Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 07.01.2025, Seite 2 / Inland
Berliner »Schulbauoffensive«

»Der Skandal wird ihnen um die Ohren fliegen«

Berlin: Kostenexplosion beim Schulbau. Landeseigene Howoge agiert als Briefkastenfirma. Ein Gespräch mit Carl Waßmuth
Interview: Gitta Düperthal
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Die Profite müssen stimmen: Mit sogenannter öffentlich-privater Partnerschaft verteuert Berlin Sanierung sowie Neubau enorm (18.5.2022)

Der Verein »Gemeingut in BürgerInnenhand« kritisiert, dass die dem Land Berlin gehörende Wohnungsbaugesellschaft Howoge für von ihr gebaute Schulen einen Preis bis zum Zehnfachen des Bundesdurchschnitts verlangt. Wie kommen Sie darauf und was ist die Grundlage Ihrer Berechnungen für diese immens hohen Kosten des Schulneubaus?

Es ist ein riesiger Skandal. Wir verfolgen den Berliner Schulbau seit 2016, noch unter der SPD/Grünen/Linken-Landesregierung. Damals wurde angekündigt, dass alle Schulen in Berlin saniert werden. Schließlich wurde klar, es geht auch um Neubauten. Man wollte private Baugesellschaften einbeziehen. Wir sahen darin schon damals ein großes Risiko für Kostenanstieg und Verzögerungen und sammelten deshalb dagegen Unterschriften.

Die Howoge gehört zu 100 Prozent dem Land.

Ja, sie agiert aber im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft, kurz ÖPP. Die Howoge ist im Bauprozess nicht viel mehr als eine Briefkastenfirma. Planungen und Bau für Schulneubauten reicht sie an private Unternehmen weiter. Das Hinzuziehen der Privatakteure verursacht eine Kostenexplosion und verzögert alles um Jahre. Wir waren alarmiert, konnten es aber nicht verhindern.

Welche Ausmaße nahm der Bauskandal aus Ihrer Sicht an?

Unsere damalige Warnung, die wir 2018 bei einer Anhörung im Senat verdeutlicht hatten, hat sich in einer derart monströsen Art bewahrheitet, wie selbst wir es uns vor Jahren nicht hatten vorstellen können. Wir hatten in mehreren Studien verfolgt, wie sich die Kostensteigerungen entwickelten. Ende 2023 wurde öffentlich, dass 38 Schulbauten, die die Howoge übernahm, 11,7 Milliarden Euro kosten sollten: zwölf Sanierungen, 26 Neubauten. Davon gehen 6,4 Milliarden Euro an Zinsen für privat aufgenommene Kredite drauf, um dieses Konstrukt der ÖPP zu bezahlen. Die reinen Baukosten betragen »nur« 3,5 Milliarden Euro, was auch zuviel ist. Hinzu kommen dann weitere Kosten, etwa wegen im Voraus berechneter Verzögerung, und Transaktionskosten für das ÖPP-Modell.

Wie kommen diese hohen Kosten zustande? Könnten die hohen Preise damit zusammenhängen, dass Material und Handwerker knapp sind?

Bauherr ist die öffentliche Hand, und klar ist alles teurer geworden. Aber das erklärt nicht so immense Kosten. Wir haben uns am Baukostenindex der Architektenkammern orientiert und den Bundesvergleich herangezogen. Wenn ein Quadratmeter Schulneubau bundesweit im Schnitt etwa 15 Euro kostet, bei der Howoge in Berlin aber mehr als 150 Euro: Da kann etwas nicht stimmen. Wozu werden hier etwa teure Privatkredite aufgenommen? Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger ist es nicht nachvollziehbar, wieso für öffentlichen Schulbau durch die Einbeziehung der Howoge bis zu zehnmal mehr bezahlt werden soll. Das macht sich im Berliner Haushalt bemerkbar. Drei Milliarden Euro will der CDU/SPD-Senat nun bei Kultur und Sozialem einsparen. Das ist nicht einzusehen.

Wie ordnen Sie das politisch ein?

Es ist einer der größten Bauskandale Deutschlands auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, vergleichbar mit dem Berliner Flughafen BER, der Hamburger Elbphilharmonie oder Stuttgart 21. Ursprünglich sollte der Schulbau durch die Howoge eine Milliarde kosten, jetzt ist es mehr als das Zehnfache.

Wen sehen Sie in der Verantwortung?

Das Fatale: Dieses Modell wurde vom SPD-Finanzsenator Matthias Kollatz 2016 eingeführt und von der damaligen rot-rot-grünen Landesregierung verteidigt. Man leugnete, dass es so teuer werden könnte. Jetzt ist eingetreten, wovor wir gewarnt hatten. Die CDU/SPD-Regierung bekam das Ei ins Nest gelegt. Dort befürwortet man bekanntermaßen Profite privater Akteure und macht einfach so weiter. Weil private Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse betroffen seien, lässt man uns nicht in die Verträge einsehen. Wir werden aber nicht locker lassen.

Dieser Skandal wird der Landesregierung noch um die Ohren fliegen. Die Dimension dieser Kostenexplosion lässt sich nicht auf Dauer verheimlichen. Unsere Forderung: Die Berliner Bauverwaltungen waren bislang beim Schulbau schnell und günstig. Sie haben mehr Schulen als die Howoge gebaut, sind jetzt wieder frei, und können sofort übernehmen.

Carl Waßmuth ist Sprecher von »Gemeingut in BürgerInnenhand«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (7. Januar 2025 um 12:23 Uhr)
    Im Moment sollte man erst einmal froh sein, dass überhaupt Schulen gebaut und übergeben werden. Der Bedarf bei Neubau und Sanierung ist riesengroß. Die Grundschule in meiner Wohngegend ist einst für 400 Schüler konzipiert worden. Heute lernen hier über 700. Und 1200 wären es, hätte man alle Kinder aufgenommen, die von ihren Eltern wohnortnah angemeldet wurden. Natürlich muss man die Frage stellen, mit welchen Kosten gebaut wird und wer da auf Kosten der Allgemeinheit einen Extrareibach macht. Nur eines darf nicht passieren: Dass der jetzt endlich laufende Bau unterbrochen oder verzögert wird. Dann nämlich wäre wieder einmal das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

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