»Dieses politische Klima wirkt«
Interview: Gitta DüperthalSie kritisieren, dass wieder Berufsverbote geplant sind. Welche Parteien machen sich im Wahlkampf dafür stark?
Die selbsternannte »Fortschrittskoalition« Ampel erweiterte weder demokratische Rechte, noch rehabilitierte sie Betroffene des »Radikalenerlasses« der 1970/80er Jahre. Sie befeuerte gar einen Wettbewerb des Demokratieabbaus. Jetzt im Wahlkampf werfen nahezu alle Parteien in ihren Programmen Linke mit Rechten und Neonazis in einen Topf und setzen sie mit Terroristen gleich, gemäß der sogenannten Hufeisentheorie. Bundesinnenministerin Nancy Faeser ermöglichte im Disziplinarrecht 2024 Entlassung aus dem öffentlichen Dienst ohne gerichtliche Entscheidung. Erst nachdem sie rausgeflogen sind, können Betroffene dagegen klagen. Zwar betonte man seitens der SPD als Anlass den »Rechtsextremismus«, das Gesetz aber betrifft alle sogenannten Verfassungsfeinde. Wenn die CDU in ihrem Programm diese Form der Entlassung per Verwaltungsakt ablehnt, ist zweifelhaft, ob es ihr dabei um den viel beschworenen »Schutz der Demokratie« geht. Vielleicht will sie Rechte bei Polizei und Bundeswehr vor Entlassung schützen, da dies ihre eigene Klientel betreffen könnte. Die AfD fordert vor allem radikaleres Vorgehen gegen vermeintliche Linksextremisten, teils mit derselben Wortwahl wie nahezu alle anderen Parteien. Der kritiklose Umgang der Grünen mit den Geheimdiensten überrascht: Wie vehement sie sich für einen neuen »Radikalenerlass« einsetzen!
Was genau erstaunt Sie?
Im Entwurf des Grünen-Bundesvorstands vom 17. Dezember vergangenen Jahres heißt es unter der Überschrift »Für ein entschiedenes Vorgehen gegen Extremismus und Terror«: Die Nachrichtendienste müssten »angemessen ausgestattet«, der »Verfassungsschutz« so aufgestellt sein, dass er »besser als bisher die Demokratie vor Angriffen schützen« könne. Der aber hat Verfassung und Meinungsfreiheit noch nie geschützt, maßte sich gar unzulässige Pressezensur an; setzte etwa die Zeitung junge Welt auf den Index, um ihre Verbreitung zu erschweren. Die Grünen sind auf den reaktionären Kurs eingeschwenkt, mit Ausnahme, das allgemeine Gleichstellungsgesetz stärken zu wollen – auch gegen berufliche Diskriminierung. Im Widerspruch dazu, dass sie Demokratieabbau forcieren wollen!
Hat man also gar keine Wahl?
Schon. Während alle Parteien fordern, die Geheimdienste weiter auszubauen und mit mehr Kompetenzen zu versehen, hebt sich Die Linke kritisch hervor. Sie stellt den sogenannten Verfassungsschutz infrage, will ihn durch eine unabhängige Beobachtungsstelle »Autoritarismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« ersetzen. Das V-Leute-System des Inlandsgeheimdienstes und seine Verstrickungen mit der extremen Rechten müssten »aufgedeckt und beendet« werden.
Warum beschäftigt Sie der »Radikalenerlass«?
Ich selber wurde vor 40 Jahren per Verwaltungsakt als auf Probe verbeamteter Briefträger bei der Post entlassen. Die Gründe damals: meine Kandidatur für die DKP, Vorträge bei der marxistischen Arbeiterbildung und eine Reise in die DDR.
Sie kritisieren, dass seit 2023 Berufsverbote gegen Linke wieder zunehmen – inwiefern?
Klimaaktivistinnen und -aktivisten wird die Einstellung verweigert, etwa in München als Schullehrerin, in Jena als wissenschaftliche Hilfskraft an der Uni. Die Beschäftigung des Wissenschaftlers Benjamin Ruß an der TU München wird abgelehnt, weil er »marxistische Auffassungen« habe. Ausschlusskriterium: »Antikapitalismus«. Drei Erzieherinnen in Berlin sind wegen Palästina-Solidarität entlassen; weiterhin ein Museumspublikumsbetreuer in Frankfurt am Main. Dieses politische Klima wirkt. Vermehrt gehen private Unternehmen mit Gewerkschaftsbashing gegen Beschäftigte vor.
Was fordern Sie von Bundesregierung, Bundestag, Landesregierungen und -parlamenten?
Es darf keine neuen »Radikalengesetze und -erlasse« geben. Bereits erfolgte gesetzliche Maßnahmen dazu müssen zurückgenommen werden. Die Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, gilt es einzuhalten: Politische Überzeugungen dürfen nicht zu Berufsverboten und Existenzvernichtung führen. Die Betroffenen in den 1970/80er Jahren sind zu rehabilitieren und zu entschädigen!
Werner Siebler ist aktiv im »Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte«.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
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Leserbrief von AG (4. Januar 2025 um 23:50 Uhr)Warum so konziliant, so defensiv? Nehmen wir doch den Staat vielmehr beim Wort und spielen sein falsches Spiel mit und fordern mit ihm gemeinsam: »Her mit den Radikalen!« Denn sind nicht sie es, die unsere schöne solidarische Gemeinschaft, unsere progressive Zivilgesellschaft, unsere zivilisatorischen Leistungen zerstören? Sind es nicht die Radikalen, die Verantwortung tragen für die Geißeln, die uns plagen? Sind nicht sie es, die uns in Armut stürzen, die Ungleichheit verschärfen, den Krieg über uns bringen, uns ausbeuten? Denn darum geht es dem Staat doch gewiss – jene aus dem Verkehr zu ziehen, die den 80 Mio. Menschen dieses Landes am meisten schaden. Das ist seine ureigenste legitimatorische Funktion – das gemeine Wohl zu schützen und zu fördern. Aber dann stimmt mit dieser ganzen Geschichte was vorn und hinten nicht. Will mir Frau Faeser, will mir das BfV allen Ernstes weismachen, die junge Welt wäre interessiert an mehr Ausbeutung? Arbeitet Benjamin Ruß daran, die Kinderarmut in der BRD auf 25% zu schrauben? Planen die drei Erzieherinnen in Berlin möglicherweise den totalen Krieg? Oder liegt es in der Macht jenes Museumspublikumsbetreuers, eine neue 5%-Grenze für den NATO-Etat durchzusetzen? Das staatstragende Gesülze von Berufsverboten, Meinungsverboten, Demoverboten, Pulikationsverboten, Lehrveboten ist nichts als eine Beleidigung ethischer Normen und der menschlichen Vernunft. Und ein Offenbarungseid fachlicher Inkompetenz, innerer moralischer Verwesung und umfassender Idiotie. Dieses Gerede ist diabolisch, heimtückisch, faschistoid. An seinem Ende steht die Zersetzung alles Menschlichen in uns. Aber außer Frage: Würden wir wie Schafe blöken, mit Juhe an die Ukrainefront ziehen, 20 Stunden pro Tag ohne Klage schuften, Krankenversicherungen scheiße finden, und die Atemluft gleich privatisieren wollen; dann wäre das Durchregieren in der Tat sehr einfach. So sehr, dass es vielleicht sogar die Grünen ausnahmsweise hinkriegen würden.
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