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Naturkosten (2)

Von Helmut Höge
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Seit dem Siegeszug des Neoliberalismus gibt es einen Trend zur Rehabilitierung des Wolfes. Nach der »Wende« wimmelte es in der Berliner Treuhandanstalt von westdeutschen Privatisierungsmanagern und Investoren, die »Wolf« mit Vor- oder Nachnamen hießen. »Die benehmen sich schlimmer als Kolonialoffiziere«, meinte Treuhandchef Detlev Rohwedder. Den Privatisierungsmanagern standen auf ostdeutscher Seite überforderte Betriebsräte gegenüber, die nicht selten Friedbert, Christfried oder Lammfromm hießen, einer sogar Feige mit Nachnamen. Kein Witz, sondern ein Fall von Namensmagie im ausklingenden 20. Jahrhundert.

Die Brandenburger wanderten gen Westen aus, derweil Raubtiere über Polen einwanderten. Im Januar 2000 kam der erste Wolf über die Oder. Er wurde eingefangen und in den Tierpark Schorfheide verbracht. Der Tagesspiegel titelte: »Die Angst vor dem Osten oder Sibirien ist unheimlich nah.« 2003 wurde der Wolf zum »Tier des Jahres« gekürt. Zwanzig Jahre später schätzte man die Wolfspopulation in Deutschland auf etwa 1.400 bis 2.500 Tiere.

Getötet wird der Wolf inzwischen auch wieder. Jäger erlegten eine Wölfin aus dem Herzlaker Rudel, die Mutterwölfin des Burgdorfer Rudels, eine Wölfin aus dem Rodewalder Rudel (das 1,25 Millionen Euro Schaden verursacht hatte). In der Hohen Rhön wurde eine falsche Wölfin erschossen, im Rudel Schermbeck gab man die Wölfin Gloria als »Problemwölfin« zum Abschuss frei, ebenso eine Wölfin ohne Rudel in Schleswig-Holstein. Die Grünen-Umweltministerin Steffi Lemke verkündete Mitte 2023, Abschüsse von Wölfen erleichtern zu wollen.

In den USA hat man solche Erfahrungen längst gesammelt. Im Yellowstone-Nationalpark wurden 1916 die ersten Parkranger durch den US-Kongress eingestellt, sie sollten gegen die Wilderer vorgehen (die bis dahin vom Militär gejagt wurden), zugleich sollten sie Pumas, Luchse, Rotluchse, Kojoten und andere Fleischfresser ausrotten. 1926 erschossen sie den letzten Wolf im Park. Danach vermehrten sich die Wapitihirsche so stark, dass die Ranger bis 1970 Tausende umsiedelten oder erschossen. Die Wapitihirsche vermehrten sich trotzdem flott weiter, fraßen Weiden- und Pappelsetzlinge ab. 14 in Kanada gekaufte Wölfe (für 117 Millionen US-Dollar) wurden im Park ausgesetzt, Fauna und Flora wurden vielfältiger.

2012 verfügte der US-Kongress, Wölfe von der Liste der bedrohten Arten zu streichen. Sechs Monate später hatten Jäger und Fallensteller von circa 1.700 Wölfen 550 getötet. Darunter sieben Wölfe mit Senderhalsbändern, die ihnen Forscher im Yellowstone-Park angelegt hatten. Unter den erschossenen Tieren befand sich die berühmte Wölfin »Null-Sechs«, Anführerin eines Rudels im Lamar Valley. Die New York Times widmete ihr einen langen Nachruf. Weil sich ihr Rudel danach zerstreute, nahm der sich insbesondere auf das Lamar-Rudel fokussiert habende Wolfstourismus ab, ebenso die Anzahl der Sponsoren für teure GPS-Halsbänder. Die fragten sich: Warum sollen wir Geld für Wölfe geben, wenn die bloß erschossen werden? Der Parkverwaltung entstand so ein finanzieller Schaden von elf Millionen US-Dollar.

2020 erschien auf deutsch Nate ­Blakeslees Buch »Die Wölfin. Die wahre Geschichte des berühmtesten Raubtiers von Yellowstone«. Darin heißt es: »Die Jäger konnten 100 Wölfe außerhalb des Parks abschießen. Ohne dass es jemandem auffiel. Aber erschoss man einen Parkwolf, den die Menschen kennen und lieben gelernt hatten, redete plötzlich der ganze Staat über die schlimme Jagd auf Wölfe.« Im selben Jahr erlaubte Trump das Erschlagen von jungen Wölfen und Bären, Wildhüter waren entsetzt.

Anfang 2025 starb die berühmte Yellowstone-Park-Wölfin »907f«, Leittier des Junction-Butte-Rudels, infolge eines Kampfes mit einem anderen Rudel. Sie wurde zwölf Jahre alt.

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