Strafgericht und »Staatsräson«
Von Philip TassevAm Donnerstag hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz in Den Haag Haftbefehle gegen die Hamas-Anführer Ismail Hanija, Jahja Sinwar (beide inzwischen von Israel getötet) und Mohammed Deif erlassen, aber auch gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinen ehemaligen Kriegsminister Joaw Gallant. Verglichen mit der inszenierten Empörung nach der Beantragung der Haftbefehle durch Chefankläger Karim Khan im Mai fallen die Reaktionen aus der Bundesrepublik bisher recht verhalten aus.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit teilte am Freitag lediglich mit, die Bundesregierung werde die aus den Haftbefehlen folgenden »innerstaatlichen Schritte« gewissenhaft prüfen. Eine Entscheidung stehe erst an, falls ein Besuch von Netanjahu oder Gallant in der BRD absehbar sei. Ihm falle es aber schwer, sich vorzustellen, »dass wir auf dieser Grundlage Verhaftungen durchführen«, so Hebestreit. Die Frage, ob Netanjahu in der Bundesrepublik willkommen sei, beantwortete er nicht, betonte aber, die Bundesrepublik sei einer der größten Unterstützer des IStGH. Gleichzeitig sei es aber auch eine »Konsequenz aus der deutschen Geschichte, dass uns einzigartige Beziehungen und eine große Verantwortung mit Israel verbinden«.
Wie Berlin diesen Spagat zwischen IStGH und »Staatsräson« bewerkstelligen will, bleibt abzuwarten. Der IStGH hat in der Vergangenheit nur dem Westen unliebsame Politiker angeklagt. Ohne Namen zu nennen, hatte Chefankläger Khan bereits im Mai gegenüber CNN von einem führenden westlichen Politiker berichtet, der ihm ausdrücklich gesagt habe: »Dieser Gerichtshof ist für Afrika und für Schurken wie Putin gemacht.« Nun droht erstmals einem NATO-Verbündeten eine Verurteilung wegen Kriegsverbrechen.
Ähnlich wie Hebestreit äußerte sich am Freitag auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Die Bundesrepublik halte sich »natürlich national, europäisch und international an Recht und Gesetz«, sagte sie den Sendern RTL und N-TV. Ein Besuch Netanjahus in der BRD sei nur »hypothetische Frage«. Es werde jetzt geprüft, »wie wir dann damit umgehen werden«.
Deutlicher wurden Politiker aus der zweiten Reihe. Für Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU) etwa ist es »völlig ausgeschlossen, dass ein demokratisch gewählter Ministerpräsident aus Israel auf deutschem Boden verhaftet wird, weil er sein Land gegen Terroristen verteidigt«, wie er am Freitag sagte. Sein Parteikollege, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Johann Wadephul, hatte eine Verhaftung Netanjahus »auf deutschem Boden« am Donnerstag ebenfalls als »unvorstellbar« bezeichnet.
In einem am Donnerstag veröffentlichten Beitrag für die zionistische Jüdische Allgemeine behauptete der Präsident der »deutsch-israelischen Gesellschaft«, Volker Beck (Grüne), Israel sei ein Rechtsstaat und die »Gleichzeitigkeit der Haftbefehle« gegen Netanjahu und Gallant mit den Haftbefehlen gegen die Hamas-Führung würde »Israel mit einer demokratischen Regierung und einer unabhängigen Justiz« mit der »Terrorgruppe« auf eine Stufe stellen. Der IStGH habe damit einer »antiisraelischen Kampagne in Teilen der Völkergemeinschaft nachgegeben«.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Uwe H. aus Greding (24. November 2024 um 11:32 Uhr)Da ist sie wieder, die Doppelmoral. Eine Schande der Demokratie, wo bleiben denn die Verteidiger eben jener? Putin würde man natürlich sofort verhaften.
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