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Aus: Ausgabe vom 10.02.2025, Seite 6 / Ausland
Nationalismus und »Identität«

Kulturkampf als Ablenkung

Frankreichs Regierung folgt dem fremdenfeindlichen Kurs der extremen Rechten
Von Hansgeorg Hermann
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Für Rechtsauslegerin Le Pen läuft alles wie im Schlaf (Paris, 4.2.2025)

Frankreichs neuer Regierungschef François Bayrou gibt seit vergangenem Donnerstag einen neuen, scharf nach rechts gerichteten Kurs in der Innenpolitik vor: In der Nationalversammlung, die einen Antrag des extrem rechten Rassemblement National (RN, früher Front National) zur »nationalen Identität« zu debattieren hatte, sprach er von einem »Gefühl der Überflutung durch Immigranten«, von dem das Land – also auch er selbst – erfasst worden sei. Worte, die bei Marine Le Pen, der RN-Anführerin, und ihrer Fraktion fröhlich beklatschte Unterstützung fanden. Kein Widerstand aus dem Lager des Staatschefs Emmanuel Macron, der Bayrou Mitte Dezember auf den Stuhl des Premierministers gesetzt hatte. Seine Koalition Ensemble (Gemeinsam) fürchtet offenbar, bei der in zwei Jahren anstehenden Präsidentschaftswahl – Macron kann nach zwei Mandaten nicht mehr antreten – von einer zunehmend fremdenfeindlich gestimmten Wählerschaft abgestraft zu werden.

Keine große Gegnerschaft auch beim sozialdemokratischen Teil der linken Neuen Volksfront (NFP, Nouveau Front Populaire). Olivier Faure, Chef des Parti Socialiste (PS), ließ ausrichten, die »Debatte zum Thema Identität« dürfe »kein Tabu« mehr sein. Ein neuer Bruch des PS mit den Partnern in der Volksfront, die im Juli die Parlamentswahlen gewonnen hatte, von Macron allerdings bis heute nicht mit einer Regierungsbildung betraut wurde. Die drei anderen die Volksfront tragenden Parteien – La France insoumise (LFI), Grüne (LE) und Kommunisten (PCF) – liegen nicht nur in der Immigrationsfrage inzwischen mit den Sozialdemokraten über Kreuz.

Gefährdet ist seither auch eines aus früherer humanistisch geprägter Politik hervorgegangenes Gesetz, das auf Frankreichs Boden geborenen Babys automatisch die französische Nationalität garantierte, sofern mindestens ein »legal« eingewanderter Elternteil – gemeint war die Mutter – sich drei Monate im Land aufgehalten hatte. Bayrous schwer rechtslastiger Justizminister Gérald Darmanin – übrigens ein politischer Zögling des inzwischen eine von der Justiz angeordnete elektronische Fussfessel tragenden früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy – und Darmanins Bruder im Geiste, der Innenminister Bruno Retailleau, wollen das ändern. Ganz im Sinne der Ultrarechten der Marine Le Pen sollen nun beide Elternteile »legal« eingewandert sein und mindestens drei Jahre im Land leben, bevor ihr Neugeborenes Französin oder Franzose sein darf.

Kaum hat Bayrou sein Budget für 2025 in Sicherheit gebracht – auch die Sozialdemokraten winkten es in der vergangenen Woche im Parlament durch, ein Misstrauensantrag der LFI scheiterte –, da geht es mit Blick auf die kommende Präsidentschaftswahl offenbar ans Eingemachte: Obwohl bedeutendere Probleme, wie vom Klimawandel verursachte Katastrophen und schlimme Kriege in Osteuropa und Nahost mit Hunderttausenden Toten die ganze Aufmerksamkeit der Nation verlangten, beschäftige sich die Regierungs- und Parlamentspoltik lieber mit der »Identität« und der »Immigration«, bedauerten am Sonnabend liberale Medien wie die Pariser Tageszeitungen Libération oder Le Monde. Bayrous weitgehend rhetorische Fragen an das Parlament – »Was bedeutet es, Franzose zu sein?«, »Woran glaubt man, wenn man Franzose ist?« – wurden in jüngerer Vergangenheit vor allem von den Faschisten eines Eric Zémmour gestellt, dessen Theorie von der »großen Übernahme« (Grand remplacement) Frankreichs durch vor allem muslimische Immigranten vor nicht allzu langer Zeit noch als irres Geschwätz abgetan worden wäre.

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