt die Bild-Zeitung vom Donnerstag ein Foto, das eine Anwältin des Legal Teams zeigt. Die betreffende Anwältin ist zu sehen, wie sie mit dem Zivilbeamten darüber spricht, wie er sich zu seinem eigenen Schutz auf die andere Seite der Polizeikette begeben kann. Die Bildüberschrift ist falsch. Sie suggeriert in böswilliger Absicht, daß die auf dem Bild erkennbaren Personen, die tatsächlich den als Agent Provocateur agierenden Polizeibeamten geschützt haben, Gewalttäter seien.

    »Der RAV hat den bekannten Presserechtsanwalt Johannes Eisenberg eingeschaltet, der die Bild-Zeitung auf Gegendarstellung und Unterlassung verklagen wird«, sagt Wolfgang Kaleck, Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins. »Mit ihrer wahrheitswidrigen Berichterstattung trägt die Bild-Zeitung zur Eskalation der Situation bei.« Zudem müsse die Polizeieinsatzleitung die Frage nach dem unverantwortlichen Einsatz von offensichtlichen Agent Provocateurs nicht nur bei der gestrigen Blockade beantworten. Nach dem kritikwürdigen Vorgehen der zivilen Polizeibeamten am gestrigen Tage sei es nicht auszuschließen, daß Polizeibeamte auch an weiteren Orten und Tagen in derartiger Art und Weise vorgegangen sind.

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    Geräumt, aber nicht geschlagen

    Von Sebastian Wessels, Reddelich
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    Kleidung durchnäßt - Stimmung optimistisch. Eindrücke von den G8-Blockaden

    Einige hundert Blockadeteilnehmer sind soeben mit Wasserwerfern und Polizeiknüppeln von der Zufahrtsstraße bei Hinter Bollhagen vertrieben worden - tief in der Demo-
    Verbotszone und kurz vor dem G8-Tagungsort Heiligendamm.

    Nun verteilen sich die Aktivisten über die Wiese neben der Straße, die gerade von einem Polizeispalier abgeriegelt wird. Von Wasserwerfern durchnäßt hüllen sie sich in Wärmefolien, suchen Freunde und Bezugsgruppen - und lassen sich ihren Optimismus nicht nehmen. Trotz Räumung hat sich hier eine Feierstimmung durchgesetzt. Die Blockadetaktik war in vielerlei Hinsicht ein voller Erfolg: Die andere Zufahrt nach Heiligendamm wird noch erfolgreich blockiert und die Bäderbahn »Molli« ist lahmgelegt. G8-Delegierte mußten eingeflogen werden - und die allgegenwärtige Polizei wurde vielfach zum Narren gehalten.

    Robocops sprachlos

    »Gott, habt ihr 'nen Mistjob«, ruft ein Blockierer den uniform aufgereihten Polizisten zu. »Ihr Flaschen«, meint kopfschüttelnd und lachend ein anderer. Ein weiblicher Clown hat den etwa anderthalb Meter hohen Wall erklommen, auf dem die Straße verläuft und die Polizisten stehen, ahmt deren herrische Pose nach und marschiert im Stechschritt vor ihnen hin und her. Dann schnellt ein Polizistenarm hervor und stößt die junge Frau den Wall hinunter. Sie strauchelt, fällt aber nicht, sondern klettert sofort wieder hinauf, um ihre Parodie fortzusetzen.
    Ein durchnäßter Aktivist wendet sich mit einer einfachen Frage an das Spalier: »Habt ihr Leute verhaftet? Wir suchen Leute.« Die Rüstungen stehen da und rühren sich nicht. »Ja oder nein?«, drängt er. Ein vorbeikommender Blockadeteilnehmer klopft ihm auf die Schulter, zieht ihn hinter sich her und sagt beinahe mitleidig: »Laß es, die können nicht reden.«

    Anwohner teils solidarisch

    Hinter der Sperre in Richtung Heiligendamm streiten Anwohner mit den Polizisten. Vor einigen Minuten haben sie den Aktivisten aus dem Fenster ihres Hauses, das unmittelbar hinter der Absperrung steht, ein paar Snacks zugeworfen. Einer der Blockierer möchte seinen Schlafsack zurück haben, der noch jenseits der Sperre liegt. Die beiden Frauen aus Heiligendamm wollen ihm sein Eigentum geben, dürfen es aber nicht. »Diskussion beendet«, herrscht ein Beamter aus Bayern sie an.

    Clownerien, Gesang und Spott entfernen sich langsam. Zurück bleiben einige Strohsäcke, die von Blockierern zum Sitzen benutzt werden, ein paar Luftschlangen, leere Wasserflaschen und die Einsatzkräfte auf dem Wall. Auf Befehl nehmen sie ihre Helme ab. Ob sie neben der taktischen auch ihre moralische Niederlage ahnen, bleibt der Spekulation überlassen - sie geben ja keine Auskunft.
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    Dank an die Clowns

    Frank Ehrhardt, Potsdam
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    Am Samstag, dem 2. Juni 2007, bin ich Augen- und Ohrenzeuge einer riesigen friedlichen Demonstration geworden und habe die Provokationen und im Anschluß diese extremen Lügen in den Medien erlebt.
    Ein Zug bestehend aus vielen tausend bunten Menschen, Fahnen aller Farben – aber rote Fahnen dominierten -, riesige Figuren und Transparente, die mit viel Geschick, Humor und Fantasie gefertigt wurden. Ich reihte mich mit meiner roten Fahne ein und lief mit. Unterwegs zum Stadthafen blieb ich immer wieder stehen, um andere Gesichter, andere Gruppierungen, andere Losungen zu sehen. So zog der ganze Zug an mir vorüber. Auch der sogenannte schwarze Bock. Ich sah tausende Gesichter – in keinem – ich wiederhole: in keinem einzigen war Wut, Bitternis, Haß oder Gewaltbereitschaft zu sehen. Im Gegenteil: Ausgelassene, fröhliche, menschliche, lächelnde Gesichter prägten den Zug. Ich schaute auch in die Gesichter, die unter großen Helmen und hinter Schilden hervorlugten – da waren ernste, angespannte, menschliche Gesichter zu erkennen. Und dann gab es da eine Gruppe offenbar professioneller Clowns, die ausschwärmten und sich überall dort zeigten, wo sich  Demonstranten und »Ordnungshüter« nahe kamen. Sie brachten Humor in solche Momente. Sie rangen beiden Seiten ein Lächeln ab und verhinderten dadurch - schon im Vorfeld – Provokationen der einen als auch der anderen Seite. Wo die Clowns auftauchten entspannten sich die Gemüter. Ein genialer Einfall. Ein Deeskalationsteam ohne Uniform. Wir können den Clowns nicht genug danken.

    Wasserspeiende Ungeheuer


    Der Zug wurde ständig durch ein bis zwei dröhnende Hubschrauber begleitet. Am Ort der Abschlußkundgebung sah ich mit Brettern vernagelte Geschäfte. Wie sehr die Medien doch die einheimische Bevölkerung auf die drohenden Krawalle eingetrimmt hatten. Der Beginn der Kundgebung mußte mehrfach verschoben werden, da die Hubschrauber in Standschwebe über dem »Festplatz« standen und die Mikrofone und Lautsprecher übertönten. Zwischen den Redebeiträge immer wieder der Appell an die Polizei, die Provokationen einzustellen. Plötzlich Rauch, Unruhe, unruhige Blicke … und vier mehr als mähdreschergroße grüne wasserspeiende Ungeheuer fahren mitten auf den Festplatz. Mir kommen Menschen mit roten Gesichtern und tränenden Augen entgegengerannt, die Wasser suchen, um ihren Augen auszuspülen. Und wieder die Aufforderung von der Bühne: »Zieht Euch zurück - raus aus unserer Veranstaltung, hört auf mit den Wasserwerfern und überhaupt mit Euren Provokationen auf!«
    Mehrmals stürmten vor meinen Augen schwer gerüstete Polizeieinheiten mit geschlossenen Visieren in die Menschenmassen. Wie lange geht das noch gut ohne organisierte Gegenwehr?
    Irgendwann ziehen sich sowohl die bulligen Wasserwerfer, als auch die marschierenden Kolonnen zurück. Unter dem lauten Beifall tausender aufatmender nicht gewaltbereiter G8-Gegner. Eine Stunde später wird von der Bühne verkündet, daß in der Innenstadt Jagd auf nasse Menschen gemacht wird. Ein Scherz? Nein. Auf dem Weg zum Hauptbahnhof komme ich an einem (!) verbrannten PKW vorbei. Dann werde ich Zeuge wie junge Leute am Straßenrand völlig willkürlich angehalten werden und die Trockenheit ihrer Kleidung durch Abtasten überprüft wird. Wer mit nasser Kleidung an diesem Abend in Rostock aufgegriffen wurde, wurde als potentieller Gewalttäter eingestuft und dementsprechend erkennungsdienstlich behandelt.

    Die Bilder von Genua


    Hunderte Polizisten sollen verletzt worden sein. Auf dem Weg zum Camp fragten wir uns, wie und wo die Beamten mit Helm, Visier, und dem ganzen Körper voller Hartplastik zu verletzen seien. Oder zählt es auch als Verletzung, wenn die Polizisten ihr eigenes Tränengas einatmen?
    Vor dem Camp erwarten uns drei große Wasserwerfer und mehrere hundert kampfbereite Polizisten. Es ist inzwischen 21.30 Uhr. Mir stockt der Atem, Bilder aus der Turnhalle in Genua 2001 werden wach, wo unschuldig schlafende brutalst zusammengeknüppelt wurden. Überhaupt haben mich heute einige Bilder eher an Chile im September 1973 erinnert, als an ein demokratisches Rechtssystem. Damals hielt ich es für ausgeschlossen, daß ich jemals ähnliches mit eigenen Augen sehen werde. Doch heute hab ich Angst – und nicht nur ich – denn hier herrscht Barbarei.
    Wenn Gewalt gebraucht wird, um der Welt etwas zeigen zu können, dann wird Gewalt  befohlen. Und wenn den Kampfmaschinen da draußen jemand in der Nacht den Befehl gibt, das Lager zu stürmen, dann motivieren die angeblich verletzten Polizeikollegen ungemein. Um 23.30 Uhr treffen sich die Delegierten der einzelnen Zeltgemeinschaften, um darüber zu beraten ob und wie Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. In dieser Nacht bleibt es zwar ruhig, aber mich lassen die Eindrücke des Tages lange nicht zur Ruhe kommen.

    Hier herrscht Barbarei


    Die Medien haben ihre Bilder bekommen. Immer und immer wieder wurde das einzige brennende Auto gezeigt. Von wem jedoch die Gewalt ausging und wer provoziert hat – bis dann endlich doch die Steine flogen – das wissen nur wir. Wir die 80 000 bewegten Bürger, die ihren Unmut über die täglich verübten Gewalttaten der G-8–Staaten friedlich äußern wollten. Die Gewalttaten wie Krieg, Folter und Mord, wie gezielte Umweltzerstörung, Hungertod von Millionen Menschen. Es ging aber vielen um mehr. Eindeutig wurde der Kapitalismus als Grundübel herausgestellt. Das macht den Herrschenden offenbar Angst, solche Angst, daß sie wild um sich schlagen und treten lassen. Auch die Massenmedien tun ihren Dienst: Tagelang werden ihre Lügen um die Welt gehen: Rostock wurde von linken Krawallmachern aus In- und Ausland in Schutt und Asche gelegt – über 430 verletzte Beamte …
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    Hoffnungsvoller Auftakt

    Ann Friday

    Rege Beteiligung bei G-8-Alternativgipfel in Rostock. Jean Ziegler hielt Eröffnungsrede

    Mehr Leute hätten in die Rostocker Nikolaikirche nicht hinein gepaßt. Etwa 1400 Menschen drängten sich am Dienstag abend in die Auftaktveranstaltung des G-8-Alternativgipfels; die Veranstalter hatten mit 700 Teilnehmern  gerechnet. Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, eröffnete die  Podiumsdiskussion mit einer flammenden Rede. »Ein Kind, das heute verhungert, wird ermordet«, erklärte er, und wies auf das System der strukturellen Gewalt hin. Der EU-Ministerrat könnte das mörderische Agrardumping morgen früh stoppen. Der Neoliberalismus müsse weg, die Welthandelsorganisation, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank sollten ersatzlos abgeschafft werden. »Wir wissen, was wir nicht wollen«, sagte Ziegler und fügte hinzu: »Es gibt keinen Weg, den Weg machen deine Füße selbst«.
    Was für ein Widerspruch, daß dieser Mann mit seinen Ansichten noch bei der UN angestellt ist, meinte Madjiguene Cisse aus Senegal: »Wie kommt es, daß er dort noch arbeitet? Nächstes Mal laden wir ihn zu den Blockaden ein!«
    Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand sah noch einen weiten Weg vor sich. Ein Generalstreik, wie von einem Teilnehmer vorgeschlagen, sei erst bei in einem anderen gesellschaftlichen Klima denkbar. Sie berichtete von der internationalen Gewerkschaftskampagne für würdige Arbeit und würdiges Leben, mit der vor allem prekär Beschäftigte und Menschen ohne Job angesprochen werden sollen.
    Thuli Makama vom Umweltnetzwerk Friends of the Earth aus Swaziland steltte klar, daß Afrikaner keine Bettler seien: »Wir bitten nicht um Almosen, denn die Welt hat genug Ressourcen für uns alle.« Sie wandte sich unter anderem gegen Biokraftstoffe: Der Energieverbrauch des Nordens dürfe keinen Vorrang gegenüber der Nahrungsversorgung des Südens haben.
    Madjiguene Cisse, die früher bei den Sans Papiers in Frankreich aktiv war und nun im Senegal aktiv ist, forderte unter viel Applaus das Grundrecht der Bewegungsfreiheit für alle Menschen ein und sprach die Fluchtursachen an. Exemplarisch wies sie auf die Fischereiabkommen zwischen der EU und mehreren Ländern des Südens hin, die dazu führten, daß die Fischer dort keine Arbeit mehr hätten.
    Nach der Podiumsdiskussion wurden mehrere Arbeitsgruppen, die Diskussionen dauerten weit in die Nacht.  Vielfach wurde kritisiert, daß der Alternativgipfel parallel zu den Blockaden der Zufahrtswege nach Heiligendamm stattfinde. Ein Teilnehmer forderte die Gäste auf, sich an den Protesten zu beteiligen. 

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    Die Spirale der Gewalt

    Elisabeth Wöckel

    Der Urheber des Begriffes von der »Spirale der Gewalt« war Helder Camara, der »rote Erzbischof« von Olinda-Recife, Brasilien.
    Ein Blick auf seine Thesen erleichtert die Wahrnehmung auf die »Kollateralschäden« der Globalisierung.

    1. Stufe der Gewalt

    ... sind Unrechtsstrukturen des Staates, die einen Teil der Menschen in der Gesellschaft daran hindern, in Freiheit und Würde als Mensch zu leben, ohne strukturell bedingten Hunger, Krankheit oder mangelnde Bildung.

    2. Stufe der Gewalt

    ... ist die Auflehnung, der Protest eines Teils der Gesellschaft gegen die auferlegte "strukturelle Gewalt des Staates".

    3. Stufe der Gewalt

    ... ist die »Antwort des Staates« in Form von Repression durch Polizei und Gesetze gegen die Auflehnung von Unten.

    4. Stufe der Gewalt

    ... ist die organisierte »Guerillaorganisation«, heute nennt man sie »Terroristen«, die wiederum mit einer Gewaltstrategie gegen den Obrigkeitsstaat und seine Repressionen kämpfen.

    5. Stufe der Gewalt

    ... ist die totale Überwachung durch den Staat, die Polizei und Spitzeldienste, Einsatz des Militärs und Todesschwadronen gegen die Bürger.

    Fazit: Es liegt an jedem noch klar denkenden Menschen selber den Schluß zu ziehen, daß unsere Politik der »Globalisierung« und den auferlegten »Armutsstrukturen« für die Mehrheit der Menschen weltweit eine »Spirale der Gewalt« in Gang gesetzt hat, die letztlich zum Krieg aller gegen alle führt, global.

    Die friedlichen Gegenaktionen von Unten, in Lateinamerika als »basisdemokratische Bewegung« bekannt, hat Kardinal Ratzinger, heute: Papst Benedikt XVI., 1984 und 1986 kirchlichen Kreisen verboten. Dennoch gelangt die Bewegung in Südamerika allmählich zu neuen Gesellschaftsformen und Sozialordnungen. Von der neoliberalen Gesellschaft des Westens wird das nicht begriffen und nicht gewollt. Folglich wird diese Bewegung diffamiert und verfolgt.

    Argentinien hat hinter sich, was Europa, besonders aber Deutschland mit seinen übereifrigen neoliberalen Politikern, noch bevorsteht. Wenn sich die Gesellschaft nicht selbst befreit von den staatlichen Strukturen des Unrechts, der ersten Stufe der Gewalt, ist das Chaos der Gewalt, der Krieg gegen alle, unvermeidlich.

    Die Autorin war Mitbegründerin der basisdemokratischen Bewegung und Befreiungstheologie in Südamerika. Sie war von 1967 bis 1971 theologische Beraterin von Dom Helder Camara, dem "roten Erzbischof" von Olinda-Recife in Brasilien.
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    »Deeskalation ist ein paradox gebildetes Neuwort«

    Interview: Ralf Wurzbacher
    Polizei hat ihren Auftrag umzusetzen. In Rostock mußte angekündigte Gefahrenlage hergestellt werden. Ein Gespräch mit Georg Sieber



    Georg Sieber ist Polizeipsychologe aus München. Er entwickelte u. a. Einsatztechniken für Sicherheitskräfte bei Großveranstaltungen





    Wurde bei der Großdemonstration gegen den G-8-Gipfel am Samstag in Rostock seitens der Polizei alles falsch gemacht, was sie hätte falsch machen können?


    Es gibt keine »falschen« oder »richtigen« Einsatzmethoden. Die Einsatzleiter haben die Auftragslage umzusetzen. In Rostock ging es dem Bundesminister des Inneren vor allem darum, die »Deutungshoheit« über den G-8-Gipfel gegen ATTAC und andere zu verteidigen. Dazu hatte man die Teilnehmer bereits im Vorfeld unter Generalverdacht gestellt und als zumindest unterwandert von gewaltbereiten Gruppen dargestellt. Und so wurde die Demonstration dann auch begleitet. Die Bilder aus Rostock liefern Anschauungsunterricht, wie so etwas zu machen ist.  

    Also kein Versagen, sondern Kalkül?


    Weder noch. Die multimedial angekündigte angebliche Gefahrenlage war ja vom normalen TV-Zuschauer und Zeitungsleser in den Rostocker Ereignissen klar wiederzuerkennen. Die Rostocker Veranstalter und Teilnehmer stehen heute de facto in der unmittelbaren Nähe von Schlägern und Chaoten. Sie haben an Glaubwürdigkeit ganz erheblich eingebüßt. Damit wurde der Anspruch auf die Deutungshoheit sehr erfolgreich verteidigt. Der dramatische Zaun um Heiligendamm, die Warnungen vor Chaoten, die bundesweiten Razzien Anfang Mai, die Schnüffelproben, die Kontrollen – all das erscheint nun gerechtfertigt. Das war vielleicht nicht das Kalkül, aber ganz sicher auch kein Versagen.  

    Was ist mit der sogenannten Deeskalationsstrategie der Polizei?


    Deeskalation ist ein paradox gebildetes Neuwort. Übersetzt würde es wörtlich heißen: Herunterstufung der Heraufstufung. Die Worterfinder waren wohl keine großen Lateiner. Es gibt aber auch keine nachprüfbare Polizei-»Strategie« dazu. Das Planen eines Polizeieinsatzes beginnt mit der Lage und der Lagebeurteilung. Seit Wochen waren im Falle von Rostock Demonstranten mit erheblichem Gewaltpotential angekündigt. Das erfordert ein sehr großes Polizeiaufgebot und massive Kontrollen. Auffällige Personen sind vorab zu blockieren, und die Bevölkerung ist auf eine enorme Polizeipräsenz einzustimmen. Wenn zwei Verkehrsbeamte mit weißen Mützen einen Bus kontrollieren, würde das doch niemanden nachdenklich machen. Wenn dazu aber gleich ein ganzer Trupp martialisch ausgerüsteter Beamter auftritt, dann signalisiert das jedermann: Gefahr im Verzug.

    Die späteren Krawalle wurden aus Ihrer Sicht also gezielt provoziert?


    Man müßte sagen: vorbereitet. Im Einsatzbefehl hieß das wahrscheinlich: Kräfte zeigen. Die Demonstranten wurden von dem gedrängten Polizeiaufgebot in Kampfmontur nicht nur psychisch eingeengt. Würde man etwa eine Fronleichnamsprozession in der gleichen Weise begleiten, käme es ganz sicher zu den gleichen Widerständen, Spannungen und Reibungen. Überdies finden sich in jeder Großgruppe immer auch einzelne Personen, die diese Situation zu Straftaten nutzen. Diese sogenannten Aktionsstraftäter beschädigen sozusagen im Vorübergehen ein Auto oder ein Verkehrsschild und finden im Erfolgsfall gleich auch unbedachte Nachahmer. Gegen solche Leute richtet ein geschlossener Einsatzverband als Stoßtrupp oder Kette nichts aus. Wird dies trotzdem versucht, kommt es unweigerlich zur Konfrontation – siehe Rostock. Wer dann »unschuldig« da hineingerät, muß nicht mehr zum Mitmachen überredet werden. Das ist es, womit Krawallmacher rechnen – und der Absolvent der Polizeiakademie weiß das auch genau.

    Wie spielte sich nach Ihren Informationen die Attacke auf den Polizeiwagen ab, der die Ausschreitungen ausgelöst haben soll?


    Bis zu diesem Zeitpunkt war die Demonstration überwiegend friedlich verlaufen. Eine Stimmung irgendwo zwischen Karneval und Loveparade. Die Leute schienen den martialischen Auftritt der Einsatzkräfte hinzunehmen. Dann stand da ein Polizeifahrzeug am Kundgebungsplatz. Das empfanden einige Teilnehmer offensichtlich als Herausforderung. Das Fahrzeug wurde attackiert, ein Gruppe von Polizeibeamten versuchte einzugreifen, und danach überstürzten sich die Ereignisse. Im geschlossenen Einsatz bleibt da nur noch, den Schlagstock freizugeben und Riegel zu bilden. Na ja.

    Augenzeugenberichte weisen auf den Einsatz sogenannter Agents provocateurs hin. Erscheint Ihnen das denkbar?


    Die Möglichkeit besteht jedenfalls, zumal dies in der Einsatzausbildung behandelt wird. Aber in dieser Situation bedurfte es keiner besonderen Provokateure.  

    Haben Sie Kenntnisse von derlei Versuchen in Rostock?


    Wir haben keine Erkenntnisse, allenfalls Hinweise. Soweit bekannt, ist kein einziger aus dem sogenannten schwarzen Block festgenommen oder vernommen worden, obschon doch gerade von diesem Block die Gewalt ausgegangen sein soll.

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    Wer ist hier legitim

    Victor Grossman

    Ich bin ein seltsamer Amerikaner: Seit fast fünfzig Jahren kann ich mit Recht sagen „Ich bin ein Berliner".
    Und wohl das Seltsamste: ein Ostberliner. Denn 1952 – mitten im Koreakrieg bin ich als Linker aus der US Army getürmt. Ich war also Deserteur und kam so nach Berlin-Ost. Wurde ich dadurch Anti-Amerikaner? Ich sage klar: Nein!". Ich bin nur ein Anti-Hurra-Amerikaner!

    Schon als Student an der ehrwürdigen Universität Harvard merkte ich, wie gleich nach dem Zweiten Weltkrieg die führenden Männer meiner Heimat, die Hurra-Amerikaner, eine neue Mission entdeckten, ihre Freiheit und Demokratie in der ganzen Welt zu verbreiten.

    Manchmal genügten dafür Drohung und Wirtschaftsdruck, denn die USA waren reich und unzerstört. Also drängelten die Hurra-Amerikaner die tapfersten Antifaschisten, die Widerstandskämpfer, aus den Regierungen von Frankreich und Italien. Sie kuschelten sich an den faschistischen Massenmörder Franco in Spanien heran, in Deutschland ließen sie die alten Nazis wieder zu Reichtum und Macht gelangen; nein, nicht die berüchtigte erste Garnitur, aber doch die zweite, die dritte und die vierte Garnitur.

    Ähnlich war es in Asien. Japan, geschlagen und durch zwei fürchterliche Atombomben erschüttert, bekam auch die zweite Garnitur der alten Macht zurück, bis heute. Dann wollten die Hurra-Amerikaner den alten Reaktionären von Westeuropa helfen, ihre Kolonien zurückgewinnen: Frankreich in Algerien, Vietnam und Kambodscha, die Niederlande in Indonesien, England in Malaysia. In Iran halfen sie dem Schah schon 1946, die Kurden und Aserbaidshaner zu unterdrücken, und 1953 retteten sie ihn vor dem eigenen Volk, das ihn gestürzt hatte. Überall roch man dabei das Erdöl! Oil! Oil! Oil!

    Korea war komplizierter. Doch zwischen 1950 und 1953 zerstörten USA-Flugzeuge fast jedes Gebäude in dem armen Land, und töteten wer weiß wie viele Zivilisten. Sie hielten einen Mann an der Macht, der für die japanische Kolonialmacht gearbeitet hatte, und bekämpften den, der seit Jahrzehnten den Unabhängigkeitskampf geführt hatte. Für diesen Krieg wurde auch ich in das Militär eingezogen. Nur statt in Korea endete ich in Berlin-Ost.

    Ich war außer der Reichweite von Washington, aber nicht aus dem Weltbild. Ich freute mich über meine Landsleute, wenn sie sich gegen Wettrüsten, Aggression und Rassismus agierten. Doch weiterhin hasste ich die mächtigen Hurra-Amerikaner!

    Als das demokratische Guatemala 1954 wagte, die brachen Felder des Bananenriesen United Fruit Company unter armen Bauern zu verteilen – da stürmten die von der CIA bewaffneten Söldner hinein. Der Boden wurde mit dem Blut von Hunderttausenden Mayas und anderen Indigenos getränkt.

    Als das riesige, reiche Kongo1960 einen freien, unabhängigen Staat aufbauen wollte, ließen die CIA-Vasallen den Premier und Dichter Patrice Lumumba foltern und ermorden. Das Foltern begann ja nicht erst mit George Bush! Einen Söldner und Kleptokraten namens Mobuto setzten die Hurra-Amerikaner an die Macht. Sein mörderischer Raubzug dauerte Jahrzehnte, kostete Millionen das Leben – und das Morden dauert heute noch an.

    1961 schickten sie ihre Söldner gegen Kuba - in die Schweinebucht. Die Schweine konnte man schnell stoppen. Doch brauchte es zehn grausame Jahre, ehe Bombern und Invasionstruppen der Hurra-Amerikaner aus Vietnam flüchten mussten, nachdem sie die Wälder zerstört, über zwei Millionen Vietnamesen getötet und Generationen von mißgebildeten Kindern hinterlaßen hatten. Diesmal nahmen – neben Millionen in der ganzen Welt – Hunderttausende meiner Landsleute am Kampf gegen die Hurra-Amerikaner teil.

    Es ging trotzdem weiter: 1973 gegen Chile, 1975 gegen Angola, 1983 überfiel die Marine das kleine Grenada, 1989 war es Panama. Sie unterstützten die Invasion gegen Ost-Timor; 200.000 starben an den Folgen. In Serbien trafen Bomben Chemiefabriken und Fernsehsender, erschütterten Krankenhäuser, zerstörten „zufällig" ein Botschaftsgebäude, trafen eine von Zivilisten benutzte Brücke!

    Auch Haiti, Afghanistan - und Irak! Irak! Keiner weiß, wie viele Hunderttausende dort getötet wurden. Ich denke an einen. Hieß er nicht Ali, der kleine Junge, der Arzt werden wollte, aber in einem Fliegerangriff seine Familie und beide Arme verlor? Er fragte: Was haben wir den Amerikanern getan? Warum nur? Die Antwort. Oil1 Oil! Oil!

    Oh nein, entgegnen sie. Wegen Freiheit und Demokratie sind die Bomben und Raketen leider unvermeidlich! Habt ihr aber nicht gemerkt? Fast immer nennen sie als zusätzliche Tugend die freie Marktwirtschaft! Also den Kapitalismus! Als ob Demokratie und Marktwirtschaft Zwillinge wären, wie siamesische Zwillinge! Aber wie buchstabieren die Hurra-Amerikaner ihre Marktwirtschaft? Mit dem Buchstabe M geht es los – McDonalds, Marlboro, Merck Pharma, das Microsoft-Monopol, die Murdock-Medienherrschaft. Und nach M in Marktwirtschaft kommt A wie Armee. Und die braucht Stützpunkte. USA-Stützpunkte – schon sind sie überall, von den Azoren im Atlantik bis in die Südsee. Nun sollen sie nach Verona, nach Tschechien und Polen kommen. Und vier oder fünffach in Irak. Überall!

    Die Versuche, gegen diese Marktdemokratie eine bessere menschliche Ordnung aufzubauen, sind zwischen Rostock an der Ostsee und Rostow-am-Don aus vielen Gründen gescheitert. Die Hurra-Amerikaner glaubten also, die Welt ganz für sich zu haben.

    Nur, sie haben sich geirrt. Auf tragische Art beweist Irak die Leere ihrer so sicheren Pläne, obwohl sie die Erdölfelder am Tigris und Euphrat und die Stützpunkte ringsherum noch immer nicht aufgeben wollen. Doch sogar in Amerika entsteht neue Hoffnung. .In den Wäldern am Orinoco-Fluß, an den Flanken der Anden wollen die Völker in Venezuela, Bolivien, Ecuador und anderswo nicht mehr untertänig leiden - und sie sind nicht mehr so allein wie einst Guatemala und Kuba. Präsident Correa sagte stolz: Die USA dürfen ihren Stützpunkt in Ecuador gern behalten – wenn wir einen Stützpunkt in Florida bekommen. Könnte ein wirklich freier Irak nicht sagen: Stützpunkte? Bitte sehr. Aber dann auch unsere in Wyoming, Pennsylvania, Alabama!

    Und dort, unter meinen Landsleuten, gibt es wieder Hoffnung. Wie wir demonstrieren viele für die Rechte der Migranten, für einen gerechten Frieden im Nahen Osten, ein Ende des Krieges in Irak, keinen Krieg gegen Iran - oder sonst jemanden auf der Welt.

    Hier an der Ostsee fordert man überall den Ausweis, die Sondergenehmigung, die Legitimation. Ich meine, wer keine echte Legitimation hat, das sind George Bush, Tony Blair, Sarkozy, Merkel. Wegen Putin leidet Tschetschenien. Und die anderen? Wir erkennen keine Hurra-Amerikaner als legitime Gesprächspartner an. Auch nicht ihre Schoßpudel.

    Wer arbeitende Menschen in dieser Welt ausbeutet und unterdrückt, wer sie mit Uranbomben, Clusterbomben, Raketen angreift, hat kein Stimmrecht. Auch nicht, wer solche Mörder duldet! Wir wollen sie nicht! Hier gibt es Probleme genug! Sie sollen gefälligst die Strände, die Felder und die Ortschaften von Mecklenburg in Ruhe lassen, sie sollen sie verlassen!

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    Spaß und Kampfgeist

    Sebastian Wessels
    Bild 1


    Am Sonntagabend eröffneten Gäste und Mitglieder der Bundestags-Linksfraktion die Veranstaltungsreihe »Menschen vor Profite« in Bad Doberan. Noch bis Dienstag öffentliche Anhörungen

    »Die größte Gewalt geht von der G 8 selbst aus« - damit spricht Christine Buchholz vom WASG-Bundesvorstand einigen Hundert Besuchern im Bad Doberaner Zelt der Linksfraktion so aus dem Herzen, daß langanhaltender Applaus ausbricht. Die Protestler sind es leid, sich wegen der Gewalttätigkeiten einiger Autonomer immer wieder zur »Gewaltfrage« äußern zu müssen, während diese Frage den G-8-Kriegsherren und -damen kaum gestellt wird, die Gewalttätigkeiten einer völlig anderen Dimension zu verantworten haben. Die Ausschreitungen »ändern nichts an der Richtigkeit der Botschaft« der Protestbewegung, betont Buchholz als Moderatorin der Veranstaltung; »die G 8 ist illegitim, die Proteste sind weiterhin notwendig«.

    Unter dem Motto »Menschen vor Profite« lädt die Linksfraktion im Bundestag von Sonntag bis Dienstag zu öffentlichen Anhörungen in Bad Doberan, der Muttergemeinde von Heiligendamm. In einem kleinen Park des malerischen Städtchens wurde dazu ein Großzelt errichtet, das zur Auftaktveranstaltung am Sonntag abend zum bersten gefüllt war. Dies lag sicherlich auch an der illustren Rednerliste: Walden Bello war zugegen, jener Autor, Professor und Globalisierungsgegner von den Philippinen, der bereits auf der Kundgebung am Samstag abend eine so kämpferische Rede gehalten hatte, daß ihm eine Presseagentur sogleich einen Aufruf zum Krieg angedichtet hatte. Bello ließ sich davon jedoch nicht schrecken und lobte erneut den »Geist von Genua«, der Heiligendamm umwehe. Der Theologe Eugen Drewermann löste mit einer eindringlichen Antikriegsrede Begeisterung aus; Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Linksfraktion, sprach als letzter und plädierte dafür, »nicht von Globalisierung, sondern von Kapitalismus« zu sprechen. Nachdem er schon mit Jubel empfangen worden war, hielt der Applaus im Anschluß an seinen Redebeitrag mehrere Minuten an und mündete in rhythmische Sprechchöre: »A-anti-anticapitalista, a-anti-anticapitalista«, die er lächelnd entgegennahm.

    Auf dem Rasen vor dem Zelt sind Infostände, Tische, Sonnenschirme und eine Grillbude aufgebaut, um die sich Besucher gruppieren, essen, trinken und sich unterhalten. Das Wetter ist in den frühen Abendstunden freundlich, und auch die gut zehn Polizisten, die sich ums Zelt herum postiert haben, trüben die Stimmung kaum, zumal man in dieser Gegend derzeit an ganz andere Aufgebote gewöhnt ist. Im anschließenden Kulturprogramm wagt man sogar ein wenig Klamauk: Ein aufgekratzter Diether Dehm, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, gibt unter Gelächter der noch im Zelt Verbliebenen singend eine Heinz-Schenk-Imitation zum Besten. In der Pause hatte er bereits Brecht-Lieder dargeboten: „Vorwärts, und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht – die So-li-da-ri-tät!"

    Das Zusammentreffen von Spaß und Kampfgeist zeichnete von Beginn an weite Teile der G-8-Protestbewegung aus - »Wir haben Spaß, ihr Bereitschaft«, heißt es ganz in diesem Sinne auf einem Transparent an der Zufahrt zum Camp Reddelich, wo die Polizei ständig Wache hält. Am Sonntag abend kam diese Haltung wohl am besten in dem Lob zum Ausdruck, das Lafontaine der G-8-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel aussprach, gefolgt von Gelächter und stürmischem Applaus. Die Bundesregierung, erklärte er, definiere Terrorismus als »rechtswidrige Anwendung von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele«. Mit Blick auf den Sperrzaun um Heiligendamm fuhr er fort: »Merkel hat die Topterroristen der Welt hinter Gitter gebracht«.

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    Wem nützt es?

    Ulla Jelpke

    War es die angestaute Wut über die vorangegangenen Razzien und die Polizeischikanen während der Hamburger Demo gegen den EU-Asien-Gipfel am Wochenende zuvor? War es eine Reaktion auf das provokante Auftreten vermummter Polizei-Spezialeinheiten?
    Wurden die Straßenkämpfe von erlebnisorientierten Autonomen oder Steine schmeißenden Agents Provocateurs ausgelöst? Abschließend wird sich diese Frage nicht klären lassen. Doch wichtig ist nicht, wer den ersten Stein warf. Entscheidend ist, wem die Szenen von einem brennenden Auto, von vermummten Straßenkämpfern und hunderten Verletzten auf beiden Seiten am Ende nützen.

    Den kommerziellen Medien spielten die heißersehnten Bilder von den Straßenschlachten ebenso in die Hände wie den staatlichen Repressionsorganen.
    Wolfgang Schäuble und die Innenminister der Länder können nun damit rechnen, daß ihre Forderungen nach noch härterem Durchgreifen der Polizei und nach noch mehr Demo-Verboten auf höhere Akzeptanz stoßen.

    Was die vorangegangene Kriminalisierung der G-8-Proteste durch Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt, die § 129 a-Razzien und die Medienhetze nicht geschafft haben, ist nun eingetreten: die breite Protestbewegung gegen den G-8-Gipfel wurde an der Militanzfrage gespalten. Attac und andere Veranstalter der Großdemonstration haben sich von den Autonomen distanziert und diese für unerwünscht erklärt.

    Für die weiteren Proteste werden die Gewaltszenen demobilisierend wirken. Viele Demonstrationsteilnehmer sind verunsichert. Schon wird diskutiert, ob die geplanten Blockaden und Demonstrationen stattfinden sollen.

    Während das solidarische Zusammenstehen einer Demonstration gegen Polizeiübergriffe auch pazifistisch orientierten Demonstranten einsichtig ist, lassen sich Steinwürfe, Molotowcocktails und brennende Autos nur schwer vermitteln. Vor diesen Bildern gingen zudem die Inhalte der Demonstration – egal ob reformistisch oder revolutionär – völlig unter. Die meisten Medien konzentrierten sich auf die Zusammenstöße zwischen der Polizei und einer Minderheit der Demonstranten.

    Diejenigen, die mit militanten Aktionen in den kommenden Tagen gegen den Sperrzaun anrennen wollten, haben nun ihr Pulver schon im Vorfeld verschossen. Daß sich die Gewalt des »schwarzen Blocks« bereits Tage vor Beginn des G-8-Gipfels fernab von Heiligendamm entlud, lag allein im Interesse der Polizei. Die Autonomen müssen sich fragen lassen, wie weit sie einer gezielten Provokationsstrategie der Polizei auf den Leim gingen.

    Wir sollten aus den Vorfällen lernen, das Potential zivilen Ungehorsams richtig einzusetzen und sinnlose Gewaltausbrüche zu unterbinden. Pazifistisch orientierte Gruppierungen dürfen anderen Strömungen der Linken ihre Taktik nicht aufzwingen – ebemo wenig aber sollte eine Minderheit selbsternannter Straßenkämpfer eine Großdemonstration von 80 000 Menschen nicht in Geiselhaft für ihre Aktionen nehmen. Die Autonomen sind aufgefordert, sich der Kritik und Debatte innerhalb der Linken stellen.

    Festgestellt werden muß aber auch: Die größte Gewalt geht von Regierungen jener Staaten aus, die sich in Heiligendamm versammeln. Im Irak, in Afghanistan und vielen anderen Orten fallen der imperialistischen Kriegspolitik Tausende zum Opfer – mit deutscher Beteiligung oder  Unterstützung.

    Gegen diese globale Gewaltmaschine müssen die Proteste weitergeführt werden – in Rostock-Lage und Heiligendamm, aber auch weltweit durch den Aufbau der Antikriegsbewegung und dem Kampf für eine antikapitalistische Alternative.

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    »Ein wichtiger Meilenstein«

    Interview: Claudia Wangerin

    Heinz Stehr ist Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)

    Welche Eindrücke haben Sie vom Auftakt der G8-Proteste in Rostock mitgenommen?

    Die Beteiligung war höher als es meinen Erwartungen entsprach. Die Demonstration hat die unterschiedlichen Spektren der Linken in einer Art widergespiegelt, wie es in letzter Zeit selten bei Demonstrationen der Fall war. Auch die inhaltlichen Aussagen zur Politik der G8 und ihren Folgen waren gut. Was aus meiner Sicht zu kurz kam, waren die Alternativen und Perspektiven der Auseinandersetzung. Natürlich wird jetzt versucht werden, die Aktion mit den Ereignissen am späten Abend zu diskreditieren, die eigentlich außerhalb der Gesamtveranstaltung stattfanden. Dann wird in der Öffentlichkeit kein politisches Bild von dem wiedergegeben, was dort tatsächlich los war: Es war ein weiterer gelungener Auftakt zur Formierung der alternativen Kräfte gegen die neoliberale Politik in der Bundesrepublik. Wesentlich ist, daß in Rostock trotz massiver Antipropaganda durch Politik und Polizei so viele Menschen zusammengekommen sind - vor allem auch junge Leute, und sich nicht von ihrem Protest abbringen ließen. Es wären sonst natürlich noch einige zehntausend mehr gewesen, weil hier in Rostock ein Klima der Hysterie gegen diese Aktivitäten erzeugt wurde, so daß sich viele Leute von ihrem Vorhaben, verabschiedet haben, an den Protestveranstaltungen teilzunehmen.

    Was haben Sie von den polizeilichen Maßnahmen mitbekommen?

    Als wir zur Abschlußkundgebung am Rostocker Stadthafen kamen, begannen die Maßnahmen bereits am Rande. Die Polizei hat alles versucht, um in den Zug einzudringen und dadurch auch provoziert. Während der Kundgebung störte sie permanent mit Hubschrauberlärm den Ablauf. Mein Eindruck ist, daß die Polizei diese Bilder haben will, um sie auch der Politik entsprechend präsentieren zu können. Man will die Aussage in die Medien bringen, daß es sich nur um Randalierer handelt und nicht um einen wirkungsvollen politischen Protest.

    Der Politologe Peter Grottian hat neulich in Berlin gesagt, der G8-Protest dürfe nicht zum »Zaunprotest« verkommen und müsse viel mehr die Verankerung in Betrieben und Hochschulen suchen. Teilen Sie die solidarische Kritik, der Protest sei zu abstrakt geblieben?

    Die Leute, die sich aktiv daran beteiligt haben, hatten aus meiner Sicht alle überzeugende Argumente, warum sie das tun. Sie waren auch mit vollem Einsatz dabei - und mit Gedanken über politische Alternativen. Insofern kann ich die Kritik nicht teilen. Ich habe eine ganze Reihe Leute getroffen, die mir aus gewerkschaftlichen, friedenspolitischen und anderen Kämpfen bekannt waren. Die wissen auch, daß dieses Highlight nicht der Endpunkt ist, sondern ein Teil des notwendigen Protestes gegen die neoliberale Weltordnung und die Politik in unserem Land. Es könnte der Beginn eines Organisationsprozesses sein, der sich zum Beispiel in der weiteren Formierung von Sozialforen vor Ort umsetzen wird. Für die Formierung der Gegenkräfte ist der G8-Protest aus meiner Sicht ein wichtiger Meilenstein.

    Wegen der Symbolik, Zehntausende an einem Ort zu versammeln, oder mehr wegen der Diskussions- und Kennenlernprozesse im Vorfeld und in der Nachbereitung?

    Einmal wegen der Aussagefähigkeit einer Großdemonstration; zum zweiten wegen der Fähigkeit, aus unterschiedlichen Spektren kommend miteinander zu diskutieren und zum dritten natürlich wegen der Fragestellungen. Es geht um Alternativen und um Perspektiven, die natürlich umstritten sind - aber es ist interessant, darüber zu diskutieren und dieser Prozeß hat ja erst begonnen.

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    Mit Helm und Stock: Schlagzeilenlieferanten

    Peter Steiniger

    Am Tag danach eint Erschütterung über die gewalttätigen Zwischenfälle während der Rostocker Anti-G-8-Demonstration Behörden und Veranstalter. Das sollte sie nicht.

    Wer sich die G8 als Symbolfiguren globaler kapitalistischer Ungerechtigkeit einlädt, lädt sich auch den Protest ein. Mit Razzien, Provokationen und Schikanen wurde über Monate von staatlicher Seite die Stimmung systematisch aufgeheizt. Der Hamburger Wanderkessel gab vor einer Woche einen Vorgeschmack davon, wie eng sich das Demonstrationsrecht auslegen läßt.

    Daß nicht die Bilder und Losungen der Zehntausenden friedlich und phantasievoll demonstrierenden Menschen aus vielen Ländern die Schlagzeilen beherrschen, sondern unschöne (Rand-)Szenen des Krawalls, ist kein Zufall, sondern Kalkül. Eine demokratiefreie Zone von Demonstrationsverboten und die gewaltige Drohkulisse Tausender Uniformierter soll »Normalbürger« davon abschrecken, ihre Meinung auf die Straße zu tragen, und wirkt als  »Einladungskarte« an diejenigen, die Räuber und Gendarm spielen möchten. Vom Hooliganismus und einer Militanz am falschen Ort distanzieren sich die Demo-Veranstalter zu Recht. Doch wer nun betroffen den Kopf senkt und die Kooperation mit der Polizei lobt, trägt dazu bei, Ursache und Wirkung zu vertauschen. Auch in Rostock gab es eine parallele polizeiliche Großdemo unter dem Motto: Nur diese Welt ist möglich.

    Der eigentliche Skandal sind nicht die Entgleisungen einiger in Rostock, sondern ist ein alltäglicher, der dem vielgelobten Rechtsstaat spottet. Während millionenfach das Recht auf Arbeit, kulturelle Teilhabe und soziale Sicherheit verweigert wird, zieht die Repressionsschraube an. Wer in diesem Land gegen So­zialabbau und Krieg, gegen alte und neue Nazis, für eine andere Welt auf die Straße geht, muß sich stets auf die präventive kollektive Ingewahrsamnahme im Spalier einer hochgerüsteten Polizei gefaßt machen.

    Oft genug werden nicht nur Bürgerrechte mit Polizeistiefeln getreten. Amnesty International verzeichnet immer wieder Beschwerden über Mißhandlungen und unverhältnismäßige Gewalt bei der Festnahme oder in Polizeihaft. Wer schon mal solchen Einsätzen – z. B. der berüchtigten Berliner Einsatzpolizei, die auch in Rostock mit von der Partie war – beiwohnen durfte, weiß, daß für einige der Robocops jeder Psychiater zu spät kommt.

    Auch in Rostock war es mit der versprochenen Zurückhaltung der Polizeikräfte bald vorbei. Ihre massive Präsenz und ein aufdringliches Einsatzkonzept führten die Eskalation wesentlich mit herbei. Gelegenheit macht Randale: Man vergaß, dem »schwarzen Block« von Militanzfetischisten ein Auto aus dem Weg zu räumen, das dann in Flammen aufging. Sowas kommt vor. Mit Knüppel, Gas und Wasser wurde nicht gespart. Schlagkräftig zeigte sich auch die inoffizielle Pressestelle der bewaffneten Organe, Spiegel online, welche die Gewalt ins Zentrum rückte. Auch verbale Randale sind nämlich wichtig im Kampf – um die Köpfe.

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    »Jeder fühlte sich bedroht«

    Interview: Claudia Wangerin
    Bilanz der Auseinandersetzungen auf der Anti-G-8-Demonstration in Rostock. Ein Gespräch mit Elke Steven

    Sie waren als Beobachterin des Komitees für Grundrechte auf der Anti-G-8-Demonstration am vergangenen Samstag in Rostock. Wie ist Ihre Bilanz?

    Es ist schwer, eine Gesamtbilanz zu ziehen. Auf der einen Seite war es wirklich ein bunter und breiter Protest mit erstaunlich vielen Teilnehmern. Auch war es erfreulich, daß unsere Befürchtungen, die Polizei würde die Anreise behindern und Eingangskontrollen vornehmen, sich nicht bewahrheitet haben.

    Camp-Teilnehmer berichten allerdings, daß es schon bei der Anreise massive Kontrollen und Beschimpfungen seitens der Polizei gab.

    Im Rostocker Camp gab es das nicht, als wir angereist sind – und auch nicht, als wir in großen Gruppen von dort losgegangen sind. Bei den wenigen Kontrollen, die wir vor der Demonstration erlebt haben, waren die Polizisten sehr freundlich. Daß auch ganz andere Geschichten passiert sind, ist klar. Man muß eindeutig zwischen dem trennen, was vor und was nach der Demonstration passiert ist. Auf dem Weg zum Camp Reddelich hatte nach der Demonstration eine Fahrradgruppe Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auf der Hinfahrt hatte die Polizeibegleitung einer Fahrradgruppe ja noch eher zu deren Schutz gedient. Um ein klares Bild zu erhalten, wann die Situation umgeschlagen ist, haben wir Berichte von 20 bis 25 Demo-Beobachtern zusammengetragen.

    Wie haben Sie die Ereignisse während der Demonstration wahrgenommen?

    Ich war an verschiedenen Stellen und relativ lange beim sogenannten schwarzen Block, der vom Hauptbahnhof zum Ort der Abschlußkundgebung zog und auf diesem Weg um einige Teilnehmer anwuchs. Da hielt sich die Polizei im Hintergrund und ging allenfalls in kleinen Gruppen seitlich der Demonstration, was nicht selbstverständlich ist. Oft verhält sie sich bei solchen Demonstrationen von Anfang an völlig anders. Dann ging alles sehr schnell. Nachdem der »schwarze Block« erst mal nicht weiter kam, entstand eine völlig andere Situation, die man differenziert beschreiben muß. Eine kleine Gruppe von rund 20 Polizisten der »Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten«, die zuvor etwas abseits gestanden hatte, stürzte sich plötzlich auf eine Wiese, um zwei bis drei Leute herauszugreifen, die als mutmaßliche Straftäter identifiziert worden waren.

    Welche Folgen hatte das?

    Die Situation eskalierte sofort. Die Polizisten wurden angebrüllt. Als nächstes flogen Flaschen und sehr schnell auch Steine. Deshalb mußte sich die Polizei erst einmal zurückziehen. Sobald ihre Einheiten in den Demonstrationszug reingingen, wurden sie mit Flaschen, Steinen und auch mindestens einem brennenden Molotow-Cocktail attackiert – ich habe es selbst gesehen. Eine andere Beobachterin hatte dann etwas Brennendes vor den Füßen. Geworfen wurde es in Richtung der Polizeikräfte, aber dazwischen standen Demonstrierende, die dadurch gefährdet wurden. Auch Steine wurden immer wieder geworfen – auch als die Polizei sich zunächst zurückzog. Sie versuchte dann, an anderer Stelle wieder einzudringen.

    Wie haben Sie persönlich diese Situation erlebt?

    Die Wurfgeschosse gefährdeten alle Umstehenden. Es wurde ja nicht nur treffsicher auf die Polizei geworfen. Dafür war die Situation auch zu unübersichtlich. Andererseits muß gesagt werden: Diese Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten haben teilweise so agiert, daß sich die Demonstranten bedroht fühlen mußten. Zumal von der Polizei überhaupt nicht kommuniziert wurde, was sie eigentlich wollte. Sie hatte das Ziel, einzelne Leute festzunehmen, und setzte es rücksichtslos durch. Damit traf sie am Ende die ganze Demonstration und wurde von den Teilnehmern nur noch als brutal wahrgenommen, weil sie einfach nur wild um sich schlug. Die Polizei drang ja auch an Stellen in die Demo ein, an denen sich die Leute völlig friedlich verhalten hatten, nachdem sie an anderer Stelle nicht durchgekommen war. Viele bekamen nur mit, daß plötzlich eine Einheit reinstürzte und zwei Leute relativ gewalttätig festnahm. Jeder fühlte sich bedroht, und keiner verstand, was los war.

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    Ruhepause in Reddelich

    Sebastian Wessels, Reddelich
    Info-Point im Camp Reddelich, wo einige Tausend Demonstranten un
    Info-Point im Camp Reddelich

    Am Sonntag war die Stimmung im Protestcamp trotz der Gewaltausbrüche der vorangegangenen Nacht entspannt. Bei Sonnenschein und strahlend blauem Himmel erwacht am Morgen das Leben in Camp Reddelich.
    Ein friedliches, beinahe idyllisches Bild – etwa um halb neun beginnen Freiwillige in den „Volxküchen"  Frühstück auszuteilen;  die ersten Camper, gerade aus ihren Zelten gekrabbelt, finden sich ein und warten auf Kaffee. Andere gehen zuerst duschen, natürlich kalt und im Freien, wechseln ein paar Worte und ermuntern einander, beißen die Zähne zusammen und fühlen sich danach so erfrischt wie selten. Die Hoororbilder des gestrigen Abends in Rostock, die Wasserwerfer, die Kämpfe, das Tränengas, scheinen in weiter Ferne.
    Mit ein paar hundert Zelten haben bei Reddelich etwa 4500 Camper eine kleine Stadt errichtet, samt öffentlicher Gebäude: Ein Empfangszelt an der Einfahrt informiert Neuankömmlinge,  ein Circuszelt bietet Raum für größere Versammlungen, im Indymedia-Zelt stehen Computer mit Internetzugang, am Zelt des Ermittlungsausschusses werden Hinweise entgegengenommen und Broschüren zum Umgang mit staatlicher Repression verteilt. In der „Chill-Out-Zone" lädt eine Art kleiner Biergarten mit Bänken und Tischen zur Geselligkeit ein. Große Pinwände am Infopunkt informieren über anstehende Termine. Hier gibt es sogar einen „Newsticker", bestehend aus einem großen Brett und angehefteten handgeschriebenen Zetteln, der eine Chronik der gestrigen Ereignisse bildet – natürlich, wie alle Hinweisschilder hier, auf Deutsch und Englisch.
    Als die Camper wenig später entspannt beim Frühstück zusammensitzen, sind natürlich die Gewalttätigkeiten während der gestrigen Rostocker Demo das Hauptthema. Überrascht ist kaum jemand, aber viele schütteln die Köpfe und erzählen einander, was sie gehört oder gesehen haben. Eine Polizeikolonne soll einige Aktivisten, die nachts mit dem Fahrrad nach Reddelich zurückkehrten, mit Tränengas angegriffen haben, erzählt einer. Polizisten hätten am Stadthafen, wo die Gewalt anfing, einen als Autonomen verkleideten Kollegen zum Schein angegriffen, um die Demonstranten zu provozieren, eine andere. Ohne Beweise oder Augenzeugen hört man diese Dinge mit Skepsis, hält sie aber ohne weiteres für möglich. Und auch,  daß niemand weiß, was sich genau zugetragen hat, trägt zur Unsicherheit bei – ebenso wie der Hubschrauber, der gelegentlich über dem Gelände kreist, und die Polizeieinheiten, die ständig auf der Bundesstraße 105 an der Abfahrt zum Camp Wache halten.
    Hinter der entspannten, teils sogar fröhlichen Stimmung am Sonntag ist allen bewußt, daß noch nichts überstanden ist. Wenn am 6. und 7. Juni die Blockaden der Zufahrten nach Heiligendamm anstehen, wird voraussichtlich das Rostocker Camp an Bedeutung verlieren und stattdessen Reddelich zur Hauptbasis der Aktivisten werden – und damit auch vornehmliches Ziel von Polizeiaktionen. Mittags bezieht sich der Himmel und es wird wieder kühl. Per Megaphon ruft jemand zum Blockadetraining. Schließlich haben die proteste ja gerade erst begonnen.

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    »Die Polizei agierte auffällig stümperhaft.« Ein Gespräch mit Monty Schädel

    Interview: Claudia Wangerin
    Die Einsatzleitung hielt sich bei der Demo in Rostock nicht an die Absprachen. Sie ließ Eskalation der Lage zu.

    Monty Schädel ist Bundesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegenerInnen (DFG-VK) und Koordinator des Rostocker Bündnisses für die Proteste gegen den G-8-Gipfel


    Wie haben Sie als Mitinitiator die Rostocker Anti-G-8-Demonstration am Samstag erlebt?


    Ich war im Stadthafen, als viele zehntausend Menschen hier ankamen - in einem großen, breiten Zug, der viel Lebensfreude ausstrahlte. Leider kam es dann zu einem Zwischenfall, bei dem ein Polizeiwagen umgestoßen wurde. Wir haben dann erleben müssen, daß die Polizei nicht auf Deeskalation setzte, wie sie es im Vorfeld erzählt hat, sondern auf Eskalation. Es war auch weit und breit kein »Anti-Konflikt-Team« zu sehen, so daß wirklich nicht von Deeskalation seitens der Polizei gesprochen werden kann. Statt dessen hat sie Wasserwerfer eingesetzt.

    Nach unserem Informationsstand wurden Sie auch persönlich in Mitleidenschaft gezogen.


    Ja – bei einem der Versuche, die Situation ein wenig zu entspannen, geriet ich zwischen die Einsatzkräfte der Polizei und die Demonstranten. Gemeinsam mit einigen anderen habe ich versucht, mehr Sicherheitsabstand zu schaffen. Als die Polizei dann angegriffen hat, wurde mir so etwas wie Pfefferspray in die Augen gesprüht. Genauer gesagt: Ich weiß nicht, ob es Pfefferspray oder CS-Gas war, weil ich damit glücklicherweise bisher keine Erfahrungen machen mußte. Jedenfalls war es sehr unangenehm.

    Wie war die Lage auf der Abschlußkundgebung nach den Polizeiübergriffen?


    Die Lage hat sich schließlich etwas entspannt. Viele Menschen mußten vor Abschluß der Veranstaltung weg, weil sie einen langen Heimweg haben und ihre Busse erreichen wollten. Dennoch waren  am Abend noch immerhin 20000 auf dem Platz – die rund 3000 Polizisten rings herum nicht mitgezählt.
    Auf der angrenzenden Straße waren aber immer noch etliche Wasserwerfer und Räumpanzer postiert.

    Auf dem Gelände soll ein Auto in Brand gesetzt worden sein, woraufhin erst die Wasserwerfer auftauchten. Wie haben Sie diese Situation wahrgenommen?


    Ein Auto war nicht aus dem Demobereich entfernt worden. Ich war nicht dabei und kann daher nicht sagen, durch wen oder was es in Brand geriet. Der Wasserwerfer zielte auf die Demonstranten, während das Auto weiter brannte. Allerdings ist Wasser mit beigemischtem Tränengas wohl auch nicht ganz das Richtige als Löschmittel für Automobile.

    Welches Ziel verfolgte die Polizei Ihrer Meinung nach mit ihrer Taktik?


    Die Konfrontation, zu der es kam, wurde dadurch verursacht, daß die Polizei auffällig stümperhaft agierte. Sie ist mit kleinen Gruppen mitten in die Demonstration eingedrungen und hat dort für Unruhe gesorgt, so daß sich die Eskalationsspirale immer weiter drehte. Leider haben sich hier wieder einmal alle Vorurteile über Beratungen mit der Polizei bestätigt: Man kann sich auf die Absprachen mit ihr nicht verlassen.

    Über die Teilnehmerzahl der beiden Demonstrationen gab es sehr weit auseinander gehende Angaben. Die Polizei sprach anfänglich von insgesamt nur 25000 Teilnehmenden, was viele Medien zunächst so übernahmen. Später mußten sie das deutlich nach  oben korrigieren. Von wie vielen Demonstranten gehen Sie aus?


    Wir können das anhand unserer Planungen ganz gut schätzen: Wie groß ist der Platz, wie viele Leute passen darauf und in die angrenzenden Straßen am Stadthafen. Und es war klar: Auf das Hafengelände passen 60000 Menschen. Und auch in dessen Umfeld, auf der anderen Seite des Stadthafens, wo die Info-Stände standen, waren sehr viele Menschen. Außerdem haben wir gezählt: Der eine Demonstrationszug hatte etwa 37000 Teilnehmer und der andere etwa 33000. Deshalb kann man davon ausgehen, daß 70000 bis 80000 eine überaus realistische Zahl  ist. Wo die Polizei rechnen gelernt hat, weiß ich nicht.

    Interview: Claudia Wangerin
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    Rote Hilfe: Gipfel staatlicher Repression

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    In einer Erklärung des Bundesvorstandes von Rote Hilfe e.V. werden das Verbot der antifaschistischen Demonstration am Sonnabend in Schwerin und die erneute Ausweitung der demokratiefreien Zone um Heiligendamm kritisiert.
    Der deutsche Staat habe »in  bisher ungekanntem Ausmaß demonstriert, dass er bürgerliche Grundrechte als Luxusartikel für ruhige Zeiten betrachtet«.

    Die Polizei habe das Verbot demokratischen Widerstands rigoros durchgesetzt und mehr als 150 Antifaschisten in Gewahrsam genommen,während die Neonazis ungehindert von der Polizei an anderen Orten demonstrieren konnten. »In Rostock haben zur gleichen Zeit Zehntausende von G8-GegnerInnen gezeigt, dass sie sich von allen staatlichen Repressionsmaßnahmen und Eskalationsstrategien nicht beeindrucken lassen und ihren Protest gegen das Gipfeltreffen ungeachtet
    dessen auch in der kommenden Woche auf die Straße tragen werden. Dabei versuchte die Polizei auch gegen diese Veranstaltung mit massiven Angriffen und dem Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas vorzugehen.«

    Die massiven und vielfältigen Repressionen bereits im Vorfeld der G8-Proteste hätten einzig und allein der Einschüchterung und Kriminalisierung linker Politik gedient. »Jegliche kritische Öffentlichkeit soll von den Augen und Ohren der Regierungschefs der mächtigsten Industrienationen ferngehalten werden.«

    »Die Rote Hilfe e.V. als strömungsübergreifende linke Solidaritätsorganisation wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um die von staatlicher Repression betroffenen G8-GegnerInnen zu unterstützen und gegen die Kriminalisierung legitimen Widerstands vorzugehen.«

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