Hart und weich

Wie immer war der Fortschritt janusköpfig. In den 70ern wurde die Freigabe von Pornographie als sexuelle Befreiung gefeiert, heute diskutiert man Sexnormierung, Pornosucht und miese Produktionsbedingungen. Vor 50 Jahren wurde in der Bundesrepublik das zuvor vollständige Verbot der Verbreitung von Pornographie zugunsten einer begrenzten Freigabe aufgeweicht.
Am 28. Januar 1975 trat der neugefasste Paragraph 184 des Strafgesetzbuches in Kraft (der allerdings schon 1973 gegen die Stimmen der CDU/CSU-Opposition von der sozial-liberalen Koalition beschlossen worden war). Verboten blieb es, Pornos an Orten anzubieten, die Jugendlichen zugänglich sind, etwa in Kiosken, ebenso die Verbreitung im Rundfunk. In der DDR blieb Pornographie offiziell bis 1990 verboten, es gab sie nur als Schmuggelware.
»Durch die Abgrenzung ›weicher‹ von ›harter‹ Pornographie sollte die Gesetzesauslegung vereinfacht werden«, sagt der Kulturhistoriker Paul M. Horntrich, der eine Dissertation zum Thema verfasst hat. »Bestraft werden sollte jetzt nur mehr das, was man als sozialschädlich ansah.« Gemeint sind Darstellungen, die Betrachter zu Straftaten verführen könnten, also sexualisierte Darstellungen im Zusammenhang mit Gewalt, Tieren, Kindern und Jugendlichen.
Die sogenannte einfache Pornographie wurde dagegen für Erwachsene freigegeben. Warum die Umsetzung des bereits zwei Jahre zuvor nach heftiger Debatte gefassten Bundestagsbeschluss erst so spät erfolgte, hat eine lange Vorgeschichte: »Deutschland war 1923 einem internationalen Abkommen zur Bekämpfung des Vertriebs unzüchtiger Veröffentlichungen beigetreten, das auf Bestreben des Völkerbundes in Genf erlassen worden war«, sagt Horntrich. Dieses Abkommen sei immer noch gültig gewesen und musste erst gekündigt werden. Zur gleichen Zeit wie die BRD liberalisierten auch Frankreich, Italien und Portugal ihre Gesetzgebung. Dänemark war Vorreiter gewesen und hatte bereits 1967 die Veröffentlichung pornographischer Texte und 1969 entsprechende Fotografien freigegeben, was zu einer Art Sextourismus westdeutscher Männer führte.
Für Westdeutschland entscheidend war auch das »›Fanny Hill‹-Urteil« von 1969. »Der Bundesgerichtshof beschäftigte sich damals mit dem Buch ›Fanny Hill‹ (von John Cleland, jW), einem pornographischen Klassiker aus dem 18. Jahrhundert, und entschied, dass der Staat nicht länger mittels Strafrecht die Einhaltung einer bestimmten Sexualmoral veranlassen sollte«, erklärt Horntrich. Die Justiz ging nun davon aus, dass Erwachsene für sich selbst entscheiden können sollten, welche Inhalte sie konsumieren wollen. Der Staat sollte nur noch dort regulieren, wo sozial schädliche Inhalte vermutet wurden.(dpa/jW)
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Feuilleton
-
Der stille Fremde
vom 28.01.2025 -
Naturkosten (2)
vom 28.01.2025 -
»Wir sind nicht allein«
vom 28.01.2025 -
Die Zauberlehrlinge und die Besen
vom 28.01.2025 -
Waffenruhe
vom 28.01.2025 -
Krimis für Kuczynski
vom 28.01.2025 -
Nachschlag: Auf der Suche
vom 28.01.2025 -
Vorschlag
vom 28.01.2025