Mit verstörtem Sinn
Von Kai Köhler
Shakespeare-Adaptionen gibt es in großer Zahl, und nicht wenige von ihnen versetzen die Handlung in andere Zeitalter. 1995 zum Beispiel ließ Richard Loncraine »Richard III.« in einem faschistischen Phantasie-England der 30er Jahre spielen. Nun geht Burhan Qurbani im Umgang mit diesem Königsdrama noch einen Schritt weiter. Die Familien York und Lancaster werden zu arabischen Clans in Berlin. Aus Richard wird Rashida, die vor der zusätzlichen Schwierigkeit steht, in einer von Männern bestimmten Umgebung als Frau an die Spitze der Unterwelt zu gelangen.
Daraus folgt eine ganze Reihe von Verschiebungen. Statt Buckingham, bei Shakespeare skrupelloser Zuarbeiter Richards, tritt nun Rashidas Amme auf, die lange bedingungslos an ihr Zöglingskind glaubt und dafür auch zur Mörderin wird. Was aber ist mit Elisabeth, die Richard am Sarg ihres von ihm hingemeuchelten Schwiegervaters von seiner Liebe überzeugt? Bei Qurbani bleibt sie eine Frau. Das Motiv lesbischer Zuneigung verschärft den Gegensatz zur Männerwelt.
Und da gibt es noch das erste von mehreren eigens benannten Kapiteln des Films, den »Beginn vor dem Beginn«. Man sieht Rashida als Jugendliche bei einem Bombenangriff in einer nahöstlichen Gegend. Am Ende des Films kehrt die Szene wieder. Die Gewalt in der Berliner Haupthandlung hat mit einer importierten Gewalterfahrung zu tun. Auch dies greift ein Shakespeare-Motiv auf: »Richard III.« steht am Ende einer Reihe von Historienstücken über die »Rosenkriege« zwischen den rivalisierenden Adelhäusern im England des 15. Jahrhundert. Für alle handelnden Personen ist der Ausnahmezustand Normalität.
Wir haben also: Shakespeare, den historischen Stoff, die Berliner Gegenwart, den Geschlechterkonflikt, Krieg und Einwanderung. Vielleicht die eine oder andere Ebene zuviel, um Klarheit zu gewinnen. Dennoch verdient Qurbanis Ambition, große Zusammenhänge auf große Weise zu gestalten, zunächst Respekt. So viele Filme dieser Berlinale sind entweder gänzlich unpolitisch oder zeigen die Leute als Opfer der Verhältnisse. Dabei fehlt es nicht an Versuchen, sich in den Verhältnissen zu behaupten oder darin Widerstand zu leisten. »Kein Tier. So wild.« hingegen nimmt die Königsebene in den Blick, auf der Entscheidungen getroffen werden, die das Ganze betreffen.
Das Drehbuch mischt Shakespeare-Verse mit modernem Alltagsslang, und es funktioniert erstaunlich gut. Bereits Shakespeare konfrontiert ja Hochsprache mit Derbheiten. Bei Qurbani markiert dieser Kontrast die Verbindung zwischen dem Repräsentationsaufwand, den auch ein Gangsterclan betreiben muss, und der notwendigen Gewalt, ohne die es in diesem Geschäft wie auch im Königsberuf einfach nicht geht.
Darüber, mit welchen Mitteln Neukölln konkret beherrscht wird, erfährt man allerdings wenig. »Richard III.« ist ein Charakterdrama, insofern die faszinierend böse Titelfigur im Zentrum steht. Rashida mag Sympathie auf sich ziehen, weil sie Kriegsopfer ist und weil die Männer sie als Objekt ihrer Heiratspolitik benutzen wollen. Sie hat Charisma und sichert sich so Gefolgschaft. Wenn Rashida dann aber endlich Königin der Berliner Clanwelt ist, kennt sie kein Maß und weiß keine Interessen auszugleichen. Vielmehr steigert sie ihre Brutalität und steht am Ende isoliert einer großen Koalition von Feinden gegenüber.
Das liest sich klarer, als es im Film zu sehen ist. Je mehr sich Rashida radikalisiert, desto weniger sozialrealistische Elemente sind zu sehen. Alptraumartige Sequenzen treten in den Vordergrund, die Ebenen und Zeiten vermischen sich. Man kann das ärgerlich ungenau finden: als soziologische Studie über die Position von Frauen im Remmo-Clan taugt das jedenfalls nicht und soll es auch nicht. Man kann dagegen die Bildmacht dieser Passagen hervorheben und das ästhetische Argument politisch wenden: Qurbani zeigt, dass eine allein auf Charisma und Gewalt gegründete Herrschaft notwendig scheitert.
»Kein Tier. So Wild«, Regie: Burhan Qurbani, BRD/Polen/Frankreich 2025, 142 Min., Berlinale Special, 17.2., 19.2., 20.2. 21.2.
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