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Aus: Ausgabe vom 17.02.2025, Seite 8 / Inland
Wahlkampf mit Migration

»Wir erleben momentan einen Rollback«

Extrem rechte Inhalte finden Eingang in »demokratische Mitte«. Proteste als Hoffnungsschimmer. Ein Gespräch mit Karl Kopp
Interview: Kristian Stemmler
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Demonstration gegen eine Übernahme von AfD-Positionen durch die CDU (Bonn, 4.2.2025)

Am Ende dieser Woche wird der Bundestag neu gewählt. Für den Fall eines Wahlsiegs hat der Kanzlerkandidat der Union bereits angekündigt, was er an Tag eins umsetzen wolle. Was halten Sie davon?

Die Ankündigung von Friedrich Merz, am ersten Tag seiner Kanzlerschaft einen »faktischen Einreisestopp« zu verhängen und Zurückweisungen von Schutzsuchenden an sämtlichen Binnengrenzen durchzusetzen, ist alarmierend. Das gefährliche Kalkül: Die Union zerlegt die Schengen-Freizügigkeit, schiebt Grundgesetz, Völker- und Unionsrecht zur Seite – und will damit einen Dominoeffekt erzielen. Alle anderen Mitgliedstaaten sollen gezwungen werden, die gleichen rechtswidrigen Maßnahmen zu ergreifen – bis hin zu den EU-Außengrenzen. Und die CDU/CSU nimmt dabei das Leid der Geflüchteten, die sie an den Grenzen zurückstoßen will, bewusst in Kauf. Die damit verbundenen hässlichen Bilder sind kalkulierte Abschreckungsbotschaften.

Das war dann auch der Kern der Kritik der früheren CDU-Chefin und Exkanzlerin Angela Merkel?

Ja, und sie hat recht. Mit diesem rein nationalistischen Ansatz des mächtigsten EU-Mitgliedstaats droht das europäische Asylsystem endgültig zusammenzubrechen. Die einst als Europapartei geachtete CDU ist unter der Führung von Merz bereit, das europäische Projekt – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte – nachhaltig zu beschädigen. Zumal SPD und Grüne in der Regierung selbst eine sehr hartleibige Agenda in der Asylpolitik verfolgten. Sie haben die Abschiebungshaftregelung enorm verschärft, Sozialleistungen für Geflüchtete reduziert und auf europäischer Ebene den EU-Asylpakt mitbeschlossen.

Die Unionsfraktion hatte im Bundestag gemeinsam mit der AfD einen Entschließungsantrag zur Migrationspolitik durchgebracht, die SPD und die Grünen hatten die Zustimmung verweigert. Wie blicken Sie auf diesen Tag?

Es ist ein Dammbruch. CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat am 29. Januar mit seinem »Fünfpunkteplan« sehenden Auges einen rechtswidrigen, antieuropäischen und flüchtlingsfeindlichen Antrag gemeinsam mit den Rechtsextremen von der AfD beschlossen. Am Freitag darauf hat er noch versucht, mit dem »Zustrombegrenzungsgesetz« ein familienfeindliches Gesetz durchzuboxen, und ist knapp gescheitert. Die Vorgänge zeigen, dass de facto Inhalte der Rechtsextremen und Völkischen Eingang gefunden haben in die sogenannte demokratische Mitte. Auch die Sprache der Union ist ähnlich hetzerisch wie die der AfD.

Sie denken da an Merz’ Aussage, es gebe »täglich mehrere Gruppenvergewaltigungen im Asylmilieu«.

Ja, sicher. Mit solchen Aussagen, die keinem Faktencheck standhalten, ist eine Tonlage gesetzt, die ausschließlich Ressentiments bedient. Was Merz und die Union betreiben, ist eine Instrumentalisierung der schrecklichen Tat von Aschaffenburg, bei der (am 22. Januar, jW) ein zwei Jahre alter marokkanischer Junge und ein helfender deutscher Staatsangehöriger getötet sowie ein kleines Mädchen aus Syrien schwer verletzt wurden. Der Festgenommene ist ein psychisch kranker Mann aus Afghanistan. Der Angriff auf eine Kindergartengruppe hat uns alle bis ins Mark erschüttert. Dringend geboten wäre, lückenlos aufzuklären, wieso der Täter überhaupt an diesem Tag im Park sein konnte.

Lenkt die Fokussierung auf das Thema Migration von sozialen Problemen ab?

Wir haben massive soziale Probleme, katastrophale infrastrukturelle Defizite, wachsende Wohnungsnot. Über all das wird kaum noch geredet. Wir erleben momentan einen Rollback. Aber es gibt noch einen Hoffnungsschimmer: Hunderttausende haben gegen den Rechtsruck demonstriert. Hier gehen Leute auf die Straße, um die offene Flucht- und Migrations-gesellschaft zu verteidigen. Das macht Mut.

Karl Kopp ist Geschäftsführer der Geflüchtetenorganisation Pro Asyl

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