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Aus: Ausgabe vom 08.02.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Schaumschnüffeln

Von Arnold Schölzel
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Im bundesweiten Journalistenwettbewerb »Medienmacher kämpfen um Kriegstüchtigkeit« hatte Der Spiegel mit seiner Enttarnung von Putins Bauschaumtruppe in der zurückliegenden Woche die Nase vorn: Vier fast halbwüchsige Knaben haben in Moskauer Auftrag mehr als 270 Autos mit klebriger Chemikalie lahmgelegt und für jede Spritzerei 100 Euro kassiert. Zudem lenkten sie durch Fake-Aufkleber von Bündnis 90/Die Grünen den »Volkszorn« (Spiegel) auf die einstigen biodynamisch-gewaltfreien Ökopaxe. In der Bundesrepublik sind etwa 49,1 Millionen Pkw zugelassen, aber da der Russe immer in Scharen auftritt, müsste er es bis zum 23. Februar schaffen, etwa die Hälfte aus dem Verkehr zu ziehen.

Die Story aus dem eigenen Haus fixte den Chef vom Dienst des ehemaligen Nachrichtenmagazins, Jens Radü, derart an, dass er noch am selben Tag in der Onlineausgabe des Spiegel Reklame für die Schaumerzählung seiner Kollegen machte. Überschrift: »Fridays for Putin«. Einstieg: »Langweilen Sie sich in Ihrem Job? Wladimir Putin hätte da ein attraktives Angebot, Suspense garantiert: ›Low level agent‹ des Kreml. Die Anforderungen? Führerschein Klasse B, Bereitschaft zum Nachtdienst, ach ja, und Sie sollten mit Bauschaum umgehen können.« So flott schreibt Radü nicht nur, er redet offenbar auch gern ähnlich sinnfrei. Hier sei ein Drei-Minuten-Video aus dem Jahr 2017 empfohlen, das sich auf Youtube findet. Überschrift: »Jens Radü stellt den Spiegel visuell auf neue Füße«. Acht Jahre später darf ergänzt werden: Er stellt ihn vor allem auf das, was Polizei und die dem Spiegel verbundenen Dienste in der Redaktion abliefern.

Die haben schon immer alles über den Russen und seinen Drang nach Westen gewusst, leider nur selten etwas mitbekommen. Vom 13. August 1961 bis zum 24. Februar 2022. An dem Tag wachte BND-Chef Bruno Kahl nichtsahnend beim Besuch in Kiew auf und half in der evakuierten deutschen Botschaft seinen verbliebenen Agenten, Dokumente zu schreddern, bevor Putin sie lesen konnte. Nun rächt der sich mit Bauschaum, Schattenflotte, Löchern in deutschen Kasernenzäunen, brennende DHL-Pakete und was dem alten Racheknochen sonst noch so einfällt. Die Deutschen sind jedenfalls seine Opfer.

Im Grunde aber die ganze Welt, also das Universum. Schon die erste Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten 2016 war laut deutschen Qualitätsmedien Kreml-Werk. Und nun, klagt Alexander Müller, FDP-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums, also Geheimdienstexperte, am späten Donnerstagabend im Deutschlandfunk-Interview, gebe es »jede Menge an russischen Versuchen, den Parteien der Mitte zu schaden.« Müller ist so wenig paranoid wie die Schaumschnüffler vom Spiegel, aber auch hinter dem Mann aus dem Taunus sind die Russen her. Also verweist er in dem Sechs-Minuten-Interview mehrfach auf Moldau und Rumänien, wo Wahlen von Moskau manipuliert worden seien. Auf die Frage, wie groß die Gefahr von Manipulation und Sabotage im laufenden Bundestagswahlkampf sei, wirft er sich den Horden aus dem Osten entgegen: »Ich halte das nicht nur für eine Gefahr, ich bin überzeugt, das läuft.« Das sagten »uns« ja auch die Nachrichtendienste. Und zeigten Moldau und Rumänien.

Inzwischen hat sich zwar herumgesprochen, dass die Regierung in Bukarest eine Werbeagentur bezahlte, um einem missliebigen Kandidaten zuerst mit einer angeblich russisch finanzierten Tik-Tok-Kampagne zu schaden, und nach dessen Wahlsieg am 6. Dezember die Wahl annullieren ließ. Aber FDP-Müller und Deutschlandfunk wissen: Tatsachen sind Russenpropaganda. In Rumänien wurden die Wahlen in den Mai verschoben. Das lässt sich auch hierzulande machen – bis zum »richtigen« Ergebnis.

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