Warten auf Öcalan
Von Tim Krüger
»Herr Öcalan bereitet in den kommenden Tagen einen historischen Aufruf für eine radikale und dauerhafte Lösung der Kurdenfrage und den Aufbau einer demokratischen Türkei vor«, verkündete der Kovorsitzende der prokurdischen Dem-Partei Tuncer Bakırhan am Dienstag vergangener Woche in einer Fraktionssitzung. Seitdem richtet sich die Aufmerksamkeit der türkischen Öffentlichkeit auf die Gefängnisinsel İmralı, wo der 75jährige Gründer und Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) seit fast 26 Jahren in weitgehender Isolationshaft gehalten wird. Nachdem die türkische Justiz am 22. Januar bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen Politikern der Dem-Partei Zugang zu dem Sondergefängnis im Marmarameer gewährt hatte, bestätigte die Delegation, Öcalan werde sich nach »Abschluss seiner diesbezüglichen Vorbereitungen« selbst an die Öffentlichkeit wenden.
Nun scheinen sich die Anzeichen zu verdichten, der kurdische Politiker könnte ausgerechnet am Jahrestag seiner Festnahme eine entscheidende Erklärung abgeben. Öcalan war am 15. Februar 1999 im Rahmen einer international koordinierten Geheimdienstoperation aus der griechischen Botschaft in der kenianischen Hauptstadt Nairobi entführt und an die türkischen Behörden überstellt worden. Auch der Generalkommandant der PKK-Guerilla, Murat Karayılan, erklärte am vergangenen Donnerstag in einem Interview gegenüber dem kurdischen Sender Sterk TV, er erwarte ebenfalls, »dass er am 15. Februar einen von ihm vorbereiteten Aufruf tätigen wird«. Öcalan wolle das in der kurdischen Freiheitsbewegung als »schwarzer Tag« bekannte Datum zu einem »Tag des Durchbruchs zur Freiheit« machen und an ihm eine »Offensive zur Lösung« aller Konflikte starten.
In der türkischen Presse wird spekuliert, Öcalan könne die Organisation zum Niederlegen der Waffen auffordern. Im Hinblick auf die laufende Debatte bezeichnete Karayilan eine mögliche »symbolische Erklärung« Öcalans als »sehr wichtig«. Doch bedürfe es, bevor man über eine Niederlegung der Waffen seitens der PKK sprechen könne, zuerst eines bilateralen Waffenstillstandes. Er betonte, dass »die Waffen zweifellos keine Bedeutung mehr« hätten, sollten demokratische Verhältnisse und ein gleichberechtigtes Leben möglich werden. Doch die Kurden misstrauten der türkischen Staatspolitik, und auch die Guerillakämpfer könnten nicht davon überzeugt werden, den bewaffneten Kampf einzustellen, solange Öcalan selbst nicht frei sei. Für eine so weitreichende Entscheidung müsse außerdem der Parteikongress der PKK zusammentreten, und es sei nötig, dass Öcalan frei »seine Arbeit leisten« könne und sich »durch technische Mittel« oder Delegationen an den Diskussionen beteilige.
An diesem Montag haben sich auch 115 Politiker, Akademiker, Juristen und Personen des öffentlichen Lebens mit einem offenen Brief an den Vorsitzenden des Ministerkomitees des Europarates gewandt und ein Eintreten für die Freiheit Öcalans gefordert. Er müsse »unter Bedingungen freigelassen werden, die es ihm ermöglichen, eine Rolle bei der Suche nach einer gerechten und demokratischen politischen Lösung (…) zu spielen«, so der Appell der Unterzeichnenden. »Für eine bleibende Lösung bedarf es einer Änderung der türkischen Verfassung«, erklärt Leyla İmret, Deutschland-Sprecherin der Dem-Partei, gegenüber jW. »Öcalan muss als Verhandlungsführer die Möglichkeit erhalten, mit seiner Organisation, der Gesellschaft und der Dem-Partei zusammenzukommen.« İmret unterstreicht, dass das kurdische Volk nur dann von der »Ernsthaftigkeit des (türkischen) Staates überzeugt sein« werde, wenn von dessen Seite »konkrete Schritte« erfolgen.
Bislang stehen die Handlungen der türkischen Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan allerdings in krassem Gegensatz zu angeblichen Lösungsabsichten. In den vergangenen Wochen setzte die türkische Luftwaffe ihre Angriffe auf Ziele im Norden Iraks und Syriens fort. Ob ein Appell Öcalans die Haltung Ankaras ändern kann, wird sich zeigen. »Der Ball liegt jetzt bei Erdoğan«, so der Dem-Kovorsitzende Bakırhan. »Alles liegt jetzt in Erdoğans Händen.«
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Hartberg (10. Februar 2025 um 21:41 Uhr)Fraglich ist, ob Öcalans Aussagen und Entscheidungen nach einem Vierteljahrhundert Isolationshaft tatsächlich noch realistisch sein werden. Oder ob seine »historische Erklärung« am Ende darauf hinlaufen, dass die Kurden einknicken. Was bedeutet »Niederlegung der Waffen«? Ein Waffenstillstand? Eine Entwaffnung? Im letzteren Fall würde dies erneut die Unterdrückung und Leiden des kurdischen Volkes bedeuten, nicht nur in der Türkei, auch im Irak und vor allem im von Al Quaida domminierten Syrien.
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