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Aus: Ausgabe vom 28.01.2025, Seite 11 / Feuilleton
Pop

»Wir sind nicht allein«

Robert Wyatt, der größte unter den kommunistischen Popmusikern, wird 80
Von Stefan Ripplinger
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»Wenigstens werde ich fürs Singen nicht erschossen, / … Das muss wohl die Freiheit sein« – Robert Wyatt

Im Londoner Nachtclub UFO (sprich »you foe«: »du Feind«) spielen um 1967 zwei Hausbands. Die erste hat sich nach legendären Bluesmusikern (Pink Anderson und Floyd Council), die zweite nach einem Roman von William S. Burroughs benannt: Pink Floyd und Soft Machine. Bereits Anfang der Siebziger wird Pink Floyd der Erfolg und Soft Machine der Ernst zum Verhängnis. Aber ganz zu Beginn verschmelzen beide Bands versponnene Nonsensliedchen mit heftigem Lärm. Diesen Stil verdanken sie zwei Einzelgängern der Popmusik: Syd Barrett und Robert Wyatt.

Barrett muss dem Erfolg, Wyatt dem Ernst weichen. Es ist, als ob es für diese begnadeten Kinder keinen Platz in einem rasch erwachsen gewordenen Geschäft gäbe. In alter Freundschaft spielt Wyatt auf Barretts Soloalbum »The Madcap Laughs« (1970) Schlagzeug. Als weniger gelungen gilt sein eigener Erstling, »The End of an Ear« (1970). Niemand mag die Platte, nicht einmal er selbst. Sie hört sich an, als ob einen Schamanen die Lust überkommen hätte, hemmungslos herumzublödeln. Das Entrückte und das Alberne sind sich niemals näher gekommen als hier. Besser noch als auf »Moon in June«, seinem Renommierstück aus den Tagen mit Soft Machine, ist zu hören, was für ein ungewöhnlich melodischer Schlagzeuger Wyatt ist. »The End of an Ear« hat nur den einen Makel, dass Wyatts helle, traumverlorene Stimme kaum zu hören ist. Nur drei Jahre später bleibt ihm nicht viel mehr als sie.

Am 1. Juni 1973 besucht Wyatt mit der Künstlerin Alfreda Benge, genannt Alfie, in London eine illustre Party bei der Künstlerin Lady June. Seit er seine Band Matching Mole verlassen hat, weil er nicht Bandleader sein will, befindet sich Wyatt in einer Krise. Warum er sich im Verlauf dieser Party aus einem Fenster stürzt, bleibt dennoch unklar. Vielleicht ist es ein Selbstmordversuch, es wäre nicht der erste. Sicher ist, dass Wyatt sturzbesoffen ist, was ihm ironischerweise das Leben rettet. Die Ärzte erklären, der Alkohol habe seinen Körper völlig entspannt und so das Ärgste verhindert. Seither ist er auf einen Rollstuhl angewiesen.

Wie Marcus O’Dair in seiner Wyatt-Biographie (»Different Every Time«; 2015) schreibt, nimmt der Musiker, der am 28. Januar 80 wird, die Katastrophe gelassen. Halbwegs wiederhergestellt, produziert er eines der ganz großen Alben der Popgeschichte, »Rock Bottom« (1974). Den Sound prägt eine billige Riviera-Orgel, die er sich in Venedig gekauft hat, wo Alfie an Nicolas Roegs Film »Wenn die Gondeln Trauer tragen« (1973) mitwirkt. Der Schlagzeuger als Organist – es bleibt Wyatts tiefe Überzeugung, dass Schönheit da entsteht, wo eine Sache nicht völlig beherrscht wird. Wenn diese Regel auch nicht immer zutrifft, findet sie doch mit dieser Platte grandiose Bestätigung. »Rock Bottom« führt in Klanglandschaften von hoher Fragilität und Durchsichtigkeit. Wie die Musik tasten sich die Texte vor, verstören bisweilen – »In Englands Garten / Liegen in ihren Höhlen die toten Maulwürfe« –, vor allem aber sind sie eine Liebeserklärung an Alfie: »Dein Wahn passt prima zu meinem, / Zu meinem ganz eigenen. / Wir sind nicht allein.«

Die Zeile »Wir sind nicht allein« deutet bereits die Politisierung Wyatts und seiner Gefährtin an. Mit Bedacht legen sie die Veröffentlichung von »Rock Bottom« auf den 26. Juli 1974, den 21. Jahrestag der Kubanischen Revolution. Sie heiraten am selben Tag. Auf der nächsten Platte, »Ruth Is Stranger Than Richard« (1975), findet sich eine trotzige Coverversion von Charlie Hadens »Song for Che«. Danach rückt – von einigen Gastauftritten, etwa bei Brian Eno, abgesehen – die Musik zugunsten der Politik in den Hintergrund. 1979 tritt Wyatt in die Kommunistische Partei ein.

Er besucht Parteiversammlungen, verkauft auf der Straße die Parteizeitung Morning Star, die auch dann noch seine Lieblingslektüre bleibt, als er die Partei, die ihm zu revisionistisch geworden ist, zehn Jahre später verlässt. Für das Kollektiv von Rough Trade nimmt er einige Singles auf, allesamt Covers; seine geniale Neudeutung von »At Last I Am Free« der Discogruppe Chic ragt heraus. Aus einem Song über eine Trennung wird bei ihm eine Hymne, die nicht allzu fern von Bob Dylans »I Shall Be Released« siedelt. Die Singles kommen gesammelt als »Nothing Can Stop Us« (1982) heraus, ergänzt von einem eigenen Stück, »Born Again Cretin«.

»Wenigstens werde ich fürs Singen nicht erschossen, / … Das muss wohl die Freiheit sein.« Der gallige Sarkasmus von »Born Again Cretin« weist voraus auf den Höhepunkt von Wyatts politischem Schaffen: »Old Rottenhat« (1985), Michael Bettaney, einem Agenten des Inlandsgeheimdiensts MI5 gewidmet, der den Sowjets Informationen zugespielt hat. Auf dieser Platte hat ­Wyatt alles allein gemacht, alles geschrieben, alles gespielt. Die Texte sind von oft kryptischer Kargheit: »Timor. / Osttimor. / Indonesien, was hast nur für einen schicken Freund? / Was hat Gillespie getan, dir zu helfen?« Gemeint ist der Überfall Indonesiens auf Osttimor 1975, bei dem ein Drittel der Bevölkerung abgeschlachtet wird. Der »schicke Freund« Indonesiens dürften die USA, Gillespie könnte ein General aus Australien sein, das den Genozid ebenfalls deckt. Als ich dem Schriftsteller Ronald M. Schernikau das Album vorspiele, zeigt er sich entzückt von der »Internationalen«, die darauf als Melodie einer Spieldose erklingt.

Es folgen bis zu Wyatts Rückzug aus der Branche einige großartige Platten, die seine kindliche und träumerische Seite mehr zur Geltung bringen, ohne dass das Politische je verschwände: »Palästina ist ein Land / Oder war wenigstens eins«, heißt es auf »Dondestan« (1991), auf »Cuckooland« (2003) bittet ein Säugling, der während des Golfkriegs 1991 seine ersten 40 Tage in einem Bunker verbringen muss, um ein Wiegenlied (»Lullaby for Hamza«). Alfie ist nun nicht nur für das Design der Platten, sondern oft auch für die Texte zuständig. Mehr über diese Spätwerke am 90. Geburtstag von Robert Wyatt. Zu seinem 80. aber sei eines seiner Lieblingsbücher zitiert, »Pu der Bär«: HIPY PAPY BTHUTHDTH THUTHDA BTHUTHDY (Hirz lerz Nuckwnüsch uzm Bubu Bugebu Burzkat)!

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