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Aus: Ausgabe vom 03.09.2024, Seite 8 / Inland
Erdoğans langer Arm

»Sie wehrten sich nur gegen die Übergriffe«

Krefeld: Nachdem Kurden von Faschisten attackiert wurden, sitzen die Opfer nun auf der Anklagebank. Gespräch mit Stephan Hagemes
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Angegriffen und plötzlich angeklagt: So ergeht es mehreren Kurden, die in Krefeld vor Gericht stehen (9.5.2016)

Sie werfen der Staatsanwaltschaft Krefeld vor, Opfer faschistischer Gewalt zu verfolgen. Wie kommen Sie zu dieser Annahme?

Am 21. April 2022 wurde eine angemeldete Friedenskundgebung von Anhängern ultranationalistischer und faschistischer türkischer Organisationen überfallen. Die Teilnehmer der Kundgebung protestierten gegen die Angriffskriege der türkischen Armee gegen kurdisch besiedelte Gebiete im Nordirak und gegen die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien.

Der Angriff erfolgte plötzlich. Zwei kräftige Männer kamen auf die Kundgebung zu. Sie pöbelten zunächst und griffen eine kurdische Kundgebungsteilnehmerin und einen über 70jährigen kurdischen Mann mit Schlägen und Tritten an. Sie gingen brutal in Kampfsportmanier vor. Mehrere Teilnehmer der Friedenskundgebung wurden dabei verletzt. Kurz darauf rotteten sich zirka 30 Männer ungefähr 20 Meter vor der Kundgebung zusammen, riefen faschistische türkische Parolen und wollten die Teilnehmer der Kundgebung angreifen. Dies verhinderte die von mir gerufene Polizei mit einem großen Aufgebot, sie ging aber nicht sofort entschlossen vor.

Haben Sie Anzeige erstattet?

Gegen die Angreifer wurde damals sofort Anzeige erstattet. Doch die Staatsanwaltschaft Krefeld stellte die Strafverfahren im Januar 2023 ein, weil es keine »unbeteiligten Tatzeugen« gebe. Damit stellte die Staatsanwaltschaft die Teilnehmenden an einer angemeldeten Kundgebung gleich mit den gewalttätigen Angreifern. Rechtsanwalt Roland Meister legte im Februar 2023 Beschwerde gegen die Einstellung der Strafverfahren ein. Es handelte sich um eine Attacke aus dem Umfeld der ultranationalistischen Anhängerschaft des türkischen Präsidenten Erdoğan und der faschistischen türkischen »Grauen Wölfe« – einer bewaffneten Miliz der Regierungspartei MHP.

Was passierte in der Zeit nach der Friedenskundgebung und den Anfeindungen?

Aus dem AKP/MHP-Lager gab es im Juni 2022 dann den Versuch, die Verabschiedung einer Petition des Krefelder Stadtrates gegen den Angriffskrieg der Türkei in Rojava und im Nordirak durch eine Protestaktion und Störung während der Ratssitzung zu verhindern. Dem ging eine E-Mail-Kampagne aus der »Union der islamischen und türkischen Verbände in Krefeld und Umgebung« voraus.

Nun sitzen die mutmaßlichen Opfer auf der Anklagebank – wie kann das sein?

Im Mai 2024 hat die Staatsanwaltschaft Krefeld Anklage gegen die überfallenen Kurden erhoben. Sie sollen angeblich gemeinsame schwere Körperverletzung begangen haben. Dabei wehrten sie sich nur gegen die brutalen faschistischen Übergriffe. Die Anklageschrift wirkt, als stütze sich die Staatsanwaltschaft einzig auf die Aussagen der Täter. Als Zeugen werden die beiden aus der Türkei stammenden Angreifer und zwei Teilnehmerinnen der Kundgebung aufgeführt. Jetzt ist der Mangel an »unbeteiligten Tatzeugen« anscheinend kein Problem mehr. Die Demonstrantinnen wurden gar nicht von der Staatsanwaltschaft vor der Anklageerhebung angehört. Ein Skandal! Ich halte eine politische Motivation für wahrscheinlich. Die Bundesregierung paktiert mit dem Erdoğan-Regime. Die strafrechtliche Verfolgung zweier Anhänger der AKP Erdoğans könnte unerwünscht sein.

Das Verfahren gegen die mutmaßlichen Angreifer wurde also eingestellt, statt dessen sind zwei kurdische Aktivisten angeklagt. Wie wollen Sie weiter vorgehen?

Der Verein Krefeld für Toleranz und Demokratie e. V. hat zusammen mit der Seebrücke Krefeld, der VVN-BdA Krefeld und der Linkspartei Krefeld eine Presseerklärung herausgegeben. In dieser wird die Einstellung der Verfahren gegen die beiden Opfer der faschistischen Angriffe und die Wiedereröffnung der Verfahren gegen die rechten Schläger verlangt. Das Bündnis wird das weitere Vorgehen der Justiz genau verfolgen und sich an Solidaritätsaktionen für die Angeklagten beteiligen.

Stephan Hagemes ist Stadtrat für Die Linke in Krefeld

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