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Aus: Ausgabe vom 28.01.2025, Seite 11 / Feuilleton
Nachruf

Waffenruhe

Zum Tod des irischen Dichters Michael Longley
Von Jenny Farrell
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Michael Longley (27.7.1939–22.1.2025)

Michael Longley, einer der wichtigsten Dichter Irlands, ist am 22. Januar 2025 im Alter von 85 Jahren gestorben. Sein Werk verkörpert den Dialog zwischen Gegensätzen – britisch und irisch, Vergangenheit und Gegenwart, Verlust und Versöhnung. Sein Tod markiert das Ende einer Ära für die Literatur Irlands.

Geboren am 27. Juli 1939 in Belfast als Sohn englischer Eltern, wurde Longley, gemeinsam mit Seamus Heaney und Derek Mahon, zu einer der führenden Stimmen der literarischen Renaissance Nordirlands in den 1960er Jahren. Trotz unterschiedlicher Hintergründe verband die drei ein gemeinsames Talent, die Welt mit Hilfe von Lyrik zu erkunden.

Die irische Natur, insbesondere die raue Küste von Carrigskeewaun in County Mayo – Longleys »Seelenlandschaft« –, durchzieht sein Werk. Für seine 13 Gedichtbände, von »No Continuing City« (1969) bis »The Slain Birds« (2022), erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den T. S. Eliot Prize und den Griffin International Prize.

Besonders deutlich wird Longleys Fähigkeit zur Verknüpfung von Gegensätzen in seinem Gedicht »Waffenruhe«. Es basiert auf einer zentralen Szene von Homers »Ilias«: Priam, König von Troja, fleht Achill an, den Leichnam seines Sohnes Hektor herauszugeben. Achill, ebenfalls schwer gezeichnet vom Tod seines Gefährten Patroklos durch Hektors Hand, gewährt die Bitte.

Longley betont die Gleichwertigkeit des Verlusts. Beide sind Gefangene ihrer Trauer: Priam, der seinen Sohn verlor, und Achill, der nur wieder in den Krieg zog, um seinen Freund zu rächen. Longley stellt niemanden als größeres Opfer dar, sondern schafft ein poetisches Gleichgewicht. Priam muss sich für die Bitte selbst demütigen, Achill bereitet in einer Geste der Menschlichkeit Hektors Leichnam behutsam vor. Der Moment des Friedens entsteht nicht durch den Verzicht auf Stärke, sondern durch ihre gegenseitige Anerkennung. Diese Überwindung auf beiden Seiten erwächst aus Verständnis. Longley gelingt es, diesen flüchtigen Moment von Menschlichkeit zu verallgemeinern, ein Sinnbild nicht zuletzt für die Konflikte seiner Heimat.

Mit Longleys Tod verliert Irland einen bedeutenden Dichter, der Gegensätze überbrücken konnte und für Mitgefühl und Verbundenheit stand. »Waffenruhe« erinnert daran, dass wahres Gleichgewicht in der Anerkennung des gemeinsamen Menschseins liegt. Eine Botschaft, so lange aktuell, wie es Kriege gibt.

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