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Aus: Ausgabe vom 14.01.2025, Seite 2 / Inland
Abriss der Kolonie 10

»Der Konzern hat keine Baugenehmigung«

Berlin: Immobilienfirma lässt Kulturhof trotz Natur- und Milieuschutz abreißen. Anwohner wehren sich gemeinsam. Ein Gespräch mit Jan Siddhi
Interview: Gitta Düperthal
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Der Kulturhof »Kolonie 10« in Berlin soll weichen (4.7.2024)

Der Immobilienkonzern Grundkontor Projekt GmbH aus München hat vergangenen Mittwoch mit dem Abriss des Kulturhofs »Kolonie 10« im Berliner Wedding begonnen. Wie kam es überhaupt dazu?

An dem Tag kamen auf dem Hof der »Kolonie 10« Mitarbeitende der Unteren Naturschutzbehörde, der Bauaufsicht und der Polizei zusammen sowie der Baustadtrat des Bezirks Mitte, Ephraim Gothe von der SPD, und der Projektleiter von Grundkontor Projekt. Anwesend war auch bereits die Abrissfirma »Karamba Karacho«. Schon am Montag hatte uns die Polizei benachrichtigt, dass der Abriss in der Woche beginnen sollte. Dann tauchten Bagger auf dem Nachbargrundstück auf, die aber durch das Tor der »Kolonie 10« nicht hindurchpassten. In der Koloniestraße 11–12 ist die Toreinfahrt größer.

Dort gibt es bereits solche Mikroappartements, wie sie der Geschäftsführer des Immobilienkonzerns Romeo Uhlmann auch in unserem Hof bauen will. Er vermietet sie an die Bundeswehr. Soldaten müssen dafür 790 Euro warm zahlen bei 19 Quadratmetern. Dort ist nur prekäres Wohnen auf kurze Zeit möglich. Zunächst hatte er behauptet, die Mikroappartements an Studierende im Rahmen des Projektes »Campus Viva« vermieten zu wollen. Das war der Plan.

Was wurde in den vergangenen Tagen zerstört?

In den historischen Remisenhöfen gibt es außer unseren Wohnungen mit 30 Jahre alten Weinreben bepflanzte Garagen. Sie werden als Tanzschule oder zum Sport genutzt, zuvor betrieben sie jahrzehntelang freie Kulturschaffende als Künstlerateliers. Im 19. Jahrhundert waren es Ställe für Pferdekutschen. Bereits zerstört wurde eine Garage, ein ehemaliger Sportraum, sowie einige Garagentore. Das ist problematisch, weil sich in den Räumen Haustechnik für Wasser, Strom und Heizung befindet. Es könnte also passieren, dass Bewohner der angrenzenden Wohngebäude plötzlich im Kalten sitzen.

Wie ordnen Sie das Vorhaben des Neubaus rechtlich ein?

Der Konzern besitzt dafür keine gültige Baugenehmigung. Die Naturfreunde hatten einen Stopp erwirkt. Der Rückschnitt von Pflanzen durfte nicht mehr durchgeführt werden, da sich dahinter Vogelnester und Fledermausquartiere befinden könnten. Eine große Kolonie von Haussperlingen ist dort beheimatet. Diese Grünstrukturen sind nicht verhandelbar. Auch die Baustatik angrenzender Wohngebäude könnte Schaden nehmen. Deshalb haben sich Anwohner zusammengeschlossen und protestieren gegen die Zerstörung.

Welche Absicht hat der Konzern?

Konzerngeschäftsführer Ullmann zerstört Stadtnatur und Kultur. Sein Kalkül: Er will die Mieter herausekeln und drangsalieren, damit sie sozusagen »freiwillig« ausziehen. Er investierte etwa in einen Bauzaun, den er nun hochziehen ließ, damit die Leute nicht mehr auf den Hof können. Er klagt vor Gericht dagegen, dass die Gebäude unter Natur- und Milieuschutz stehen. Solange die Wohnungen bewohnt sind, darf er nicht bauen. Wohnt dort aber niemand mehr, wird es für ihn einfacher, die soziale Struktur zu beseitigen.

Gegen die Zerstörung der historischen Remisenhöfe wehren sich Anwohner, unterstützt unter anderem vom Kiezteam Wedding-Reinickendorf der Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«. Welche Chance auf Erfolg sehen Sie?

Ralf Steeg, Gartenarchitekt der vorbildlichen Anlage, die dem Urheberrechtsschutz unterliegt, klagt gegen die Zerstörung. Die Stadt Berlin muss sich fragen, wieso sie all das geschehen lässt. Es ist die Absicht des Immobilienkonzerns, die Mieterschaft einzuschüchtern. Es kann nicht sein, dass die Baubranche zu ständig kriminelleren Methoden greift. So ein Vorgehen nennt man strukturelle Gewalt. Der Kulturhof ist nicht nur ein historisches Gebäude, sondern ein wichtiger Ort des Zusammenkommens für unsere Nachbarschaft, Rückzugsort für geschützte Pflanzen und Tiere. Der illegale Abriss von Kiezkultur für den Neubau überteuerter Apartments steht exemplarisch für den Ausverkauf unserer Stadt und die Missachtung von Gemeinschaft und Umwelt. Hier wird mutwillig die Nachbarschaft zerstört, dagegen protestieren wir. Wir fordern die Bezirksregierung Mitte auf: Stoppt die rechtswidrige Zerstörung der »Kolonie 10«.

Jan Siddhi ist Sprecher des Protestbündnisses gegen den Abriss des Kulturhofs »Kolonie 10« in Berlin

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