Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Sa. / So., 21. / 22. Dezember 2024, Nr. 298
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 30.09.2024, Seite 6 / Ausland
Gazakrieg

Blinken stolpert über Lüge

Enthüllung: US-Außenminister ignorierte Einschätzungen von Behörden zu israelischer Blockade von Nahrungsmitteln für den Gazastreifen
Von Jakob Reimann
6.jpg
Großer Ansturm auf eine der wenigen Mehlausgaben im Gazastreifen (Dschabalia, 17.3.2024)

Im Krieg gegen die Zivilbevölkerung in Gaza setzt Israel Hunger als Waffe ein: Das israelische Regime hat vorsätzlich Lieferungen von Lebensmitteln und Medikamenten in die abgeriegelte Küstenenklave verhindert und angegriffen. Das überrascht nicht besonders, erinnert sei an das »Mehlmassaker« im Februar, bei dem Israel auf Menschen feuerte, die Lebensmittel von einem Hilfskonvoi abladen wollten, und mehr als 100 dabei tötete. Die Tatsache ist aktuell dennoch hochbrisant und könnte gar zum Amtsenthebungsverfahren von US-Außenminister Antony Blinken führen.

Denn die Feststellung dessen wurde auch von zwei führenden Behörden der US-Regierung für humanitäre Hilfe getroffen und bereits im Frühjahr an die Biden-Regierung übermittelt. Nach geltendem US-Recht ist sie verpflichtet, sämtliche Waffenlieferungen an Länder einzustellen, die von den USA unterstützte Hilfslieferungen verhindern. Israel ist im hohen Maße von Waffenlieferungen der Vereinigten Staaten abhängig, um die historisch präzedenzlose Menge an Bomben, die auf Menschen und Häuser in Gaza niederregnen, weiter aufrechterhalten zu können. Erst im August verkündete Blinkens Ministerium neu genehmigte Waffenlieferungen im Wert von über 20 Milliarden US-Dollar.

Israel beeinträchtige die Lebensmittelversorgung der rund 2,3 Millionen Menschen in Gaza, indem es Hilfskräfte ermorde, landwirtschaftliche Einrichtungen zerstöre, Krankenwagen und Krankenhäuser bombardiere, Versorgungsdepots blockiere oder routinemäßig Lastwagen mit Lebensmitteln und Medikamenten am Grenzzaun zurückweise, hieß es in dem 17seitigen Memo der US-Behörde für internationale Entwicklung (USAID) vom April, aus dem die Organisation für investigativen Journalismus ProPublica am Dienstag zitierte. »Lebenswichtige Nahrungsmittel wurden weniger als 30 Meilen jenseits der Grenze in einem israelischen Hafen gelagert, darunter genug Mehl, um etwa 1,5 Millionen Palästinenser fünf Monate lang zu ernähren«, heißt es dort weiter. Doch im Februar habe die israelische Regierung die Weitergabe von Mehl untersagt, da der Empfänger der Hilfslieferungen das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge UNRWA war, das von der Netanjahu-Regierung fälschlicherweise beschuldigt wurde, eine wichtige Rolle bei dem Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 gespielt zu haben.

Die drohende Hungersnot in Gaza sei das Ergebnis von Israels »willkürlicher Verweigerung, Einschränkung und Behinderung der humanitären Hilfe der USA«, so das Dokument von USAID weiter. Die Agentur hatte monatelang erfolglos versucht, der hungernden palästinensischen Bevölkerung ausreichend Lebensmittel zu liefern, und forderte von der Biden-Administration daher, in Übereinstimmung mit US-Recht weitere Waffenverkäufe an Israel auszusetzen. Auch die Leiterin der US-Behörde für Bevölkerung, Flüchtlinge und Migration hatte festgestellt, dass Israel humanitäre Hilfe blockierte, wie aus E-Mails hervorgeht, aus denen ProPublica zitiert. Darin wurde die US-Regierung aufgefordert, den Foreign Assistance Act anzuwenden, um so fast 830 Millionen US-Dollar an Steuergeldern einzufrieren, die für Waffen und Bomben an Israel bestimmt waren.

Die US-Regierung ließ sich von diesen erschütternden Berichten zweier führender US-Behörden freilich nicht von ihrem bedingungslos proisraelischen Kriegskurs abbringen. So sagte Außenminister Antony Blinken wenige Tage, nachdem er die Informationen seiner Behörden erhalten hatte, am 10. Mai in einer Erklärung an den Kongress: »Wir gehen derzeit nicht davon aus, dass die israelische Regierung den Transport oder die Lieferung von humanitärer Hilfe aus den USA verbietet oder anderweitig einschränkt.« Wegen ihrer blinden Unterstützung für Israels Krieg gegen Palästina hat die Biden-Regierung also ihre eigenen Experten ignoriert und sich über geltendes US-Recht gestellt.

Nach der Enthüllung von ProPublica mehrten sich die Stimmen, die den Rücktritt von Außenminister Blinken wegen dessen Vertuschungstaktik fordern, berichtete das linke US-Magazin Common Dreams am Mittwoch. Blinken »sollte zurücktreten oder angeklagt werden«, forderte unter anderem Sam Perlo-Freeman vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut ­SIPRI. »Minister Blinken hat mit seinen Lügen möglicherweise ein Verbrechen begangen«, erklärte auch Nihad Awad, die Chefin des Council on American-Islamic Relations, CAIR, der größten muslimischen Interessenvertretung in den USA. »Er muss zurücktreten«, so Awad weiter, »und die Regierung Biden muss für ihren Rechtsbruch und ihre Mitschuld am israelischen Genozid in Gaza zur Rechenschaft gezogen werden.«

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • »Der Sieg auf dem Schlachtfeld beginnt in der Fabrik« steht auf ...
    28.09.2024

    Selenskij sucht Fans

    UN-Generaldebatte im Zeichen des Krieges: Kiews »Siegesplan« floppt, breite Kritik an Netanjahus Eskalationskurs
  • An der Seite Palästinas: Jeremy Corbyn auf einer Demonstration z...
    05.09.2024

    »Arbeiter haben Klasse, nicht Farbe«

    Krieg, der Aufstieg der extremen Rechten und die Chancen linker Politik. Ein Gespräch mit Jeremy Corbyn
  • »Stoppt Waffenlieferungen an Israel und finanziert unsere Kommun...
    24.08.2024

    Palästinenser unerwünscht

    USA: Nationalkongress der Demokratischen Partei ließ Stimmen aus Gaza nicht zu Wort kommen

Mehr aus: Ausland