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Aus: Ausgabe vom 20.09.2024, Seite 4 / Inland
Wahlkampf in Brandenburg

Stübgens Plan für den »Notstand«

Brandenburg: CDU-Innenminister gegen individuelles Asylrecht, fordert Deals für Abschiebungen
Von Marc Bebenroth
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Will volle Kontrolle: Michael Stübgen (CDU) auf der Regierungsbank im Landtag (Potsdam, 24.7.2024)

Wenige Tage vor der Landtagswahl am Sonntag in Brandenburg hat Innenminister Michael Stübgen (CDU) die Gelegenheit genutzt, in der auch dort zum Topthema erkorenen Migrationsdebatte der Position seines Parteivorsitzenden Friedrich Merz das Wort zu reden. »Ich halte die Flüchtlingssituation in Deutschland für so angespannt, dass wir eine nationale Notlage ausrufen sollten«, sagte Stübgen in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit dem Handelsblatt. »Dann können wir umfassend das Instrument der Zurückweisungen anwenden«, hoffte der derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK).

Davon, dass die Zahl der Asylsuchenden zuletzt wieder gesunken ist, wurde der Minister offenbar unterrichtet. Das sei für den »Notstand«-Panik schürenden CDU-Politiker jedoch nicht relevant, »sondern die Vielzahl an Migranten, die schon hier ist«. Auch an den asylrechtlichen Regeln des Grundgesetzes hat Stübgen kein Interesse. Das auch nach dem »Asylkompromiss« von 1993 noch in Artikel 16 a geregelte individuelle Recht auf Asyl sei »nicht mehr nötig«. Es gebe die Genfer Flüchtlingskonvention, aufgrund der »wir« ohnehin Menschen Schutz gewähren würden, die vor Verfolgung geflohen sind. Stübgen sprach sich dafür aus, das Asylrecht aus dem Grundgesetz zu streichen. An dessen Stelle solle auf die Flüchtlingskonvention von 1951 als »Institutsgarantie« verwiesen werden.

Die Konvention räumt Flüchtlingen eine Reihe von Rechten ein, die bei der Zielgruppe der Regierungsparteien SPD und CDU sowie von AfD und BSW vermutlich nicht viel Zustimmung auslösen. So haben Asylsuchende das Recht, nicht für die illegale Einreise in das Territorium eines Unterzeichnerstaates bestraft zu werden. Hinzu kommt das Recht auf anständige Arbeit, Unterkunft, Eigentum auch an Grund und Boden, Bildung, Religionsfreiheit und freien Zugang zur Gerichtsbarkeit. Das Recht auf Bewegungsfreiheit innerhalb des jeweiligen Unterzeichnerstaates wird Flüchtlingen ebenfalls eingeräumt wie das auf soziale Absicherung und der grundsätzliche Schutz vor Ausweisung.

»Das Grundrecht auf Asyl wurde aus guten Gründen im Grundgesetz verankert – und diese Gründe gelten heute genauso wie damals«, teilte am Donnerstag der Spitzenkandidat der Linkspartei, Sebastian Walter, mit. Er warf dem Innenminister Geschichtsvergessenheit vor und vermutete, der CDU-Politiker wolle die AfD rechts überholen. Zuletzt lag die AfD in Brandenburg in Umfragen bei rund 28 Prozent Zustimmung, die CDU zwischen 15 und 16 Prozent.

Am Ende geht es Stübgen darum, dass die Exekutive allein darüber entscheidet, welchen Menschen Asyl gewährt wird und welchen nicht. »Ohne individuelles Asylrecht können wir Flüchtlingskontingente einführen. Wir entscheiden dann, wer in unser Land kommt«, erklärte der Minister gegenüber dem Handelsblatt. Dann könne der Staat festlegen, in welchem Ausmaß »wir Migranten aufnehmen und integrieren können«, sagte Stübgen. Mit dem Verweis auf das »Können« stellte er implizit die materiellen Bedingungen in den Kommunen, wo Schutzsuchende versorgt werden müssen, als unveränderbar dar. Doch wer »jahrelang das Land kaputtspart und die Kommunen als zuständiger Minister im Stich lässt«, solle »in der Debatte einfach schweigen«, rief Walter ihm in seiner Mitteilung entgegen.

Der IMK-Vorsitzende weiß, dass die BRD die Nachbarländer mit ins Boot holen muss, wenn sie »Pushbacks« an den Grenzen zur üblichen Praxis erklären will. So forderte Stübgen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) auf, »weniger nach Israel« zu fliegen und mehr mit Ländern wie Polen, Tschechien oder Österreich über deren Reaktionen auf eine deutsche »Notlage« zu sprechen. Und um unerwünschte Ausländer nach Syrien oder Afghanistan unkomplizierter abschieben zu können, sprach sich Stübgen für diplomatische Beziehungen mit der Assad-Regierung in Damaskus bzw. Verhandlungen mit den Taliban in Kabul aus.

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