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Aus: Ausgabe vom 03.02.2025, Seite 7 / Ausland
Gazakrieg

Schüsse auf Feiernde

Brief aus Jerusalem. Nur Israelis dürfen sich öffentlich über die Freilassungen freuen
Von Helga Baumgarten
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Bis zur vollständigen Befreiung kann es bei allem Jubel noch ein langer Weg sein (Khan Junis, 1.2.2025)

Sonnabend, 1. Februar. Wir sitzen seit dem frühen Morgen vor dem Fernseher: Al-Dschasira, Al-Arabi, Al-Majadin – alle ihre Korrespondenten sind vor Ort in Gaza. Diesmal sollen drei israelische Geiseln freigelassen werden: zwei in Khan Junis, einer am Hafen in Gaza.

Die Hamas-Kämpfer sind schon überall in Stellung gegangen: Ein weiträumiger Platz in Khan Junis ist von ihnen umzingelt. Kurz nach acht Uhr fahren die Rotkreuzautos vor. Wenig später treffen die Wagen mit den beiden Geiseln ein. Zunächst wird die Bürokratie erledigt. Danach steigt der erste freigelassene Israeli aus, Ofer Kalderon. Er wird zur Bühne geleitet und winkt in die Menge. Massen an einfachen Menschen haben sich versammelt. Ihre Häuser sind zerstört, und seit Monaten sind sie Vertriebene. Erst seit dem Waffenstillstand konnten sie zurückkommen, müssen aber weiterhin in Trümmern oder in Zelten hausen.

Beim zweiten Israeli, Yarden Bibas, genau dieselbe Prozedur: Er war zusammen mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern entführt worden. Seine Frau und die Kinder wurden, so Meldungen, durch israelische Bombardements getötet. Danach fahren die Rotkreuzautos Richtung Grenzübergang Kerem Schalom, wo die Armee die Freigelassenen in Empfang nimmt.

Die Übergabe von Keith Siegel, einem Israeli, der auch einen US-Pass besitzt, findet am Hafen von Gaza statt: einem symbolischen Ort. Denn bis zum Waffenstillstand konnte niemand auch nur in seine Nähe kommen. Auch hier dasselbe Bild: Der Platz ist großflächig abgesperrt, Massen von Zuschauern reihen sich hinter den Hamas-Kämpfern auf, um das Spektakel mitzuerleben. Siegel erhält gleich zwei Geschenktüten: eine für seine Frau, die schon beim Austausch im November 2023 freigekommen war. In Tel Aviv, wo Massen an Menschen auf die Freilassung warten, beginnen ausgelassene Feiern.

Anders in der Westbank: Aus dem Gefangenenlager Ofer nordwestlich von Jerusalem fahren die Busse mit den freigelassenen Gefangenen los. In Beitunia, das sie auf dem Weg nach Ramallah durchqueren müssen, haben sich viele Menschen zur Begrüßung versammelt. Sie werden von der israelischen Armee mit Tränengas und scharfer Munition beschossen, und es gibt mehrere Verletzte. Aber schließlich kommen die Busse vor dem Mahmud-Darwish-Museum in Ramallah an, wo sie von der Menge in Empfang genommen werden. Die freigelassenen Palästinenser machen einen bedauernswerten Eindruck: ausgehungert, abgemagert, viele offensichtlich krank oder schwerkrank. Ihre Berichte lassen einen schaudern: Seit dem Herbst werden sie, wie einer sagt, schlimmer behandelt als Tiere. Es gab zahllose Tote in den Gefängnissen. Kranke erhielten keine Arznei, wurden oft zusammengeschlagen und nicht behandelt. Besuche gab es keine seit Oktober 2023.

Die Anweisungen der Armee sind klar: keine Feiern, sonst folgt die rächende Bestrafung auf den Fuß. In einem Viertel von Jerusalem zeigte die Familie ihre Freude ganz offen. Tags drauf kam die Armee, demolierte die Wohnung und verhaftete drei Brüder. Palästinenser werden nicht in die Freiheit, sondern in ein brutales Regime des Siedlerkolonialismus entlassen. Der frühere Fatah-Kommandant Sakaria Subeidi aus Dschenin zum Beispiel darf überhaupt nicht dorthin zurück. Aber man hat mir bestätigt, dass er inzwischen an einem sicheren Ort ist.

Das internationale Rote Kreuz hat sich offiziell bei der Armee beschwert, wie die aus dem Gefängnis Ketziot freigelassenen Palästinenser behandelt werden: Die Männer sind mit Handschellen gefesselt und müssen ihre Arme hinter dem Kopf verschränkt halten – sie können sich kaum bewegen. Insgesamt wurden am Sonnabend drei Israelis sowie fünf thailändische Arbeiter freigelassen. 32 Palästinenser wurden aus Ofer nach Ramallah, also in die Westbank, gebracht. 150 Palästinenser kamen nach Gaza. Nur einer wurde nach Ägypten abgeschoben. Zum ersten Mal wurde am Sonnabend der Grenzübergang Rafah geöffnet, und 50 schwerkranke Patienten, vor allem Kinder, konnten zur Behandlung im Ausland ausreisen.

Dies ist der 24. »Brief aus Jerusalem« von Helga Baumgarten, emeritierter Professorin für Politik der Universität Birzeit

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