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Aus: Ausgabe vom 28.01.2025, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Der stille Fremde

Dem Schriftsteller Hermann Peter Piwitt zum 90. Geburtstag
Von Jürgen Roth
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Durch den Klang hindurch zur Wahrheit: Hermann Peter Piwitt, geb. 28.1.1935

Im »Studio« des Literarischen Colloquiums Berlin (LCB) sagte Hermann Peter Piwitt im Rahmen eines Gesprächs am 10. Mai 2012 (zu hören auf dichterlesen.net): »Ich hatte nichts zu widerrufen. Das ist die Scheiße, in der ich stecke.«

Ein andermal erzählte er, 1968 habe ihm Peter Rühmkorf nahegelegt, der DKP beizutreten, das machten gerade alle. Wollte er nicht: »Mir ist es gar nicht schwergefallen, nicht in die kommunistische Partei einzutreten, weil ich da hätte gehorchen und willfährig sein müssen. (…) Es war auch nicht vereinbar mit meinen Studienerfahrungen bei Adorno und Höllerer – dieses Nicht-vereinnehmbar-Sein war entscheidend.«

Im »Studio LCB« ging es um all die bekannten Wendehälse, Schleimer und Opportunisten aus den Reihen der Linken, die nach 1990 weihevoll von ihren Saulus-Paulus-Erlebnissen berichteten, flugs aus nun verfemten Parteien und Organisationen austraten und sich dem Kapital an den Hals warfen.

Piwitt hat das nie getan, er ist immer Kommunist geblieben. Das kostete ihm nach dem Zusammenbruch der DDR seine Reputation als Dichter und Essayist. Er hatte für alle bürgerlichen Großblätter geschrieben, vom Spiegel bis zur Zeit, und jetzt teilten ihm Verleger und Redakteure unumwunden mit, er sei unerwünscht.

So kam der breiteren Öffentlichkeit einer der bedeutendsten Stilisten deutscher Sprache abhanden. Fortan publizierte er fast nur noch in der Konkret – aus Freundschaft zu Hermann L. Gremliza –, und zum Glück nahm sich in den nuller Jahren der Wallstein-Verlag seiner Bücher an.

»Ich lese jetzt öfter in meinen Büchern, und erst jetzt geht mir deren Wert und Qualität auf. Ich bin überrascht, wie viel mir gelungen ist damals – und wie wenig es gewirkt hat«, sagte er anlässlich seines fünfundachtzigsten Geburtstages gegenüber der Taz.

Damals richtete das Hamburger Literaturhaus wenigstens einen Abend für Piwitt aus, und neben anderen lasen Marie-Luise Scherer und Volker Hage aus seinem Œuvre, Hage trug Piwitts grandiose Lobpreisung Célines vor.

Ich kenne die meisten der Sätze, die Hermann geschrieben hat, und unter ihnen findet sich kein einziger misslungener. Kaum ein anderer deutschsprachiger Autor des vergangenen Jahrhunderts fiele mir ein, der ein derart makelloser Artist wäre.

Seine schmalen Romane, etwa »Rothschilds« (1972) und »Der Granatapfel« (1986), entfalten auf engstem Raum und in syntaktischer Verknappung eine äußerste Wahrnehmungsopulenz. Piwitts Sprache, die sich durch den Klang hindurch einen Weg zur Wahrheit zu bahnen versucht, trägt jede Kleinigkeit. Matthias Altenburg nennt sie »tänzerisch«, und in Berlin merkte er, die Formulierung »die renommierenden Tauben auf betulichen Füßen« zitierend, zu Recht an: »Andere haben für weniger den Nobelpreis gekriegt.«

Die Natur (und, komplementär, ihre Verunstaltung und Vernichtung) ist bei Piwitt ein Haupt- oder Leitmotiv. Ich erinnere mich an seine und Günther Anders’ Texte in Horst Sterns Monatsperiodikum natur – man denke, Piwitt und Anders in einer Publikumszeitschrift!

Künstlerischer Takt, Exaktheit, Zartheit und die Errettung der Wirklichkeit – es fällt mir ungemein schwer, für dieses »fehlerlose Werk« (Altenburg) ein paar halbwegs angemessene Begriffe anzubieten. Man nehme lediglich diese kurze Passage aus »Die Gärten im März« (1979): »Der Wind steht auf den Pfützen, schiebt die Baumkronen zusammen, streicht ihre Flanken glatt. Die Helligkeit blendet ihn, und sie verstärkt sich noch, wenn der Wind die hellen Unterseiten der Blätter ins Licht dreht.«

In seinem Referat auf dem einigermaßen berühmten Konkret-Kongress 1993 wies Piwitt auf die Indolenz und die Verlogenheit der Linken hin. Trotzdem »tue« er sich »diesen Kongress an, der offenbar genauso ablaufen soll, wie solche Kongresse immer abliefen: voller Geringschätzung für Kunst und Ästhetik«, für die »sinnliche Aneignung von Welt und ihres sinnlichen Ausdrucks«. – »Meine Damen und Herren, ich fürchte, ich bin hier fehl am Platz.«

Hermann Peter Piwitt ist bis heute vielen ein stiller Fremder geblieben. Als Freund wünsche ich dir, Hermann, von Herzen alles erdenklich Gute zu deinem neunzigsten Geburtstag.

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