75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 23. / 24. November 2024, Nr. 274
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 12.11.2024, Seite 7 / Ausland
Palästina-Solidarität

Vorwand für Repression

Niederlande: Angebliches Pogrom für weitere antipalästinensische Verbote instrumentalisiert
Von Gerrit Hoekman
imago778493903.jpg
Mit brutaler Gewalt ist die Polizei am Sonntag auf Demonstranten losgegangen, die vorher tagelang verleumdet worden waren (Amsterdam, 10.11.2024)

Am Sonntag nachmittag haben im Zentrum von Amsterdam mehrere hundert Menschen ihre Solidarität mit Palästina zum Ausdruck gebracht. Die Menge skandierte »Free, free Palestine!«, aber auch »From the river to the sea, Palestine will be free!«. Weil die Teilnehmenden das seit Freitag abend in der niederländischen Hauptstadt geltende Demonstrationsverbot missachteten, das die Bürgermeisterin Femke Halsema (Groen-Links) per Notverordnung erlassen hatte, griff die Polizei ein und erteilte allen Protestierenden Platzverweise. Wer nicht Folge leistete, wurde vorübergehend festgenommen. Halsema verlängerte unterdessen das Demonstrationsverbot bis Donnerstag morgen um sieben Uhr.

Die Bürgermeisterin hatte zu der einschneidenden Maßnahme gegriffen, nachdem es im Anschluss an das Europapokalspiel Ajax Amsterdam gegen Maccabi Tel Aviv in der niederländischen Hauptstadt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Maccabi-Hooligans gekommen war. Politiker und Medien waren sich blitzschnell einig: In Amsterdam hetzte ein wildgewordener antisemitischer, arabischer Mob auf Motorrollern harmlose Fußballanhänger aus Israel durch die Innenstadt, verprügelte sie und trat auf sie ein. Schnell verbreiteten Politik, Zeitungen und Fernsehsender den Begriff »Pogrom«.

Über das Wochenende ergab sich aber ein differenzierteres Bild: Seit ihrer Ankunft in Amsterdam am Mittwoch waren die Maccabi-Hooligans auf Krawall und Provokation aus. Sie rissen palästinensische Fahnen und Plakate von Fassaden, sangen, wo immer sie auftauchten, rassistische Lieder gegen Palästinenser und andere Araber. »Warum gibt es in Gaza keine Schulen mehr? Weil es keine Kinder gibt!«, so ein widerlicher Sprechchor. Augen- und Ohrenzeugen berichten von üblen Beleidigungen gegen schwarze Passanten. Die Fans warfen Steine gegen ein Haus und bedrohten die Bewohner, weil einige von ihnen palästinensische Fahnen im Fenster hängen hatten. Ein Taxifahrer wurde geschlagen, anscheinend war er Marokkaner. Das alles passierte bereits vor dem Spiel. Auch die antizionistische jüdische Organisation Erev Rav verurteilte die Gewalt der israelischen Fußballfans.

Am Donnerstag abend versammelten sich nach der Partie etwa 100 Hardcoreanhänger von Maccabi vor dem Hauptbahnhof, berichtete die renommierte niederländische Tageszeitung Het Parool am Sonnabend. »Aufnahmen, die Het Parool von diesem Abend und dieser Nacht besitzt, zeigen Maccabi-Anhänger, die mit Gürteln in der Hand durch das Zentrum gehen. Sie stoßen einen Jugendlichen zu Boden, ein anderer wird geschlagen.« Die Fotografin Annet de Graaf berichtete in der Tageszeitung AD von 150 bis 200 aggressiven Maccabi-Fans, die vor dem »Victoria«-Hotel gegenüber dem Bahnhof mehrere Personen angriffen. Der bei der niederländischen Jugend sehr populäre Internetreporter »Bender« berichtete in Bild und Ton von maskierten Maccabi-Fans, die sich auf Baustellen mit Steinen und Eisenstangen bewaffneten. Wie viele andere Medien benutzte die ARD-»Tagesschau« Aufnahmen der Fotografin de Graaf fälschlicherweise als Beweis für das angebliche Pogrom. Nach ihrer öffentlichen Beschwerde räumte die Redaktion den Fehler immerhin ein und beseitigte ihn.

Die Ultras aus Israel waren also alles andere als friedliche Opfer. Mit ihren Aktionen gegen palästinensische Symbole und ihren provozierenden Gesängen trugen sie ihren Teil dazu bei, dass aus einer sportlichen Veranstaltung von Beginn an eine politische wurde. Mindestens einer Amsterdamerin machten die Maccabi-Ultras sogar große Angst. Die 32jährige lag im Bett, als gegen 0.30 Uhr in der Nacht zu Freitag direkt unter ihrem Fenster auf Hebräisch Parolen skandiert wurden. »In meinem Fenster hängt ein propalästinensisches Plakat, Nachbarn haben palästinensische Flaggen«, vermutete sie gegenüber Het Parool den Grund für den Tumult. »Als ich meinen Vorhang öffnete, um nachzusehen, wurde das Geschrei noch lauter. Sie fingen an, gegen meine Tür zu treten. Ich hatte wirklich große Angst, ich war allein zu Hause, und weil ich aus dem Fenster schaute, wussten sie, dass ich zu Hause war.«

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Die Maccabi-Hools in Amsterdam skandierten am Donnerstag unter a...
    09.11.2024

    Kein Pogrom

    Amsterdam: Gewaltsame Zusammenstöße zwischen rechten israelischen Fußballfans und propalästinensischen Demonstranten – Eskalation programmiert
  • Nichtbeachtung »grundlegender journalistischer Grundsätze«: Prot...
    08.11.2024

    Im Zweifel für Israel

    Offener Brief an BBC: Mitarbeiter kritisieren Voreingenommenheit des britischen Senders. Auch Vertrauen in deutsche Medien schwindet
  • Fake News über Bande sollten Premier Netanjahu eine weiße Weste ...
    06.11.2024

    Mit Bild Hamas anschwärzen

    Israels Premier soll mit »Leak« versucht haben, Platzen von Geiseldeal anderer Seite zuzuschieben

Mehr aus: Ausland