»Arbeiterversteher« Scholz
Von Oliver RastDer Titel »Autokanzler« ist längst vergeben. Richtig, eine Art Verdienstplakette, die sich Vor-Vorgänger und sozialdemokratischer Parteikumpel Gerhard Schröder geschnappt hatte. Nun schlägt sich Nochkanzler Olaf Scholz in die Bresche, mimt den regierungsamtlichen »Arbeiterversteher« der automobilen Industrie. Beim Gastauftritt am Dienstag vormittag bei der Betriebsversammlung im Ford-Stammwerk in Köln-Niehl. Auf Einladung des Gesamtbetriebsrats (GBR) der Ford-Werke. Schon vor anderthalb Jahren war Scholz in den Kölner Betriebshallen. Damals ging es um eine Investition in Milliardenhöhe in die E-Mobilität. Diesmal um den puren Existenzkampf derer, die an den Produktionsstrecken stehen.
GBR-Chef Benjamin Gruschka betonte am Dienstag morgen, als amtierender Kanzler sei Scholz gewissermaßen in der Pflicht, »alles in seiner Macht stehende zu tun«, um die Elektromobilität zu unterstützen, auch »proaktiv bei Ford«. Denn eine Rückkehr zur Fertigung von Verbrennerfahrzeugen sei in der Domstadt eines: »ausgeschlossen«. Deshalb brauche die Branche dreierlei: ein klares Bekenntnis zur Elektromobilität, eine Kaufförderprämie für E-Autos und nicht zuletzt den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Gruschkas Appell gen Kanzleramt: »Lassen Sie uns gemeinsam an einer zukunftsorientierten Automobilindustrie arbeiten, die Arbeitsplätze in der gesamten Wertschöpfungskette sichert und die Energiewende vorantreibt.«
Ein Ruf, den Scholz erhört hat? Fraglich. So wie immer beim stoischen SPD-Politiker. Vor seinem Auftritt vor Tausenden Werktätigen, besser seiner kaum verklausulierten Wahlkampfrede, kungelte Scholz mit der Ford-Geschäftsführung und dem GBR – hinter verschlossenen Türen. Nur, was hat der deutsche Regierungschef denn nun Aufmunterndes ausgerufen? Wenig. Allgemeinplätze, sonst nichts. Europa müsse sich anstrengen, damit die Elektromobilität funktioniere, so Scholz laut Reuters am Dienstag vor versammelter Belegschaft. »Insofern brauchen wir eine Verkaufsförderung, die funktioniert europaweit«, oder die Genehmigung, die Produktion von Elektroautos in Deutschland fördern zu dürfen. »Der erste Weg wäre natürlich der beste, wenn er begleitet wird von einem Ausbau der Ladeinfrastruktur überall in Europa.« Deutschland sei ein Industriestandort und werde es auch bleiben, behauptete Scholz weiter.
Demonstrative Zuversicht, wenig belegt. Bereits im November hatten die Ford-Bosse ihre Kürzungspläne verkündet. Von den derweil noch rund 12.000 Jobs im Stammwerk soll bis Ende 2027 etwa ein Viertel vernichtet werden. Bemerkenswert: 2018 waren an dem Standort noch knapp 20.000 Arbeiter beschäftigt. Und auch sonst, die Daten versprechen nichts Gutes: Der Absatz von Elektroautos in Deutschland ist im November 2024 erneut deutlich zurückgegangen, wie das Kraftfahrtbundesamt (KBA) jüngst mitteilte. Knapp 35.200 Batterie-Pkw kamen neu auf die Straße und damit fast 22 Prozent weniger als noch im November des Vorjahres. Der Anteil von E-Autos an allen Neuzulassungen betrug lediglich 14,4 Prozent.
Was wird vom Scholzschen Ausflug in die Betriebswelt bleiben? Wohl nichts. Der Kanzler sei mit leeren Händen zu den Ford-Beschäftigten gekommen, bemerkte Jörg Cezanne am Dienstag gegenüber jW. Gegen den Kahlschlagkurs der Automobilkonzerne verliere die Restampel kein kritisches Wort, so der wirtschaftspolitische Sprecher der Gruppe von Die Linke im Bundestag. Klar sei, »zuallererst müssen Ford und auch VW auf Betriebsstillegungen und betriebsbedingte Kündigungen verzichten«. Und endlich bezahlbare E-Autos statt Luxuslimousinen bauen. Ein mittelfristiger Umbau der Automobilkonzerne zu innovativen Mobilitätsunternehmen samt Zulieferern könne nur mittels staatlichem Transformationsfonds gelingen. Eins gehe dabei nicht: Wer Steuermittel kassiert, darf keine Dividenden an Aktionäre ausschütten, Vorstandsboni zahlen. Bloß, davon versteht »Arbeiterversteher« Scholz nichts.
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