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Aus: Ausgabe vom 17.07.2024, Seite 2 / Inland
Besuch unerwünscht

»Das war keine Entscheidung der Beamten vor Ort«

Einem Bundestagsabgeordneten der Linkspartei wurde die Einreise in die Ukraine verwehrt. Ein Gespräch mit Sören Pellmann
Interview: Nico Popp
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Die ungehinderte Durchfahrt ist garantiert: Außenministerin Annalena Baerbock im polnischen Grenzbahnhof Medyka auf dem Weg zu einem Zug Richtung Kiew (20.5.2024)

Der Versuch, in Ihrer Eigenschaft als Bundestagsabgeordneter in die Ukraine zu reisen, endete am vergangenen Dienstag nach wenigen Stunden mit der Abschiebung nach Polen. Wie kam es dazu?

Wir hatten diese Reise nach Kiew seit Anfang des Jahres vorbereitet. Informiert waren auch das Auswärtige Amt, die Botschaften und das BKA. Wir hatten in Abstimmung mit dem Referat für Internationales der Stadtverwaltung Leipzig ein kleines Programm vorbereitet, da Leipzig ja Partnerstadt von Kiew ist. In der ukrainischen Hauptstadt wollte ich nach dem Stand von Projekten schauen, die mit Spenden aus Leipzig gefördert worden sind, und mit der Zivilbevölkerung in Kontakt kommen. Dienstag früh sind wir im Zug über die polnisch-ukrainische Grenze gefahren. Dort stiegen Angehörige der ukrainischen Grenzpolizei zu, die während der Fahrt die Passkontrolle durchführten. Als Bundestagsabgeordneter habe ich Diplomatenstatus und einen Diplomatenpass.

Bei den Mitreisenden gab es keine Probleme. Bei mir kam sofort die Frage, ob das meine erste Reise in die Ukraine ist. Das habe ich bejaht. Danach hieß es, man müsse einen Sachverhalt klären. Kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof von Lwiw hielt der Zug eine halbe Stunde. Dann kam eine Beamtin mit sechs Kollegen und forderte mich auf, am Bahnhof auszusteigen. Meine Mitarbeiter und ich haben vom Bahnhof aus bei der deutschen Botschaft und dem Auswärtigen Amt angerufen. Die Botschaft hat herumtelefoniert, aber nicht herausbekommen, was konkret das Problem ist. Nach anderthalb Stunden wurde mir von ukrainischer Seite mitgeteilt, dass es in meinem Fall ein Einreiseverbot gibt und ich nun nach Polen zurückgebracht werde.

Das wurde nicht begründet?

Nein, auch nicht auf Nachfrage. Die Verständigung war nicht ganz einfach. Aber immerhin wurde mir erläutert, dass das keine Entscheidung der Beamten vor Ort sei, sondern auf den Hinweis einer anderen Dienststelle zurückgehe. Im Nachgang haben wir die Information erhalten, dass es sich bei dieser Dienststelle um den ukrainischen Geheimdienst gehandelt haben soll.

Waren Sie allein oder mit anderen Abgeordneten unterwegs?

Ich war der einzige Abgeordnete. Mitreisende waren Mitarbeiter der Bundestagsgruppe, die auch weiterfahren durften.

Wie sind Sie wieder zur Grenze zurückgekommen?

In einem Kleinbus, begleitet von fünf Grenzschützern.

Nach Ihrer Rückkehr haben Sie die Vermutung geäußert, dass es eine Liste mit »Personen des öffentlichen Lebens« gibt, »die sich kritisch positioniert haben«. Welche Anhaltspunkte haben Sie dafür?

Es gibt im Internet eine Art Feindesliste, die aber, so wurde mir das jedenfalls von kundiger Seite erläutert, nicht von staatlichen Stellen, sondern von einem rechten Netzwerk geführt wird. Da bin ich mittlerweile auch gelistet, als »terrorverdächtig« gegen den Staat Ukraine. Daneben gibt es laut Auskunft des Auswärtigen Amtes einen Eintrag über mich in einer Datenbank, die offenbar beim ukrainischen Geheimdienst liegt. Was da konkret steht, weiß ich nicht. Das Auswärtige Amt will versuchen, das herauszufinden.

Auf einer ukrainischen Internetseite ist gemutmaßt worden, das Einreiseverbot könne gerechtfertigt sein, weil ich ja das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine in Frage gestellt hätte und gegen Waffenlieferungen sei. Das erste habe ich nie getan. Und ja, gegen Waffenlieferungen bin ich weiterhin und bin der Überzeugung, dass wir endlich aus dieser permanenten Eskalationsspirale ausbrechen müssen. Wenn dieses Einstehen für das Primat der Diplomatie ein Einreiseverbot in die Ukraine zur Folge hat, muss ich das erst einmal zur Kenntnis nehmen.

Sie haben unmittelbar nach Ihrer Ausweisung die »vollkommene Aufklärung« des Vorgangs gefordert. Hat sich die ukrainische Botschaft bei Ihnen gemeldet?

Nein. Nur die deutsche Botschaft in Kiew hatte noch ein paar Fragen. Ich hatte den Eindruck, dass die Mitarbeiter dort auch etwas überrascht waren von der Vorgehensweise der ukrainischen Seite. Unsererseits bereiten wir ein Gesprächsangebot an den ukrainischen Botschafter vor. Selbstverständlich auch mit dem Ziel, dieses meiner Ansicht nach unbegründete Einreiseverbot wieder aufzuheben.

Sören Pellmann ist Kovorsitzender der Gruppe Die Linke im Bundestag

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Francisco H. aus Gießen (18. Juli 2024 um 13:28 Uhr)
    Soviel zu dem Märchen, in der Ukraine würden »Freiheit« oder »Demokratie« verteidigt. Offenbar hapert es auch mit der Rechtsstaatlichkeit …

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