Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 04.01.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Minen unterm Weltfrieden

Expansion und Aufteilung der Welt: Karl Liebknecht benannte 1907 in »Militarismus und Antimilitarismus« die Ursachen für zukünftige Kriege
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Krupp-Werke, Essen 1906: Herstellung von Schiffsartillerie

Der Militarismus ist nichts spezifisch Kapitalistisches. Er ist vielmehr allen Klassengesellschaftsordnungen, von denen die kapitalistische die letzte ist, eigen und wesentlich. Freilich entwickelt der Kapitalismus ebenso wie jede andere Klassengesellschaftsordnung seine besondere Sorte Militarismus. (…)

Der kapitalistischen Entwicklungsstufe entspricht am besten das Heer der allgemeinen Wehrpflicht, das aber, obwohl ein Heer aus dem Volke, kein Heer des Volkes, sondern ein Heer gegen das Volk ist, oder mehr und mehr dazu umgearbeitet wird. Es tritt bald als stehendes Heer auf, bald als Miliz. Das stehende Heer, das aber auch keine Erscheinung nur des Kapitalismus ist, erscheint als seine entwickeltste, ja seine normale Form. (…)

Die Armee der kapitalistischen Gesellschaftsordnung erfüllt ebenso wie die Armee der anderen Klassengesellschaftsordnungen einen doppelten Zweck. Sie ist zuvörderst eine nationale Einrichtung, bestimmt zum Angriff nach außen oder zum Schutz gegen eine Gefährdung von außen, kurzum bestimmt für internationale Verwicklungen oder, um ein militärisches Schlagwort zu gebrauchen, gegen den äußeren Feind.

Diese Funktion der Armee ist auch durch die neuere Entwicklung keineswegs beseitigt. Für den Kapitalismus ist der Krieg in der Tat, um Moltkes Worte zu gebrauchen, »ein Glied in Gottes Weltordnung«. Allerdings besteht innerhalb Europas selbst wenigstens die Tendenz zur Beseitigung gewisser Kriegsursachen und sinkt trotz Elsass-Lothringens und der Sorgen um das französische Trifolium Clemenceau, Pichon, Picquart, trotz der orientalischen Frage, trotz des Panislamismus und trotz der sich eben in Russland vollziehenden Umwälzung die Wahrscheinlichkeit eines aus Europa selbst herausbrechenden Krieges mehr und mehr. Dafür sind jedoch neue, höchst gefährliche Reibungsflächen entstanden infolge der von den sogenannten Kulturstaaten verfolgten kommerziellen und politischen Expansionsbestrebungen, die uns auch die orientalische Frage und den Panislamismus in erster Linie beschert haben, infolge der Weltpolitik, der Kolonialpolitik im besonderen, die (…) ungezählte Konfliktsmöglichkeiten in sich birgt und die gleichzeitig zwei andere Formen des Militarismus immer energischer in den Vordergrund drängt: den Marinismus und den Kolonialmilitarismus. Wir Deutschen können ein Lied von dieser Entwicklung singen!

Der Marinismus, der Flottenmilitarismus, ist das echte Geschwister des Landmilitarismus und trägt alle abstoßenden und bösartigen Züge dieses letzteren. Er ist in noch höherem Maße als gegenwärtig der Landmilitarismus nicht nur Folge, sondern auch Ursache internationaler Gefahren, der Gefahr eines Weltkrieges.

Wenn uns gute Leute und Betrüger glauben machen wollen, zum Beispiel die Spannung zwischen Deutschland und England sei nur etwelchen Missverständnissen, Hetzereien böswilliger Zeitungsschreiber, prahlerischen Redensarten schlechter Musikanten der Diplomatie zu verdanken, so wissen wir es besser. Wir wissen, dass diese Spannung eine notwendige Folge der sich verschärfenden wirtschaftlichen Konkurrenz Englands und Deutschlands auf dem Weltmarkte ist, also eine direkte Folge der zügellosen kapitalistischen Entwicklung und internationalen Konkurrenz. Der Spanisch-Amerikanische Krieg um Kuba, der Abessinische Krieg Italiens, der Transvaalkrieg Englands, der Chinesisch-Japanische Krieg, das chinesische Abenteuer der Großmächte, der Russisch-Japanische Krieg, sie alle, wenn auch noch so mannigfaltig in ihren besonderen Ursachen und Bedingungen, haben doch den einen großen gemeinschaftlichen Grundzug des Expansionskrieges. Und wenn wir uns der englisch-russischen Spannung in Tibet, Persien und Afghanistan, der japanisch-amerikanischen Unstimmigkeiten aus dem Winter 1906 und schließlich des Marokkokonfliktes glorreichen Angedenkens mit der französisch-spanischen Kooperation vom Dezember 1906 erinnern, so erkennen wir, dass die kapitalistische Expansions- und Kolonialpolitik unter das Gebäude des Weltfriedens zahlreiche Minen gelegt hat, deren Zündschnuren in den verschiedensten Händen liegen und die gar leicht und unerwartet auffliegen können. Gewiss mag eine Zeit kommen, wo die Aufteilung der Welt so weit fortgeschritten ist, dass man an eine Vertrustung des überhaupt möglichen Kolonialbesitzes unter die Kolonialstaaten, sozusagen an eine Ausschaltung der Kolonialkonkurrenz zwischen den Staaten denken kann, wie sie für die private Konkurrenz zwischen kapitalistischen Unternehmern in den Kartellen und Trusts in gewissem Umfange erfolgt ist. Aber das hat noch gute Weile und kann schon allein durch die wirtschaftliche und nationale Erhebung Chinas ins Unabsehbare weit hinausgeschoben werden.

Karl Liebknecht: Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung. Leipzig 1907, Leipziger Buchdruckerei Aktiengesellschaft, 126 Seiten. Hier zitiert nach: Karl Liebknecht: Gesammelte Reden und Schriften, Band I. Dietz-Verlag, Berlin 1958, ­Seiten 266–270

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