»Freihandel war Anstoß für Drogenkrieg«
Interview: Dieter ReinischKönnen Sie uns einen kurzen Einblick in die politische Situation in Mexiko geben?
Mexiko hat einen 30jährigen Integrationsprozess mit Nordamerika hinter sich. Diese Transformationen führten zu erstaunlichen Änderungen in Mexiko selbst: Es gab einen Übergang zur Demokratie nach Jahrzehnten der Einparteienherrschaft. Das Paradoxe ist, dass es mehr Parteien gibt, aber gleichzeitig auch mehr »Verschwundene« und mehr Ermordete als in allen Diktaturen des 20. Jahrhunderts.
Wie kam es dazu?
Als vor 30 Jahren der Freihandelsvertrag unterzeichnet wurde, waren die USA das Vorbild für die Moderne für Mexiko. Im Norden, in der Grenzstadt Ciudad Juárez, hat sich mit den ganzen Franchiseunternehmen ein »Labor der Moderne« entwickelt. Dort fanden Femizide auf einem Niveau statt, das international für Entsetzen sorgte.
Diese Gewalt ist dann schrittweise vom Norden in den Süden des Landes gewandert. Zunächst sah es so aus, als würde die Gewalt mit dem Drogenhandel zusammenhängen, tatsächlich stecken hinter dieser sichtbaren Dynamik des Drogenhandels Prozesse, die sich an ökonomischen Interessen und der Ressourcenausbeutung orientieren und sich Hand in Hand mit dem Drogengeschäft entwickelt haben.
Wo wütet die Gewalt momentan am stärksten?
Mittlerweile ist diese Gewalt im südlichsten Bundesstaat Chiapas an der Grenze zu Guatemala angelangt. Wir erleben die Auseinandersetzungen, die wir von der nördlichen Grenze zu den USA kennen, nun auch im Süden. Die kriminellen Machenschaften haben mit dem Freihandelsabkommen vor 30 Jahren begonnen. Der Drogenkrieg führt zu einer Vertreibung, einer erzwungenen Migration. Er ist Ausdruck eines durch und durch korrupten Staates und vertritt die Interessen seiner Herrschenden.
Haben sich die Drogenrouten nach Chiapas und in die Gebiete der Zapatistas verlegt?
Die Drogenrouten sind nach wie vor dieselben, was sich verändert hat, ist die Zusammensetzung der Territorien. Während der ersten Präsidentschaft von Trump hat der damalige mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador ein Abkommen unterzeichnet, das beinhaltete, dass 30.000 Soldaten militärischer Spezialeinheiten an die Grenze im Süden entsandt wurden. Denn Trump wollte, dass Mexiko für die Grenzmauer, die er bauen wollte, zahlt.
Wofür sollte dieses Abkommen gut sein?
Die Idee des Abkommens war, die Grenze nach Süden zu verschieben und dort die Migration aus Guatemala zu verhindern. Dadurch hat sich die Gewalt weiter vom Norden nach Süden verschoben, denn die Entsendung von so vielen Einsatzkräften bedeutete auch ein Freispielen des Gebiets für Kriminelle. Die Drogendealer sind eigentlich eine Verstärkung der Mauer, indem sie Angst verbreiten.
Im Windschatten des Militärs machen sie ihre kriminellen Geschäfte, wie Menschen- und Drogenhandel, entlang der Grenze zu Guatemala. Das ist das Ergebnis des Abkommens zwischen Andrés Manuel López Obrador und Trump.
Viel wurde in Europa über die neue Präsidentin Claudia Sheinbaum berichtet. Hat sich durch sie etwas verändert?
Sie ist erst seit vier Monaten im Amt, bisher gab es keine Veränderungen. Die wichtigsten Personen der Regierung und in den Ämtern sind dieselben geblieben. Die Regierung ist eigentlich genauso wie ihre Vorgängerin: Sie ist eine rechte Regierung, die sich links gibt. In anderen Worten: soziales Antlitz für neoliberale Politik.
Wie reagiert die Regierung auf die neuen Zölle von Trump?
In Mexiko gibt es Lucha Libre (mexikanisches Wrestling, jW), es schaut aus, als wären es echte Kämpfe. Aber das ist alles eine vorgeplante Choreographie. Die internationale Politik ist eine Form des Lucha Libre. Wie diese Choreographie weitergeht, ist unvorhersehbar. Aber was wir erwarten können, ist, dass Trump unvorhersehbar ist, aber immer eine rechte Politik machen wird.
Diego Enrique Osorno ist mexikanischer Journalist und Autor. Für seine Arbeit erhielt er 2011 den Latin American Prize for Journalism on Drugs
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